Der freie Journalist Sören Kohlhuber veröffentlichte im August vergangenen Jahres das Buch „Deutschland, Deine Nazis“. Es zeigt eine Dokumentation von insgesamt 18 neonazistischen Aufmärschen aus dem Jahr 2014.
Er tourt durch die gesamte Bundesrepublik: von Saalfeld nach Bremen, von Aachen über Leipzig, nach Rostock und Köln, um einige seiner Lesetermine zu nennen. Nun war er kürzlich zu Gast in Greifswald. Das Interesse an der journalistischen Arbeit, an der Dokumentation von Neonaziaufmärschen, ist groß. So auch bei der hiesigen Lesung: über 40 Menschen hatten sich eingefunden, um mehr über Sören Kohlhuber und seine Arbeit zu erfahren. Nach einer interessanten Vorstellung seiner Person, die durchweg sehr sympathisch und aufgeschlossen wirkte, folgte die Lesung. Wie auch bei anderen Lesungen überließ er hier den Gästen die Wahl zwischen seinem neuen Buch, welches im Herbst diesen Jahres erscheint, und seinem alten. Während in „Deutschland, Deine Nazis“ NPD- und bundesweite Neonazikader Demonstrationen dokumentiert wurden, geht es im neuen Buch vor allem um die aktuelle Entwicklung der sogenannten „besorge Bürger*Innen“-Bewegungen, die sich seit Pegida Ende 2014 in zahlreichen Städten formierten. Die anwesenden Gäste wollten u.a. von seiner Dokumentation vom 02.02.2015 in Stralsund hören, als MVgida im tiefsten Winter durch die Hansestadt marschierte. Nach knapp zwei Stunden, in denen Sören Kohlhuber über seinen Weg in den politischen Journalismus, seine Erfahrungen im Umgang mit Neonazis und seinen Erlebnissen von den bisherigen Leseterminen berichtete, endete eine durchweg interessante Lesung zum alten und neuen Buch. Besonders hervor stach vor allem, dass alle neuen 50 dokumentierten Demonstrationen von 2015 viel über die jeweilige Geschichte der Städte erzählen, bevor es zum eigentlichen Aufmarsch und Drumherum geht. Der Rechercheaufwand für zahlreiche weitere Informationen nahm, wie er es selbst beschrieb, mit dem neuen Buch enorm zu. Alle 50 Dokumentationen von 2015 sind aus Mecklenburg-Vorpommern, Berlin/Brandenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Bis auf eine aus Hamburg. Dies zeigt vor allem eines: während vermehrt in Westdeutschland „besorgte BürgerInnenbewegungen“ und neonazistische Aufmärsche ausblieben, ist vor allem im hiesigen Osten des Landes ein Anstieg und Unterschied zu erkennen. Anlässlich der festival contre le racisme Woche in Greifswald war er im Jugendzentrum klex. zu Gast, um aus seinem Buch zu lesen. Der webmoritz. hat sich mit ihm unterhalten: zwischen Fussball, Nazis und Feine Sahne Fischfilet.
Es gibt tatsächlich Bundesländer, in denen im Jahr 2014 keine Neonaziaufmärsche stattfanden. (…) Allgemein ist ein klarer Ost-West-Unterschied erkennbar.
(Sören Kohlhuber, Deutschland deine Nazis, Vorwort)
Zwischen Fussball, Nazis und Feine Sahne Fischfilet
Nach der Lesung ist vor dem Interview. Sören erklärte sich freundlicherweise bereit, mit uns über seine politisch-journalistitsche Arbeit zu reden. Aber auch über die Person selbst, seinem Verhältnis zum Fussball und zur Band Feine Sahne Fischfilet konnten wir viel erfahren, doch lest selbst.
Sören, als freier Journalist fotografierst und begleitest du ja nicht nur Neonaziaufmärsche, sondern du berichtest auch darüber. Beschreibe uns mal kurz, wie sich dein Alltag in den letzten Jahren zwischen Privatleben und deiner journalistischen Tätigkeit verändert hat.
Er ist anders indem Sinne, dass ich mehr in der Öffentlichkeit stehe, als es noch davor der Fall war, d.h. ich muss mir überlegen was ich sage und was ich mache. (…) Dass Leute mich eventuell erkennen, manchmal auch böswillige Leute, die mich erkennen, anhand von Aufmärschen. Das hatte ich früher halt nicht.
Du hast ja gestern die Demonstration der Identitären Bewegung in Berlin begleitet. Sie ist neben Pegida ein großes Sammelbecken der Neuen Rechten. Wie bewertest du diese parallele Entwicklung dieser „Zusammenschlüsse“ neben den ohnehin gefährlichen NPD- und Kameradschaftsstrukturen? Siehst du darin eine noch größere rechte Gefahr für Deutschland bzw. für Europa?
Jein. Einmal ist es nicht immer, was nebenbei läuft. Wir wissen von einigen NPD JN-Kadern, die in diese Bewegungen reingegangen sind, sprich wir haben keine neuen Leute, sondern es sind einfach auch zum Teil schon bekannte Personen. Viele Protagonisten aus den Bereich Neue Rechte sind Protagonisten, die wir schon 10-20 Jahren, als Fachjournalisten kennen. Die im Zuge der AfD-Erfolge und aufgrund der Pegida-Demos bekannt wurden, die aber schon vorher Politik gemacht haben. (..) Ich denke in Deutschland ist es noch was anderes als in anderen Ländern. In anderen Ländern hattest du schon deine rechtspopulistische Vereinigung, die Punkte gesammelt hat. In Deutschland ist es so, dass wir schon über Jahre wussten, anhand von Umfragen, dass es eben einen bestimmten Prozentsatz an Menschen gibt, die ein bestimmtes Klientel wählen würden, oder eine Partei wählen würden, wenn es diese Partei gäbe. (…) Es finden keine richtigen Kämpfe mehr statt im Wahlkampf. Dementsprechend ist es klar, dass es einmal diese Unzufriedenheit gibt und einmal dieses eh schon vorhandene Potential an völkischen Nationalisten, an Rassisten, an Antisemiten, an Verschwörungstheoretikern etc., diese brauchen eigentlich nur noch jetzt den entsprechenden Output oder die entsprechende Partei. Der Output ist Pegida und die Partei ist die AfD. (…) Die Frage ist eigentlich nur: haben wir jetzt den Zenit erreicht? Ich gehe davon aus, dass wir die nächsten 10-20/30 Jahre mit der AfD im Bundestag leben müssen. Die Frage ist, in welcher Größenordnung wir mit der AfD leben müssen. (…) Deutschland hat bis jetzt einfach nur Glück gehabt. Wir hatten kein Gerd Wilders, keine LePen, jetzt haben wir halt Petry und Gauland. (…) Ich denke z.B. im Zuge der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern, da wird die AfD auch einziehen. Die NPD wird rausfliegen, krachend. Die AfD wird hier zweistellig hochkommen, die Frage ist nur noch wie zweistellig und welche Machtposition werden sie danach haben. Darauf muss man sich jetzt vorbereiten und nicht dann am Wahlabend da sitzen und sagen: „Huch, das ist alles so schlimm.“
Gewalt und Anfeindungen gegen Journalisten und Medienvertreter haben bundesweit statistisch zugenommen. Auch der Hass gegen die sogenannte „Lügenpresse“ und die angeblich falsche Berichterstattung nimmt zu. Welche Erfahrungen hast du diesbezüglich bei deinen unterschiedlichen Beobachtungen von 2014 bis heute gesammelt? Bist du selbst schon einmal Opfer/Beobachter solcher Taten geworden? Wie bewertest du die Arbeit der Polizei dabei?
Wir hatten letztes Jahr sehr viele Aufmärsche. Gerade im Herbst waren es im Schnitt bundesweit pro Woche 70 Aufmärsche. Wir hatten im gesamten letzten Jahr 2015 festgestellte 710 Aufmärsche alleine in Sachsen. Dementsprechend hat die Polizei nur begrenzte Kapazitäten. (…) Das Ende der Fahnenstange sind dabei nicht Übergriffe auf Journalisten, die halt schon schlimm sind, sondern es fängt viel früher an: Passivbewaffnung, Aktivbewaffnung, Vermummung, Angriffe auch auf Gegendemonstranten, auf Polizeibeamte etc. Die sind sehr lasch behandelt worden. Die Ausschreitungen von Heidenau, da muss sich die Polizei nicht wundern, wenn der rechte Volksmob auch mal einen Riot anstößt. (…) Ich hab mich da auch durchaus mit Beamten unterhalten, hab denen auch gesagt, wenn ihr hier erst nichts macht wenn die Gegendemonstranten angegriffen und dann nichts macht, wenn Journalisten angegriffen werden, dann denkt mal wer der nächste ist. (..) Ihr solltet mal früher anfangen euer Gewaltmonopol, was ihr ja eigentlich verteidigen sollt, gegen Rechte zu beschützen. Ich selber bin nicht an Aufmärschen angegriffen worden bislang. Das liegt an zwei verschiedenen Sachen: einmal ich achte auf meine Sicherheit. Im Gegensatz zu vielen Agenturfotografen, oder irgendwelchen Style-Fotografen, muss ich nicht an die Nazis aufn Meter rangehen und deren Popel fotografieren. (…) Diese kann ich mit einem Teleskopobjektiv auch von weiter weg machen. Ich kann also einen Sicherheitsabstand einnehmen, dieser schützt mich schon mal grundlegend. Und wenn die Nazis doch in meinen Bereich kommen, das sag ich auch mal ganz offensiv: es gibt einen Tanzbereich, der ist für die Demonstrationsteilnehmer, das ist die Straße. Und es gibt einen Tanzbereich der ist meiner, das ist der Bürgersteig. (…) Hier wird nicht die Pressefreiheit eingeschränkt.
Du bist ja bundesweit unterwegs und hast deinen Horizont des Nord-Ostens bereits erweitert. Von M-V bis Sachsen, von Berlin/Brandenburg bis Hamburg und Dortmund. Welche Unterschiede in der Mobilisierung und Ausführung beobachtest du bei rechten Demonstrationen sowie den Gegendemonstrationen? Siehst du in manchen Regionen, in denen du öfters unterwegs bist, eine Mobilisierungsschwäche bzw. Stärke, sowohl für Neonazis, als auch für AntifaschistInnen? Welche Tendenz lässt sich dort in den letzten Jahren erkennen?
Die Mobilisierung ist bei den Nazis unterschiedlich. Sie ist Anlass bezogen, dementsprechend kommt ein anderes Klientel. Machen sie einen Aufmarsch gegen eine Asylunterkunft, wie in Ueckermünde unter dem Label „Schöner Leben, sicher Wohnen“, dann kommt ein anderes Klientel, als wenn sie als NPD aufrufen. Dementsprechend ist der Tag der deutschen Zukunft (TDDZ) für mich ein originärer Naziaufmarsch, während wir bei Antiasylprotesten ja öfters von Bürgerprotesten reden müssen/können, weil dort eine Menge sich aus dem bürgerlichen Spektrum oder aus dem nicht organisierten Neonazispektrum versammelt. (…) Bei der Gegenmobilisierung ist denke ich auch ein Unterschied festzustellen von strukturschwachen und strukturstarken Regionen, meint damit nicht, dass es Orte gibt mit einer starken linken Szene, sondern die Frage ist, wie engagiert ist die linke Szene vor Ort. (…) Bei Demmin sehe ich es so, ich bin jetzt vier Jahre lang in Demmin gewesen, ich werde auch nächstes Jahr kommen. Ich habe so eine Verbundenheit einfach zu Vorpommern, zu Demmin und zu den Leuten. Dementsprechend bin ich gerne hier. (…) Kaum einer in Berlin z.B. registriert, es ist notwendig: wir reden hier über einen Fackelmarsch, verdammte Scheisse, es ist 2016 und wir reden über einen Fackelmarsch. Da kann ich doch nicht einfach irgendwie zuhause sitzen. Und die Leute sitzen aber dennoch lieber zuhause, obwohl sie wissen dass da was ist. Obwohl da jedes Jahr was ist, am 8. Mai, am Tag der Befreiung, laufen Nazis mit einem Fackelmarsch durch Deutschland. Das ist für mich unglaublich. (…) Das ist auch eine Kritik die ich an den meisten Leuten in der linken Szene habe: sie sind zu konsumlastig und leben vom linken Eventtourismus.
Von deiner Leidenschaft zum Fussball bis hin zur Dokumentation von Neonazidemonstrationen hast du mittlerweile viele Veranstaltungen und Versammlungen journalistisch sowie fotografisch begleitet. Mittlerweile hast du über 20000 Fotos bei flickr hochgeladen und bereits ein eigenes Buch über deine Arbeit geschrieben. Wie ist es dazu gekommen, dass du damit begonnen hast Neonazidemonstrationen- und Veranstaltungen zu begleiten? Was hat dich dazu bewegt bzw. motiviert?
Erstmal interessant, dass ihr rausgefunden habt, dass es 20000 Bilder sind. Solche Statistiken guck ich mir nicht mal an. (lacht) Was hat mich dazu bewegt? Ich komm halt aus der Antifa-Bewegung. (…) Ich wollte ein bisschen Recherche, ein bisschen journalistische Arbeit machen. Dementsprechend bin ich da reingekommen. Das mit dem Fussball, das kommt halt so nebenbei, weil ich Fussballfan bin. Manchmal lässt sich das auch sehr gut verbinden, wenn man in bestimmte Stadien oder zu bestimmten Spielen geht. Ich hoffe jetzt auch, dass ich nächstes Jahr wieder mehr im Fussballstadion bin, als bei Demos. (…) Ich hoffe, dass ich nächstes Jahr auch mal für schöne Sachen Zeit habe, wie Fussball gucken oder mal im Ostseestadion rumstehen.
Neben den aktuellen rechten Aufmärschen besuchst du ja auch viele Städte anlässlich der Lesungen zu deinem Buch. Inwieweit hat sich dein Alltag bzw. dein Leben durch das Buch und die zahlreichen Termine verändert?
Ich hab nicht mehr so viel Zeit für Naziaufmärsche. (lacht) Ich hatte bis vor der Lesetour, 40 Naziaufmärsche dieses Jahr. Jetzt bin ich bei 44. Das heisst die Lesetour, die letzten knapp 8 Wochen, die ich diese Tour mache, hat mich doch etwas behindert in meiner sonstigen Aktivität. Eigentlich hatte ich das Ziel, 75 Aufmärsche bis zum Ende des Jahres zu sehen… ich zweifle langsam an diesem Ziel, weil ich halt so viele Lesetermine habe. Ich bekomme jetzt schon wieder Termine für den Herbst, für das neue Buch. Das heißt September, eigentlich durchgehend bis Oktober, hab ich jetzt schon Termine im Kopf. Das schlimmste eigentlich ist, unter den Naziaufmärschen hat mein Privatleben nicht so gelitten wie unter den Lesetouren, weil ich jetzt viel länger unterwegs bin. (lacht) (…) Das sorgt auch in letzter Zeit für einen Jetlack bei mir, ich weiß manchmal nicht welcher Tag heute ist, besonders wenn irgendwelche Zecken mich an einem Donnerstag oder einem Mittwoch einladen. (…) Da kann es auch mal sein, dass ich montags Bärgida verschlafe, weil man erstmal den ganzen Schlaf nachholen muss, den ich vorher nicht hatte. (schmunzelt)
Auf der zweiten Seite verrät Sören mehr über seine Zukunft, seine Arbeit mit den sozialen Medien und die speziellen Gefahren dabei. Außerdem redet er über Politik in der Fußballszene, sein neues Buch und Feine Sahne Fischfilet.