Ich möchte nicht noch einmal beim Urschlamm beginnen, da die Entwicklung an der Greifswalder Slawistik durch die Medienlandschaft bereits beschrieben wurde und sich auch moritz damit beschäftigte.
Tagesblätter, nicht alle, lieben Skandale, lechzen nach Sensation und ergötzen sich an persönlichen Untergängen, doch wurde ein Problem gelöst, dann steht der zeilenmäßige Anteil in einem starken Ungleichgewicht zu den Berichten davor. Wo liegt das Problem? Jeder kann doch die Informationen deuten und interpretieren. So sollte es sein. Die verflixte Psychologie des Menschen funkt aber dazwischen. Seit der prähistorischen Zeit werden schlechte Informationen besser gespeichert und sind schneller wieder abrufbar. Das war damals zweifelsfrei überlebenswichtig. Doch heute sieht es etwas anders aus. Der sich täglich eine Zeitung kaufende Mensch könnte noch immer glauben, dass südwestlich des Rubenow-Denkmals demnächst das Licht ausgeschaltet werden wird. Das hat natürlich Auswirkungen auf das Verhalten von frischen Abiturientinnen und Abiturienten für die Wahl ihres Studienfachs. Noch im letzten Sommer ging es an der Slawistik heiß her. Die Zukunft der Ukrainistik stand auf der Kippe. Die Studierendenschaft mobilisierte dagegen und seitens des Instituts wehrte man sich, allen voran Slawistik-Chef Prof. Brehmer, mit Händen und Füßen gegen die für viele nicht nachvollziehbaren Kürzungspläne, die in einer Zeit diskutiert wurden, in der es ausgerechnet ziemlich bedrohlich in der Ukraine zuging. Das könnte doch die eine oder andere Frage aufwerfen. Die Öffentlichkeit interessiert, was in der Ukraine los ist, wie die Perspektiven aussehen könnten. Deutschland sei für die Ukrainer nämlich wichtiger Handelspartner, so die deutsche Botschaft in Kiew.
Ein neues Kompetenzzentrum entsteht
In Greifswald wurden alle Hürden überwunden und am Ende gaben Universität, Bildungsministerium und Außenministerium unter Frank-Walter Steinmeier grünes Licht für den Erhalt des Lehrstuhls für Ost- und Westslawische Philologie, der nun ein viel stärkeres ukrainistisches und kulturwissenschaftliches Profil bekommt und „Ukrainische Kulturwissenschaften“ heißen soll. Die Aktualität der Ukraine könnte für die Uni Greifswald eine Chance sein, ein bundesweites Kompetenzzentrum für Ukraine zu etablieren, denn der Wunsch des Auswärtigen Amtes ist es, einen kompetenten Ansprechpartner haben zu wollen. Die Greifswalder Slawistik bzw. die ukrainischen Kulturwissenschaften sollen der Regierung bei Fragen aus dem politischen, wirtschaftlichen und zivilgesellschaftlichen Bereich als Berater zur Seite stehen. Andere Fachdisziplinen sollen dabei mit ins Boot geholt werden. Das würde sich beispielsweise auf die Politikwissenschaften, Geographie und Wirtschaft beziehen. Schon jetzt können Greifswalder Studierende im Rahmen des Ukranicums ein Zusatzzertifikat im Rahmen der General Studies erwerben, welches ihre Chancen auf dem dynamischen osteuropäischen Arbeitsmarkt erhöhen könnte. Dozentin Vira Makovska hebt hervor, dass bereits mehrere Absolventen des Greifswalder Ukrainicums eine Anstellung in diplomatischen Vertretungen, in Privatwirtschaft und Flüchtlingsarbeit gefunden haben.
Das Greifswalder Ukrainicum gewinnt an Bedeutung
Einen weiteren Höhepunkt im Rahmen der ukrainistischen Ausbildung bietet die Teilnahme am Greifswalder Ukrainicum, einer international renommierten Sommerakademie. Hier geht es neben dem Spracherwerb um Veranstaltungen, in denen sich die Teilnehmer intensiv mit der Geschichte, Politik,Wirtschaft und Kultur des Landes beschäftigen. Der kulturelle Teil steht dabei im Mittelpunkt. In der aktuellen Krise geht es häufig um ein Verstehen beider Konfliktparteien im Spannungsbereich der Ost-Ukraine. Roman Dubasevych betonte ausdrücklich, dass es in Bezug auf die Ukraine eine möglichst praxisorientierte und gesellschaftskritische Forschung geben soll und keine, die im Elfenbeinturm stattfindet, was vielen universitären Einrichtungen in Deutschland häufig vorgeworfen wird. Die Ukrainistik soll somit die Diskussionsplattform für Probleme und Anregungen im Bereich Ukraine und Ukraine/Russland bieten.
Ein weiterer zentraler Betrachtungspunkt in der Forschung könnte die ukrainische Diaspora (Minderheitengruppen) bilden. Bereits nach der Wende kamen mehrere Tausende Migranten aus der Ukraine nach Deutschland, die zusammen mit den jüngsten Flüchtlingswellen eine der zahlreichen ukrainischen Minderheiten bzw. Diasporas bilden. Für den Umgang mit ihnen sind Kenntnisse ihrer Kultur und Sprache von großem Vorteil.
Natürlich kann die Greifswalder Slawistik zahlenmäßig mit Berlin und Bochum nicht mithalten. Das ist aber nicht das Problem. Traditionell war die Slawistik in Deutschland schon immer zahlenmäßig kleiner als andere Fachbereiche. Wichtig ist, was unter dem Strich herauskommt – das ist ein kompetenter, unabhängiger Berater in Sachen Kulturvermittlung und Osteuropa-Forschung, Absolvent eines „Orchideenfachs“.
Am 13. Juli kommt übrigens der Außenminister Frank-Walter Steinmeier zu einem Besuch nach Greifswald.
Bilder: Michael Fritsche
Schöner Jubeltext auf die Ukrainistik, die Asche bekommt und Personal sicher hat, während andere sehen müssen wo sie bleiben. Mal zwei Fragen um einzuordnen wie toll diese Ukrainistik eigentlich ist.
1. Wie viele Bachelor- und Masterabschlüsse hat es in den letzten 10 Jahren an der Ukrainistik gegeben?
2. Wie hat die Ukrainistik sich seit 2014 in die öffentliche Debatte eingebracht? Hier wäre z.B. eine vollständige Auflistung aller Wortmeldungen, Artikel, Interviews interessant. Viel kann es ja nicht sein. Die Beiträge, die um sich selbst drehen zählen nicht. Harte Währung ist alles was mit Krim-
Bisher habe ich die Ukrainisten als vergleichsweise unproduktiv erlebt. Vielleicht kann mich ja jemand vom Gegenteil überzeugen.
Edit: „Harte Währung ist alles was mit Krim-Krise und Krim-Krieg zu tun hat“
Na ja, die Frage ist natürlich, was man wahrnehmen will und was man souverän ignoriert.
ad 1) Die „Asche“ bekommen die Ukrainisten nur, weil sie sich gegen Stellenstreichungen gewehrt und *extern* Gelder eingeworben haben. Das Geld für die W1-Professur kommt *zusätzlich* vom DAAD und dem Land Mecklenburg-Vorpommern, d.h. die Ukrainisten belasten mit ihrer Juniorprofessur mit keinem Cent den Haushalt der Philosophischen Fakultät und leben damit nicht auf Kosten anderer (wenigstens nicht mehr als andere), so viel zur Klarstellung….
ad 2) Die Frage nach der Zahl der Absolventen hat einen ziemlich langen Bart… Mittlerweile hat selbst das Bildungsministerium in Mecklenburg-Vorpommern (siehe Stellungnahme des Ministers Brodkorb zum Deal in Sachen Ukrainistik) und die Philosophische Fakultät (siehe eines der letzten Interviews mit Dekan Stamm-Kuhlmann) anerkannt, dass sich der Wert einzelner Fächer nicht nur danach bemisst, wie viele Studierende sie haben. Eine Universität ist mehr als nur eine reine „Fabrik“, die Absolvent*innen produziert. Die Ukrainistik produziert vielleicht nicht viele Absolvent*innen, aber dafür bekommen diejenigen, die aus Greifswald abgehen, wenigstens einen fachbezogenen Job, d.h. profitieren unmittelbar von ihrer Ausbildung… Ich bin mir nicht sicher, ob man das über alle Absolvent*innen der sog „großen“ Fächer sagen kann…
ad 3) Zur „Produktivität“ der Ukrainisten: Die Greifswalder Ukrainisten veranstalten jedes Jahr eine zweiwöchige ukrainistische Sommerakademie, in der genau die aktuellen Fragen zur Ukraine-Krise (auch kontrovers) interdisziplinär mit Vertretern aus Greifswald, der Ukraine und anderen Ländern debattiert werden. Das lässt sich relativ einfach recherchieren und auch wahrnehmen, wenn man mit offenen Augen durch Greifswald geht. Die Veranstaltungen des Greifswalder Ukrainicums stehen im Übrigen allen kostenfrei offen und man wundert sich manchmal, wie wenig Vertreter*innen anderer Fächer aus Greifswald, die sich ebenfalls für die Ukraine-Krise interessieren könnten (z.B. Politikwissenschaftler oder Historiker) dort vertreten sind. Aus Greifswald, versteht sich. An der Sommerakademie nehmen nämlich jedes Jahr an die vierzig Nachwuchwissenschaftler*innen aus der ganzen Welt teil, in diesem Jahr sogar Leute aus Korea (!). Weltweit scheint die Greifswalder Ukrainistik also durchaus wahrgenommen zu werden, auch und gerade mit ihren Beiträgen zur aktuellen Krise. Wenn das Greifswalder nicht so sehen, hat das wohl mehr mit deren etwas eingeschränkterer Wahrnehmung zu tun.., Ganz davon abgesehen, dass sich Greifswalder Ukrainisten sehr wohl auch publizistisch mit der Krise auseinandersetzen, was sich ebenfalls problemlos recherchieren lässt. Auch eine Nachfrage beim Institut für Slawistik wäre da ein möglicher Weg.
ad 4) Zudem sei am Rande angemerkt, dass die Professur für Ukrainistik dank der ganzen vergangenen Diskussionen seit nunmehr 1,5 Jahren vakant ist und die Stellenausschreibung für die Nachbesetzung gerade erst veröffentlicht wurde (bei anderen Stellen ist man da viel schneller). Vakante Stellen sind nun mal nicht besonders produktiv. Das kann man aber nun wirklich nicht den Greifswalder Ukrainisten selbst ankreiden. Die hätten sicherlich auch gerne mehr Ressourcen und Energien in die Auseinandersetzung mit der Ukraine-Krise gesteckt, als sich ständig gegen derartige Attacken zur Wehr setzen zu müssen und um ihr Überleben in Greifswald kämpfen zu müssen…