Von Nele Reidenbach und Paul Zimansky
Warum der heutige Tag für die Gesellschaft so wichtig ist.
Seit mehr als 100 Jahren wird an diesem Tag für rechtliche, politische, wirtschaftliche und kulturelle Gleichstellung und für ein selbstbestimmtes Leben, frei von Diskriminierung und Unterdrückung aufgrund des Geschlechtes, gekämpft. Auch im Jahr 2016 gibt es ausreichend Gründe für einen solchen Kampf, denn von einer wirklichen Gleichstellung und einer Gleichberechtigung aller Geschlechter im Alltag sind wir noch weit entfernt. Der heutige internationale Frauenkampftag in einem kurzen Rück- und Ausblick.
Der Beginn des weltweiten Frauenkampftages
Bereits 1908 wurde in den Vereinigten Staaten von Amerika ein Tag gefordert, an dem der Kampf um Gleichberechtigung, Emanzipation und Selbstbestimmtheit von Frauen im Mittelpunkt steht. Allen voran der Kampf um ein Wahlrecht für Frauen. Wenig später auch in Europa – Clara Zetkin, deutsche Sozialistin, brachte die Idee bei der Zweiten Internationalen Sozialistischen Frauenkonferenz 1910 ein und hatte Erfolg. Am 19. März 1911 gab es den ersten internationalen Frauenkampftag in Deutschland. Die Forderung nach einem Wahlrecht für Frauen stand im Mittelpunkt.
https://www.youtube.com/watch?v=pBwfQ_ClFiU
(Anmerkung: der neue Film „Suffragette“ zeigt genau diesen Kampf der Frauen)
Zwischen Entwicklung und Verbot
Der internationale Frauenkampftag stand während des Ersten Weltkriegs weiterhin für ein Wahlrecht von Frauen und nun auch für einen gleichberechtigten Lohn ein, positionierte sich zu der Zeit allerdings auch ganz klar gegen den imperialistischen Krieg. In Anlehnung an die Februarrevolution 1918 in Russland (nach unserem Kalender im März), bei denen Arbeiterinnen der Textilindustrie streikten und am 8. März (unseres Kalenders) demonstrierten, wurde die Idee der sozialistischen Frauenkonferenz von 1910 schließlich 1921 auf der 2. Kommunistischen Frauenkonferenz umgesetzt: der 8. März galt von nun an als Internationaler Frauentag. 1923 wurde dann auch von der Unabhängigen Sozialdemokratische Partei Deutschlands (USPD) und der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) der Internationale Frauentag anerkannt. In der Zeit des Nationalsozialismus von 1933-1945 war der Frauenkampftag verboten und wurde durch den „Muttertag“ ersetzt – womit die Nazis die Rolle der Frau als Hausfrau und Mutter in der Gesellschaft eindeutig definierten. ‚Doch auch während der Zeit des Nationalsozialismus und der damit verbundenen Instrumentalisierung (der Rolle) der Frau gab es Frauenrechtsbewegungen, die vermehrt geheim im Untergrund agierten. Öffentliche Demonstrationen waren nicht mehr möglich und der Tag galt als Zeichen des Widerstandes.
Wiederkehr des Frauenkampftages
In der Nachkriegszeit feierte man in den sozialistischen Ländern die gesellschaftliche Befreiung der Frau und stellte die sozialen Errungenschaften des Staates für die Frauen heraus. In den westlichen Ländern standen die Themen der Arbeitsbedingungen und des Friedens, anlässlich der Wiederbewaffnung, im Vordergrund. Die Bedeutung des Tages verschob sich in der Gesellschaft – zum einen durch staatliche Instrumentalisierung, zum anderen in gesellschaftlicher Zurückhaltung. Es entstand eine Art Danksagung an Frauen, geprägt durch das damalige gesellschaftliche Rollenbild einer Frau. Erst die Frauenbewegungen Ende der 60er Jahre und die damit beginnenden Debatten zeigten, dass der Tag vielmehr der Kampf für ein selbstbestimmtes Leben ist, welcher sich auch in den kommenden Jahrzehnten fortsetzen würde.
„Nichts gegen einen Feiertag, auch nicht gegen einen Frauentag. Nur muß er von denen, die gefeiert werden, bestimmt und gestaltet werden.“
(Courage, feministische Zeitung, 15. Februar 1977)
Bereits in den 80er Jahren ließen konservative Regierungen wesentliche Unterschiede zwischen Frauen und Männern in verschiedenen politischen Bereichen der Gesellschaft zu und bauten Frauenschutzrechte systematisch ab. So erhielten beispielsweise bereits schon 1981 Frauen durchschnittlich 24,5 % weniger Lohn als Arbeiter und weibliche Angestellte sogar 34,5 % weniger Gehalt bei gleicher Arbeit als ihre männlichen Kollegen*. Nach der Wende organisierten sich viele Frauenbewegungen neu, in autonomen Gruppierungen, Räten, Vereinen, Beauftragten und Gewerkschaften sowie Parteien. Das ursprüngliche Ziel, das freie Wahlrecht für Frauen, wurde längst erreicht. Es galt sich nun weiteren politischen, rechtlichen und gesellschaftlichen Themen zu widmen. In den Mittelpunkt rückten fortan u.a. der §218 zum Schwangerschaftsabbruch, das Problem mit sexualisierter Gewalt in häuslicher, öffentlicher und alltäglicher Form, sowie der weitere Kampf um Gleichstellung in der Politik und in der Gesellschaft.
Frauenkampftag heute: Kampf gegen viele Probleme
Heute ist weltweiter Frauenkampftag. Doch nicht nur heute gilt es, sich für die Gleichberechtigung und Selbstbestimmtheit von Frauen in allen politischen Bereichen einzusetzen. Noch immer gibt es viele Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Zwar spricht sich ein Großteil der Bevölkerung für eine konsequente Gleichstellung aus, ob und wann dies jedoch realisiert werden kann ist eine ganz andere Frage. Nach einer Umfrage des Bundesfamilienministeriums, über dessen Ergebnisse der Tagesspiegel berichtete, „sind nur 39 Prozent der Frauen im Alter von 30 bis 50 Jahren Vollzeit erwerbstätig“, während 88% der Männer mit demselben Schulabschluss einer Vollzeitstelle nachgehen.* Doch stoßen hierbei zweierlei Probleme auf: Zum einen, das Männer bevorzugt werden könnten. Zum anderen, und viel wesentlicheren Teil, dass die Erwartungshaltung gegenüber Frauen eine andere ist. Sie müsse Karriere machen, um eine erfolgreiche Zukunft zu haben, gutes Geld zu verdienen, den Haushalt schmeißen und die Kinder erziehen. Beziehungsweise anders gesagt: Karriere oder Kinder, Beruf oder Familie, Flexibel oder nicht flexibel. Hier trifft das konservative Rollenbild auf eine neoliberale Karrierevorstellung.
Zwischen Karriere und Familie
Ein aktuelles Problem ist, dass eine Frau oft eben keine Wahl hat. Bleibt sie zuhause (nicht weil ihr Mann es so sagt, sondern weil sie es will), ist sie auf die Finanzen von ihm angewiesen. Bleibt sie nicht zuhause, sondern geht arbeiten und verdient selber Geld, sind keine vernünftigen Grundlagen dafür gegeben: Schlechte Teilzeit- Beschäftigungsverhältnisse, stattdessen scheinbar familiengerechte Firmenstrukturen, bei denen firmeneigene Kita-Betriebe aus dem Boden gestampft werden. Das alles nicht, um der Mutter eine bessere Erziehung zu ermöglichen, sondern sie möglichst zeitnah wieder vollständig in den Karriereposten einzubinden. Entscheiden sich Frauen für Karriere und (aus welchem Grund auch immer) gegen Kinder, werden sie als Karrieristinnen und Kinderhasserin abgestempelt, entscheiden sie sich dafür beides unter einen Hut zu bringen, sind sie ständigem Druck ausgesetzt und müssen sich die altmodischen Rabenmutter-Vorwürfe anhören, entscheiden sie für sich zuhause zu bleiben und Kinder groß zu ziehen, wird ihnen eine altmodische Rollenverteilung vorgeworfen und nur wenige trauen ihnen zu, diese Entscheidung wirklich für sich alleine getroffen zu haben. Das zeigt vor allem eines: Frauen müssen heute dafür kämpfen, dass sie das machen können, was sie möchte, ohne dass sie sich ständig dafür rechtfertigen müssen.
Selbstbestimmung und steigende Gewalt gegen Frauen
Auch beim Thema Schwangerschaft und Abtreibung gibt es seit den 90er Jahren immer wieder Kontroversen: Für die Einen sollte der §218 wieder als Verbot gelten, für die anderen muss er das Recht auf Selbstbestimmtheit über den eigenen Körper gewährleisten und müsse daher komplett abgeschafft werden, also mehr als nur Straffreiheit bei Abtreibung bis zum 3. Monat beinhalten. Der konservativ-christliche Gedanke, der das Recht auf Leben eines jeden Lebewesens, auch in den ersten 3 Monaten der Schwangerschaft, einfordert, trifft auf die Selbstbestimmtheit über den eigenen Körper und die eigene Zukunft einer Frau. Rechtswidrig, aber straffrei – Es ist ein Kompromißgesetz, das ein Abrücken vom Strafrecht bedeutet, aber das nach wie vor auf der Rechtspflicht zum Gebären und der rechtlichen Mißbilligung des Schwangerschaftsabbruchs besteht. Dazu kommt noch das große Problem (sexualisierter) Gewalt gegen Frauen: nach einer repräsentativen Studie des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zum Thema Gewalt gegen Frauen, haben
- 40% der Frauen in Deutschland haben seit ihrem 16. Lebensjahr körperliche und/oder sexuelle Gewalt erlebt.
- 25% der in Deutschland lebenden Frauen haben Gewalt durch aktuelle oder frühere Beziehungspartner erlebt (häusliche Gewalt).
- 42% der in Deutschland lebenden Frauen haben psychische Gewalt erlebt, z.B. Einschüchterung, Verleumdungen, Drohungen, Psychoterror
erlebt. Nach den Ereignissen in der Silvesternacht in Köln wurde viel darüber diskutiert, wie so etwas geschehen kann, oftmals sich jedoch eher der Kriminalisierung von geflüchteten Menschen gewidmet, statt vielmehr das Problem der sexualisierten Gewalt gegen Frauen als Ganzes, als großes Problem, zu thematisieren. Dazu gehört beispielsweise auch sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz, die nach einem Bericht der Welt zum Alltag deutscher Büros gehört. Dabei fängt es bei sexistischen Äußerungen an und hört bei sexuellen Straftaten auf.
#HeForShe – weltweit für mehr Gleichstellung
Die weltweite Solidaritätsbewegung „#HeForShe“ der UN Women fordert alle Menschen (unabhängig des Geschlechts) auf, sich als „Agents of Change“ für die Gleichstellung der Geschlechter und die Beendigung aller Gewalt und Diskriminierungen gegenüber Frauen und Mädchen einzusetzen.
https://www.youtube.com/watch?v=7ZptgM-jhZo
Der 8. März ist ein bedeutender Tag für Frauen in der Gesellschaft. Umso wichtiger muss aber auch jeder andere Tag im Jahr für uns sein, wenn wir in einer wirklichen gleichberechtigten und freien Gesellschaft leben (wollen). Eine Blume schenken mag eine schöne und willkommene Geste sein, dem politischen und gesellschaftlichen Kampf um bessere Frauenrechte wird das allein jedoch nicht helfen.
„Auf die Themen der Frauen aufmerksam zu machen und den internationalen Frauentag zu feiern, hat große Bedeutung. […] Brauchen wir überhaupt noch einen Frauentag? Ja, und zwar lange nicht mehr so dringend wie jetzt.“
(Manuela Rukavina (Vorsitzende des Frauenrats sowie ver.di Frauen Baden-Württemberg) beim diesjährigen DGB-Frauentag)
(Beitragsbild mit freundlicher Genehmigung von: PM Cheung, Demonstration zum Frauen*kampftag 2015 – 08.03.2015, flickr.com)
*(Quelle: IGM – FB Frauen- und Gleichstellungspolitik)
*(Quelle: Der Tagesspiegel)