Für viele Naturliebhaber ist es ein Traum, einmal die dramatische Landschaft Patagoniens zu erleben. Ich gehöre zu dieser Gruppe von Menschen und habe es mir auf meiner Reise durch Chile nicht nehmen lassen, diesen Teil des Landes auf ganz besondere Art zu erkunden. Gemeinsam mit einem Freund reiste ich vier Wochen lang per Anhalter und mit Zelt entlang der Carretera Austral bis in die südlichste Spitze Amerikas auf einer Strecke von über 2500 Kilometern.
Patagonien ist der unterste Teil des amerikanischen Kontinents und erstreckt sich auf die Länder Chile und Argentinien. Während es auf der argentinischen Seite überwiegend flache Steppe zu sehen gibt, bietet Chile die atemberaubenden Berge der Anden und faszinierende Gletscher und Fjorde, die einen zum Staunen bringen. Es gibt es dort unten nur noch wenig Zivilisation und nur eine große Straße, die von Puerto Montt im Norden bis in den Süden durch Patagonien führt. Diese Straße ist die Ruta 7 beziehungsweise die Carretera Austral und sie ist insbesondere unter Trampern sehr bekannt und bietet aufregende Fahrten mit immer wechselnden tollen Aussichten.
Unsere Reise begann auf Chiloe, der zweitgrößten Insel Südamerikas und unser Ziel sollte die einzige südamerikanische Insel sein, die größer ist: Feuerland. Chiloe hat einige traumhafte Nationalparks im Angebot, aber wir wussten, dass Patagonien noch so viel mehr zu bieten hat und so zog es uns schnell weiter. Wir nahmen eine Fähre über Nacht und kamen am nächsten Morgen in Puerto Cisnes an; einem Ort circa 20 Kilometer entfernt von der Carretera Austral. Als wir später zum ersten Mal am Ortsausgang den Daumen raushielten in der Hoffnung nach netten Chilenen, die uns ein Stück mitnehmen, erwartete uns eine ganz besondere erste Mitfahrgelegenheit. Nach nur fünf Minuten Warten hielt ein Polizeiwagen neben uns und bot uns tatsächlich an, uns die Strecke bis zur Carretera Austral mitzunehmen. In dem kleinen Ort ist einfach nicht viel los und sie hatten nichts zu tun, also stiegen wir ein und ließen uns die ganze Strecke von den beiden Polizisten über unsere Reisen und unser Privatleben ausfragen. Und dann waren wir an der Straße, die uns über die nächsten Tage durch fast ganz Patagonien führen sollte und das Abenteuer konnte losgehen.
Auf dieser Strecke der Ruta 7 mussten wir nie länger als 10-15 Minuten warten, bis jemand für uns anhielt und uns meistens die ganze Strecke mitnahm, die wir geplant hatten. Wir unterhielten uns jeden Tag mit neuen, unglaublich freundlichen und interessanten Menschen. Wobei mein Freund meist das Reden übernahm, da sein Spanisch besser war und ich bin dafür ständig eingeschlafen während der Fahrt. Schade um die schöne Aussicht, die ich verpasst habe, aber es zeigt ja nur, dass ich mich sicher und wohl gefühlt habe in den Autos. Wir erlebten Menschen in den kleinsten Autos, die versuchten, uns und unsere großen Reiserucksäcke unterzubekommen oder fuhren in großen LKW mit, die Feuerland mit Trinkwasser beliefern. Auf Chiloe hatten wir einen Platten und mussten kurzerhand den Ersatzreifen anbringen, der nach einem Anruf mit dem öffentlichen Bus geliefert wurde. Wir waren im November unterwegs und somit knapp vor der Hauptsaison, wodurch wir unterwegs nur ab und zu andere Tramper trafen, diese jedoch auf der Strecke immer wieder an verschiedenen Orten. Man kennt sich irgendwann.
Nach etwas mehr als 800 Kilometern per Anhalter auf der Carretera Austral und vier spannenden Zwischenstopps kam diese Straße zu einem Ende und wir mussten in Chile Chico über die Grenze nach Argentinien gehen. Dort schummelten wir etwas, da dieser Teil Patagoniens uns nicht reizte und fuhren mit dem Nachtbus direkt in das Wandererparadies El Chaltén. Ich war schon vorher ganz begeistert von Cerro Torre und Fitz Roy, den zwei bekanntesten Bergen dieser Region, und freute mich riesig über unsere geplante Dreitagestour durch den Nationalpark. Drei Tage ohne Zivilisation, ohne Handy und ohne jegliche Kosten unterwegs in der wunderschönen Natur Patagoniens. Ich war einfach glücklich!
Doch wir mussten dieses Paradies hinter uns lassen, um ein neues zu suchen. Also noch einmal ab in den Bus zurück über die Grenze in die chilenische Stadt Puerto Natales. Von dort kann man den berühmten Nationalpark Torres del Paine besuchen, aber leider waren schon alle Zeltplätze ausgebucht und wir waren auch nicht bereit, die übertrieben hohen Kosten im Park zu zahlen. Wir standen also wieder regelmäßig am Straßenrand zum Trampen und kamen schnell weiter in den Süden nach Punta Arenas. Als wir von dort weiter trampen wollten, entschieden wir uns für den direkten Weg, der aber auch sehr viel weniger befahren ist. Dadurch hatten wir zum ersten Mal sehr lange Wartezeiten und teilweise nur sehr kurze Strecken, die wir mitgenommen wurden. Mitten im Nirgendwo ohne jeglichen Windschutz mussten wir kreativ werden und bauten uns kurzerhand einen improvisierten Windschutz aus Stöckern und unseren Isomatten. Aber nach einem kompletten Tag auf der Straße und insgesamt fünf verschiedenen Mitfahrgelegenheiten (inklusive zwei großen LKW) waren wir endlich in Feuerland und hatten erneut die Grenze überquert.
Spät abends setzte uns der LKW-Fahrer in Rio Grande ab und wir wurden die restliche Strecke umsonst von einem Taxi-Fahrer mitgenommen. Nach dem langen Tag waren wir unglaublich erschöpft und dem Taxi-Fahrer einfach nur extrem dankbar. Gleichzeitig stieg die Aufregung, denn nun war Ushuaia, der südlichste Ort der Welt, in greifbarer Nähe. Früh morgens hielten wir wieder fleißig die Daumen raus und nach nur wenigen Minuten hielt unsere wohl rasanteste Mitfahrgelegenheit der ganzen Reise. Wir düsten mit teilweise 170km/h über die kleine Landstraße und kamen ruckzuck am Ende der Welt an.
Nach 2500 Kilometern Fahrtstrecke in fast vier Wochen kamen wir endlich an unserem Ziel in Ushuaia an und nach so langer Vorfreude ist der Ort dann doch ein wenig ernüchternd. Ushuaia ist recht unspektakulär und sehr windig, aber dafür ist es umgeben von tollen Nationalparks, in denen man Pinguine bestaunen und wandern gehen kann. Außerdem gibt es dort die Möglichkeit, sich einen Stempel in den Pass zu setzen, als offizieller Beweis, dass man am Fin del Mundo, also dem am Ende der Welt war.
Jedem, der das Land und seine Menschen so richtig kennenlernen möchte, kann ich das Reisen per Anhalter absolut ans Herz legen. Chile ist ein sehr sicheres Land und die Einwohner sind sehr aufgeschlossen und interessiert an uns Besuchern. Man kann zwar auch ohne Spanisch zurechtkommen, jedoch würde ich zumindest ein Grundwissen der spanischen Sprache empfehlen, um sich auch wirklich mit den Chilenen unterhalten zu können. Ich bin in den drei Monaten Aufenthalt von sehr geringen Kenntnissen auf ein gutes Konversationsniveau gekommen. Meine Zeit in Chile ist eine ganz besondere Erinnerung und das ist allein den tollen Menschen und den traumhaften Bergen geschuldet.
Doch am Ende müssen auch wir, wie es schon vor 25 Jahren die Band Keimzeit besang, wieder aus Feuerland zurück, nach Hause, im Wienerwalzerschritt.
Beitragsbilder: Rike Gelke