Krebs ist allgegenwärtig. Laut Robert-Koch-Institut erkranken allein in Deutschland jährlich rund 500.000 Menschen an einer Tumorerkrankung, etwa 224.000 der Fälle enden tödlich.
Heute, am Nachmittag des 10. Dezembers 2018, werden die Nobelpreise in Stockholm verliehen.
Die Auszeichnung für Physiologie oder Medizin erhalten in diesem Jahr zwei Forscher, die den Kampf gegen die tückische Krankheit entschieden vorangetrieben haben: James P. Allison aus Texas und der Japaner Tasuku Honjo arbeiteten unabhängig voneinander an der sogenannten Checkpoint-Inhibitoren-Therapie, die seit 2011 klinisch eingesetzt wird und die das Immunsystem aktiv die Krebszellen attackieren lässt.
Doch wie genau funktioniert das?
Zuallererst muss man wissen, wie das Immunsystem grundsätzlich arbeitet und wie es normalerweise mit Tumorzellen umgeht. Allgemein bekannt ist, dass ein gesundes Immunsystem uns vor Infektionen schützt, Viren abwehrt und Entzündungen hemmt, uns somit rund um die Uhr gegen alles verteidigt, was unserer Gesundheit potentiell schaden könnte.
Eine weitere wichtige Aufgabe besteht darin gealterte und beschädigte Zellen in unserem Körper ausfindig zu machen und zu eliminieren. Um dies zu gewährleisten, zirkulieren die Immunzellen ständig durch unser Blut, das Lymphsystem und die Gewebe, wobei sie körpereigene von körperfremden, sowie gesunde von kranken Zellen unterscheiden können.
Wichtige Vertreter der Immunzellen sind die T-Zellen oder T-Lymphozyten.
Auf ihrer Oberfläche sitzen unter anderem die Proteine CTLA-4 und PD-1, die wie eine Bremse auf unser Immunsystem wirken. Was zunächst nach einem Nachteil klingen mag, ist von fundamentaler Wichtigkeit, denn diese Bremsen verhindern, dass Immunzellen nicht „hemmungslos“ auch unsere gesunden Körperzellen attackieren.
CTLA-4 und PD-1 zählen daher zu den Kontrollpunkten oder Checkpoints unseres Immunsystems.
Würde die Aktivität der Immunzellen nicht so streng kontrolliert werden, könnte es leicht zu chronischen Entzündungen wie Autoimmunerkrankungen kommen.
Bei einer Tumorerkrankung kann sich dieser lebenswichtige Kontrollmechanismus jedoch negativ auswirken, wenn die T-Zellen dadurch in ihrer Aktivität gegen Tumorzellen gebremst werden.
Allison und Honjo kamen unabhängig voneinander auf die geniale Idee, diese Checkpoint-Moleküle zu blockieren, d. h. die Bremsen der T-Zellen zu lösen, um so Krebszellen effektiv vom Immunsystem attackieren lassen zu können.
Der US-amerikanische Biologe und Immunologe James P. Allison, der schon als kleiner Junge seine Mutter an einer Lymphdrüsenkrebserkrankung verlor, entdeckte 1995 das CTLA-4 und trug somit maßgeblich zur Entwicklung des Medikamentes Ipilimumab bei, welches seit 2011 eingesetzt wird.
Tasuku Honjo ist ein japanischer Immunologe, der den Mechanismus der Immunhemmung durch PD-1 entdeckte. Auf Grundlage seiner Forschungen kamen im Jahr 2014 zwei Medikamente namens Nivolumab und Pembrolizumab, die ebenfalls in der Krebstherapie eingesetzt werden, heraus. In Deutschland zugelassen sind sie seit 2015.
Studien zufolge erwies sich die Therapie bisher bei schwarzem Hautkrebs und fortgeschrittenem Lungenkrebs als besonders wirkungsvoll.
Auch werden bereits Kombinationen aus Anti-CTLA-4- und Anti-PD-1-Medikamenten erfolgreich eingesetzt.
In ihrer Begründung erklärte das Nobelpreiskomitee, die Forschungen der Checkpoint-Inhibitoren-Therapie hätte die Krebsbehandlung revolutioniert und den Kampf gegen Krebserkrankungen entscheidend vorangetrieben.
Trotz allem, von einem „Wundermittel“ kann man leider noch nicht sprechen.
Zum einen hat die Therapie starke Nebenwirkungen: Neben Müdigkeit, Fieber und Hautreaktionen kann es auch zu Funktionsstörungen der Schilddrüse, der Nebennieren und der Hirnanhangsdrüse sowie zu Entzündungen des Darms kommen.
Diese Begleiterscheinungen sind verständlicherweise zu erwarten, denn nach dem Lösen der Bremsen sind wie zuvor gesagt die wichtigen Regulationsmechanismen außer Kraft gesetzt und das Immunsystem richtet sich auch gegen unsere gesunden Körperzellen.
Außerdem fallen für die Behandlung extrem hohe Kosten an: Pro Jahr und Patient kann man in Deutschland mit um die 100.000 Euro rechnen.
Erschwerend hinzu kommt zudem, dass nur etwa 20-50% der Patienten überhaupt auf die Medikamente reagieren.
Wenn ein Patient jedoch auf die Immuntherapie anspricht, dann sehen die Statistiken äußerst vielversprechend aus und es lässt sich nicht selten echte Heilung erreichen, wo dies vorher unmöglich war – besonders im Vergleich zur herkömmlichen Chemotherapie.
Und trotz der genannten Erschwernisse, glauben viele Experten daran, dass die Checkpoint-Inhibitoren-Therapie schon bald eine immens wichtige Rolle in der Krebstherapie spielen wird und viele weitere Menschenleben zu retten vermag.
Ein sehr interessanter Artikel! Ist bereits erforscht, warum manche Patienten nicht auf das Therapie reagieren?
*die Therapie
Sehr spannend! Bedeutet das eigentlich im Umkehrschluss, dass eine Person mit Autoimmunerkrankung seltener an Krebs erkrankt?
Liebe Christiane,
nein, dies ist leider nicht der Fall.
Im Gegenteil fördern viele immun-unterdrückende Medikamente, die Personen mit einer Autoimmunerkrankung einnehmen müssen, die Entstehung eines Tumors.
Beispielsweise ist das Risiko eines Dickdarmtumors bei der Erkrankung Colitis ulcerosa stark erhöht, beim systemischen Lupus erythematodes und bei der Thyreoiditis Hashimoto besteht ein erhöhtes Risiko an einer Leukämie zu erkranken.
Bei den „klassischen“ Tumortherapien wie Chemotherapie und Bestrahlung ist das ganz ähnlich: Dieselben Mechanismen, welche etablierte Tumoren zerstören, wirken mutagen und fördern deshalb die Entstehung von Zweittumoren. Dieses mit der Therapie verbundene Risiko lässt sich aber nicht vermeiden und ist wesentlich geringer, als das Risiko für Gesundheit und Leben durch den Primärtumor.
Falls du noch weitere Fragen zu dem Thema hast, kannst du dich an das Institut für Immunologie der Universität Greifswald unter der Leitung von Prof. Barbara Bröker wenden.
Liebe Grüße Anna 🙂
Liebe Greta,
die bisherigen Studien und Ergebnisse zeigen, dass tendenziell Tumore mit zahlreichen Mutationen am besten auf die Therapie reagieren.
Dies passt auch zu der Vorstellung, dass Tumor-spezifische T-Zellen hier die entscheidende Rolle spielen, denn diese erkennen bevorzugt Neoepitope, d.h. veränderte Peptidsequenzen, welche durch die tumortypischen Mutationen in antigenen Proteinen entstehen.
Also: Die T-Zellen erkennen mutierte, veränderte Strukturen am besten.
Ich hoffe, das konnte deine Frage beantworten.
Wenn dich die Thematik interessiert und du noch weitere spezifischere Fragen hast, kannst du dich zum Beispiel auch an das Institut für Immunologie der Universität Greifswald unter der Leitung von Prof. Barbara Bröker wenden.
Liebe Grüße Anna 🙂
Hey Anna,
danke für die Erklärung, sie war so verständlich, dass sogar ich Bio-Schussel alles nachvollziehen konnte. Schreib gerne mehr Artikel über „alltagsbiologische“ Themen 🙂