Volles Haus im Soziokulturellen Zentrum St. Spiritus: Am gestrigen Abend war Andreas Kemper zu Gast in Greifswald, um über das Thema „Demokratie in Gefahr? Rechtspopulismus im Landtag von M-V und in den Gemeinden Vorpommerns“ zu referieren.

Das Bündnis „Greifswald für alle“ lud in Kooperation mit der Amadeo Antonio Stiftung und dem Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) den Soziologen aus Münster ein, um einen Blick auf die aktuellen rechtspopulistischen Bestrebungen in M-V und Deutschland zu werfen. Nach über einem halben Jahr von rechtspopulistischen Akteuren im Schweriner Landtag sprach er anlässlich des Themas auch über die Aktivitäten und Entwicklungen der Nordost – Alternativen für Deutschland (AfD) und ihrer Mandatsträger. Dabei ging der Referent zusätzlich auf die Verflechtungen der beteiligten Akteure in die rechte Szene ein. Andreas Kemper wurde bereits im Sommer 2016 durch das Bündnis „Greifswald für alle“ anlässlich des Auftritts von Frauke Petry in Anklam nach Vorpommern zu einem Vortrag eingeladen.

Über Andreas Kemper und die AfD

Andreas Kemper (Soziologe)

Der Soziologe mit Schwerpunkt Klassismus und Antifeminismus hat insbesondere zu den unterschiedlichen Bildungschancen von Arbeiter- und Akademikerkindern geforscht. Bei diesen Arbeiten sind ihm die Vorläuferorganisationen der AfD (u.a. die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM), die Zivile Koalition, die Wahlalternative 2013 und die Freien Wähler) aufgefallen, weshalb er sich eingehender mit dem Werdegang dieser Partei beschäftigte. Bei seinen Recherchen deckte er etliche organisierte Netzwerke und personelle Verflechtungen auf, die sich dann in den verschiedenen Flügeln der AfD wiederfanden und sich strukturell weiter entwickelten, wie beispielsweise in die Identitäre Bewegung, der Einprozent Bewegung oder Pegida. Das brisanteste personelle Geflecht, das Andreas Kemper aufdeckte, ist dabei die Verbindung zwischen Thorsten Heise (NPD), Götz Kubitschek und Björn Höcke (AfD) und die wahrscheinliche Autorenschaft von Letzterem in neonazistischen Zeitschriften als „Landolf Ladig“. Dass Höcke NPD-Nähe besitzt und rechtsextremistische Ideologien seit längerer Zeit vertritt, ist mit Bezug auf Kempers Recherchen mittlerweile nicht nur von vielen bekannten Medien, sondern sogar von innerparteilichen Gegnern aufgegriffen worden. Aktuell scheint gegen den beurlaubten Gymnasiallehrer als Teil des rechten Flügels der Partei und Vorsitzenden der AfD-Fraktion im Thüringer Landtag sowie Landessprecher der AfD Thüringen ein Parteiausschlussverfahren unmittelbar bevorzustehen, wie Medienberichte zeigen. Seit der Gründung der Partei differenziert der Soziologe in jeweils den neoliberalen, den radikalreligiösen und den völkischen Flügel.

Rechtspopulismus im Landtag Mecklenburg-Vorpommerns

Mittels einer Statistik der bisherigen Anträge der AfD im hiesigen Landtag zeigte der Soziologe auf, welche Thematiken am häufigsten durch die Partei im Nordosten verwendet wurden und wie diese einzuordnen ist. Dabei kam er zu dem Ergebnis, dass besonders die Themen Innenpolitik und Recht, vor allem im Bereich Polizei und Extremismus durch kleine Anfragen an die Landesregierung fokussiert wurden. Von 78 Anträgen wurden 40 im Bereich Integration und Asylrecht gestellt, danach folgend Finanzen und Personal mit 36 Anträgen. Auch in Bezug der Landwirtschaft und Fischerei war das Thema Asylrecht enthalten.

In den verschiedenen kleinen Anfragen ging der Soziologie u.a. auch auf den beurlaubten Greifswalder Jura-Professor Ralph Weber ein, der beispielsweise zu den Verwaltungsgerichtskosten im Asylverfahren Informationen einholte. Auch auf die Anfrage „Gewalt von unbegleiteten, minderjährigen Ausländern in Rostock“ oder die Erweiterung des Volksverhetzungsparagraphen um „Deutschenfeindlichkeit“ mit einem Vergleich zur Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) in Wien, die dort eine Meldestelle für „Inländerfeindlichkeit“ eingerichtet hat, ging Kemper ein. Zu erkennen sei, so der Soziologe, dass die AfD in Mecklenburg-Vorpommern sich vorrangig um das Thema Asyl, Asylsuchende und die Kosten von Integration beschäftige, was beispielsweise auch in den kirchlichen Bereich durch die kleine Anfrage zum Kirchenasyl erkennbar sei. Außerdem stehe das Thema „Gender“ bzw. „Gender Studies an Hochschulen“ demnach im Fokus der Partei, die beispielsweise in Niedersachsen Institute für Geschlechterforschung, und darüber hinaus auch in der Migrationsforschung, zur Schließung markiert hat. Neben diesen Themen sei auch die Identitäre Bewegung auf der Agenda: so stellte Holger Arppe, Beisitzer des Landesvorstand der AfD in Mecklenburg-Vorpommern und Mitglied der Rostocker Bürgerschaft und der Ortsteilvertretung Schmarl, der bereits wegen Volksverhetzung verurteilt ist, eine kleine Anfrage, um sich u.a. nach Anhaltspunkten zur Gefahr der ursprünglich aus Frankreich stammenden, neurechten, elitären Jugendbewegung für die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu erkundigen, wie der Soziologe darstellte. Desweiteren thematisierte er die Anfragen zu den Kosten des NPD-Verbotsverfahrens, dem Migrationshintergrund der Landespolizei, der Kündigung des Rundfunkstaatsvertrag, den „Sozialleistungsbetrug durch Flüchtlinge und Asylsuchende“ sowie der Ausbreitung der Tuberkulosefälle in M-V in Bezug auf ankommende Asylbewerber der letzten Jahre. „Da werden halt Flüchtlinge und Geflüchtete mit Krankheiten gleichgesetzt und das ist halt ein typisch rassistisches Vorgehen.“, so Kemper.

Völkisch, Völkischer, Weber

Beurlaubter Rechtsprofessor der Uni Greifswald und Mitglied des Landtags, Ralph Weber (AfD)

Der Soziologe verwies in seinem Referat auf einen Facebookpost des AfD-Landtagsmitglieds Ralph Weber aus dem Wahlkreis Vorpommern-Greifswald III, in welchem dieser sinngemäßg forderte, gegen den „großen Austausch“ vorzugehen. Ursprünglich, so Kemper, käme dies aus der Identitären Bewegung Österreichs, die bereits seit ihrem Auftreten einen „Austausch der Bevölkerung“ postuliere. Auch die von Weber verwendete, nach kritischen Medienberichten in einer Klarstellung gestrichene Formulierung „Biodeutsche„, demnach man deutsche Eltern und 4 deutschen Großeltern haben müsse, steht, neben der Aussage: „Denn dann findet dieser „Große Austausch“ nicht statt. Wir müssen und werden dafür sorgen, dass unsere Heimat auch in 30 Jahren noch von deutscher Kultur, deutschen Traditionen, unserer deutschen Sprache und einer deutschen Leitkultur geprägt und geformt wird.“, dem Ariernachweis der Nazis nahe. „Das ist völkisch, völkischer geht’s nicht.“, so der Soziologe. Auch auf die von ihm bewusst verwendeten Begrifflichkeiten wie „Tätervolk„, die Martin Hohmann, der anschließend u.a. wegen der Verwendung dieses antisemitischen Begriffes aus der Christlich-Demokratischen Union (CDU) rausflog, sowie „Schuldkult„, einem typischen Begriff der NPD, geht Andreas Kemper ein. Ähnlich wie bei Höcke, so der Soziologe, wird laut Weber „die gesamte germanische Zeit ausgeblendet“. Auch auf die bereits kritisierte Redewendung von Höcke, Wende um 180 Grad,  bzw. auch Kehrtwende genannt, zeichne eine Positionierung des beurlaubten Rechtsprofessors der Universität Greifswald hinter dem thüringischen Landeschef der AfD aus, erklärt Kemper. Zur äußeren Wirkung des Landesverbandes in Mecklenburg-Vorpommern stellt der Soziologe jedoch fest: „Was mich auch wundert bei der AfD in M-V ist die Friedlichkeit der verschiedenen Flügel, weil in NRW ist es komplett gespalten.(…) Hier in M-V scheinen die alle irgendwie gut miteinander klarzukommen, zumindest nach außen hin.“ So erkenne man bundesweit eigentlich eine Trennlinie zwischen gemäßigtem und rechten Flügel. Jedoch, so merkte Kemper an, könne er sich auch in Bezug auf den hiesigen Landesverband irren. In jedem Fall sollte die ideologisch am rechten Rand befindliche Ausrichtung des Landesverbandes nicht unterschätzt werden.

Ein Resümee von Greifswald für alle

Das Bündnis zeigt sich sehr zufrieden mit der gestrigen Veranstaltung zum Thema „Demokratie in Gefahr?“, so Robert Gabel:

Wir als Bündnis kennen Kempers Recherchen, die sehr erschreckend aufdecken konnten, welche extremistischen Netzwerke es bis in die obersten Riegen der AfD hinein und welche direkten Anleihen es aus der NS-Zeit bei etlichen Protagonisten der Partei gibt. Dies konnte nun ergänzt werden durch das Vorgehen der AfD im Landtag von MV, durch hiesige Vernetzungen und konkrete radikale Verlautbarungen. Das war eine wirklich wichtige Veranstaltung und die zahlreichen Fragen und Diskussionen im Anschluss zeigten auch deutlich die Brisanz der angesprochenen Fakten. Ich denke, wir werden in einem Jahr Andreas Kemper nochmal einladen und ein Update anbieten.

Titelbild: Paul Zimansky, Bild Kemper: CC BY-SA 3.0, Bild Weber: mit freundlicher Genehmigung von Endstation Rechts.