Am gestrigen Mittag versammelten sich an der Europakreuzung über 200 Menschen, um gegen die Abschiebungen von Geflüchteten nach Afghanistan zu demonstrieren. Dem landesweiten Aufruf „Keine Abschiebung nach Afghanistan – Jede Abschiebung dorthin ist Unrecht!“ des Netzwerks „Afghanistan – nicht sicher“ folgten insgesamt 500 Menschen in 16 Mahnwachen, darunter auch in Szczecin. Es kam zu Zwischenfällen.


Einen Monat ist es her, als am 14. Dezember 2016 der erste größere Abschiebeflug seit 12 Jahren von Frankfurt am Main nach Kabul mit insgesamt 34 afghanischen Geflüchteten startete. Hintergrund ist eine neue Einschätzung der Lage in Afghanistan: Bundesinnenminister Thomas de Maizières, gleichzeitig oberster Dienstherr des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF), sprach bereits im Februar 2016 von „sicheren Gebieten“, darunter „viele Provinzen im Norden“. Außerdem stellte er schlechte Asylaussichten afghanischer Geflüchteter in Deutschland aus. Mit Folgen für deren Schutzquote: während diese 2015 noch bei 78% lag, schrumpfte sie bereits im 1. Halbjahr 2016 auf 52,9%. Sicher ist dabei nur eines: jeder zweite Asylantrag wird abgelehnt.

Gründung des Netzwerks gegen Afghanistanabschiebungen in M-V

Als Reaktion auf die steigende Gefahr von Abschiebungen afghanischer Geflüchteter gründeten engagierte Menschen im November 2016 ein Netzwerk, um fortan gemeinsam auf Landesebene die Miss- und Zustände in der Asylpolitik zu kritisieren. In einer Forderung an die Landesregierung heisst es u.a.:

Alle Afghanen und Afghaninnen mit Duldung müssen eine Aufenthaltserlaubnis bekommen. Mindestens ein Abschiebeverbot nach §60 (5) oder (7) des Aufenthaltsgesetzes. Dieser Paragraf bedeutet ein Abschiebeverbot für alle diejenigen, die in ihrem Herkunftsland von gravierenden Menschenrechtsverletzungen bedroht sind.

Darüber hinaus sollen alle afghanischen Geflüchteten bei den Problemen unterstützt werden, die nun aufgrund der asylpolitischen Lage auf sie zukommen. In Anbetracht der diesjährigen Bundestagswahlen und im Rückblick der vergangenen Landtagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern zeigt das Netzwerk eine eindeutige politische Position: mit Menschenleben darf kein Wahlkampf gemacht werden. In mehreren, vorherigen landesweiten Vernetzungstreffen legten die VertreterInnen bereits der Grundstein für die heutige Mahnwachenaktion gegen die Afghanistanabschiebungen.

16 Mahnwachen – über 500 Teilnehmende

Das Netzwerk konnte in einer ersten landesweiten Aktion zu 16 Mahnwachen mobilisieren, darunter eine in Stettin. Auf Anfrage des webmoritz. sprach das Netzwerk u.a. von etwa 40 Teilnehmenden in Anklam, je 50 Anwesenden in Demmin, Pasewalk, Neustrelitz und Rostock, 20 in Stettin, 30 in Ribnitz-Damgarten sowie Wismar und 15 in Wolgast. Mit über 200 Menschen konnte Greifswald darüber hinaus ein zivilgesellschaftlich starkes Zeichen setzen. Die hiesige Mahnwache wurde mit afghanischer Musik begleitet und durch Redebeiträge von Fritz (Initiative „Greifswald hilft Geflüchteten“), Mignon Schwenke (MdL, DIE LINKE) und Christine Deutscher (Flüchtlingsbeauftragte des Pommerschen Evangelischen Kirchenkreises) inhaltlich unterstützt. Die RednerInnen machten auf die aktuelle Problematik der Abschiebungen von Geflüchteten nach Afghanistan, der Rolle und Verantwortung Deutschlands, aber auch auf die miserablen und unmenschlichen Zustände in Afghanistan aufmerksam. In einem klaren Statement stellte Fritz auf der Mahnwache klar:

„Afghanistan ist nicht sicher. (…) 11.000 zivile Opfer im letzten Jahr sprechen eine eindeutige Sprache. (…) In 31 von 34 Provinzen in Afghanistan wird immernoch gekämpft und trotzdem sollen Leute dahin zurückgeschickt werden, die teilweise auf sich alleine gestellt sind, ohne soziale Sicherungssysteme, dort eigentlich in den Tod zurückgeschickt werden und das wird von unserer Bundesregierung ganz bewusst in Kauf genommen. (…) Es ist total toll, dass soviele Menschen das Problem erkannt haben und heute, auch in den anderen Städten, zusammen gekommen sind.“

greifswald

Mit der Resonanz der Veranstaltung zeigen sich die Organisatoren sehr zufrieden:

Wir haben vorsichtig von 200 Teilnehmenden geträumt, aber dass diese Zahl am Ende sogar übertroffen wurde begeistert uns und lässt uns motiviert an die anstehenden Aufgaben herangehen. Es zeigt, dass sich in Greifswald viele Menschen aus unterschiedlichsten politischen und humanistischen Zusammenhängen für die Thematik interessieren und sich von Schnee und Kälte nicht abhalten lassen, sich mit von Abschiebung bedrohten Menschen solidarisch zu zeigen.

 

Zwischenfälle bei landesweiten Mahnwachen

Doch nicht überall stießen die Mahnwachen auf Sympathie. Auf Anfrage des webmoritz. berichtete ein Sprecher des Netzwerkes über einige Provokationen, negative Reaktionen und Störaktionen. In Demmin gab es viele negative Rückmeldungen von PassantInnen, die negative Wortlaute gegen Asylsuchende aussprachen. Auch Autofahrer hielten an und stiegen aus, um ihren Unmut kundzutun. In Anklam und Pasewalk kam es zur Beobachtung der Veranstaltungen durch Personen aus dem neonazistischen Umfeld. Dazu berichtet die Polizei, dass in Anklam fünf namentlich bekannte Mitglieder der örtlichen rechten Szene vom Kameradschaftsbund auftauchten und ein Plakat mit der Aufschrift „Refugees not welcome“ zeigten. Zu einer Auseinandersetzung sei es nicht gekommen. Die Polizei prüfe nun den Straftatbestand der Durchführung einer nicht angemeldeten Versammlung gem. § 24 VersG. In Stralsund versuchten Neonazis die Veranstaltung zu stören, wie das Netzwerk berichtet. Ob und wie man im einzelnen darauf reagieren möchte, bleibt abzuwarten. Fest steht jedoch wie es weitergehen soll. Ein Sprecher des Netzwerks äußerte gegenüber dem webmoritz.:

Auf der erfolgreichen Durchführung der ersten Aktionen wird sich das Netzwerk nicht ausruhen sondern Kraft für zukünftige Projekte schöpfen. Einmaliger Protest wird in den Köpfen der Regierenden nichts verändern, steter Protest schon. Wir sehen es auch als unsere Aufgabe an, innerhalb der Bevölkerung für Aufklärung über die Situation in Afghanistan zu sorgen und Aufmerksamkeit für das Thema zu erzeugen, so dass sich eine breite Gegenöffentlichkeit bildet, die sich mit weiteren Abschiebemaßnahmen nach Afghanistan nicht einverstanden zeigt.

 

(Beitragsbild: Bigi Schulz; Fotos: Netzwerk: Afghanistan – nicht sicher)