Autor: Michael Fritsche
Es ist viertel vor acht und die letzten Kisten werden soeben in das neue Gebäude am Ryck gebracht. Die Hansestadt befindet sich noch im Morgenrot und es lässt sich noch nicht erahnen, dass gleich ein einschneidender Schnitt in der Geschichte der Universität Greifswald erfolgen wird. Mit jenem Schnitt wird das Band zur neuen Bibliothek an der Loefflerstraße durchtrennt.
Danach folgt die Schlüsselübergabe an Rektorin Prof. Dr. Weber, welche noch ein paar warme Worte findet:
„Die neue Bibliothek ist wunderschön und lädt zum Lesen und zum Arbeiten förmlich ein. Man kann dem Gebäude ansehen, dass es in so guter Zusammenarbeit entstanden ist, für die ich allen Beteiligten herzlich danken möchte!“
Einer Mitarbeiterin wird dann nochmals der Schlüssel unter dem Blitzlichtgewitter der anwesenden Presse überreicht. Sie spricht ganz nebenbei die unausweichliche und verordnete Maßnahme an, die durch eine Reduzierung der Bibliotheksstandorte auf drei Einrichtungen bestimmt ist. Alle anderen Fachbibliotheken (FBs) wurden bereits geschlossen. Die übliche Rotstift-Mentalität der Bundesrepublik hinsichtlich der Unterstützung der Bildung hat wieder einmal unerbittlich zugeschlagen. Doch wollen wir nicht alles schwarz malen und schauen uns die Sache nun von innen an. 450.000 Bücher in über 12 Kilometern Regal, würde man diese aufreihen.
Der Zugang für die Nutzer befindet sich im Innenhof. In der Hunnenstraße gibt ein paar Fahrradständer und nach zweimal rechts Abbiegen steht die wissbegierige Person schon vor der Glastür. Nun folgen die Schließfächer. Rechter Hand ist nun die Servicetheke. Vorher noch durch den Scanner. Klauen macht man nicht! Noch wirkt alles gemütlich, was auch mit dem grauen Teppich zusammenhängen könnte. Das ist ein optimaler Schallschutz. Nicht einmal Stöckelschuhe können dagegen ankämpfen. Auf Schallschutz wurde viel Wert gelegt. Die Tastaturen an den wenigen Rechnern sind bei der Benutzung mucksmäuschenstill.
Einzelcarrels als Balkone
Außen gibt es Balkone, in denen Einzelcarrels unterkamen. Von hier kann der Blick zwischendurch immer mal wieder sehnsuchtsvoll durch das große Fenster nach außen gerichtet werden. Fünf Gruppencarrels gibt es sinnvollerweise auch. Was wurde hier eigentlich nun alles untergebracht? In dieses Gebäude kam alles aus der philosophischen Fakultät und auch die Bestände der Theologie sind hier zu finden. Weiter geht’s mit den Büchern der Pädagogik. Politologen und Soziologen mögen hier auch glücklich werden. Freunde der alten Uni-Bibliothek werden mit einer Träne im Auge die Galerie vermissen, andere hingegen, denen das Knarren der Treppe in jener auf die Nerven ging, bekreuzigen sich und schauen dankbar gen Himmel. Was fehlen wird, sind die spezifischen Charakteristiken der alten Fachbibilotheken (FB). Für Leute, die auf die absolute Einsamkeit standen, war das letzte Zimmer der Slawistik-FB ein idealer Ort.
Wer Minderwertigkeitsgefühle hatte, konnte sie bei den Theologen kompensieren, wo gegenüber „Fremdlingen“ aus anderen Studiengängen stets eine sehr bemerkenswerte Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft herrschte. So hatte jede FB ihre eigenen Geschichten. Vielleicht kommen durch die neue Innenstadt-Bibliothek wieder ganz neue hinzu. „Die Arbeits-Lämpchen sind ja so süß!“, schwärmt eine Besucherin. Ein Mann bezweifelt die Stabilität, während er an den etwas wackligen Teilen herumspielt. Auf den Tischen befinden sich auch Trennwände, die entweder den Blick zum Gegenüber, oder dem Sitznachbarn versperren können. Was gibt’s sonst noch? Scanner, Kopierer sind schon da. Eine Selbstverbuchungsanlage kommt noch. Der Computer ersetzt ja nach und nach den Menschen. Der Bundes-Rotstift konnte einen Teil der FB-Bibliothekare nicht mehr streichen, da sie in Rente gingen. Der Stellenabbau in den kommenden Jahren ist aber bereits beschlossene Sache. Relikte früherer Zeiten lassen sich als Raumgestaltung an den Wänden finden. Dabei sticht eine riesige Kopie der Gründungsurkunde hervor.
Die Faszination des neuen Duftes
https://www.youtube.com/watch?v=2UjD5WigEu8&feature=youtu.be&ab_channel=moritz.tv
Während der erste Student die Einrichtung nutzt und für die Medien vor einem der Schließfächer posiert, hat sich der kleine Ansturm auf das Gebäude gelegt. Der Akt steht symbolisch für den Umgang mit neuen Sachen. Das Neue, das Saubere, ja der noch frische chemische Duft lockt. Doch schnell ist die Faszination in der Regel wieder vorbei.
Es ist zu vermuten, dass die Bibliothek ein pulsierendes Zentrum der Greifswalder Studierendenschaft wird, zumal bald ganz in der Nähe eine neue Innenstadtmensa und ein weiterer Hörsaal entstehen werden. Zwar sind die Semesterapparate nun etwas weiter weg, aber im Allgemeinen macht der Bau Sinn. Die Einschnitte in den Betrieb der FB waren bereits zu gravierend. Manche hatten nur noch vormittags und nachmittags auf. Dazwischen lagen auch schon mal zwei Stunden Mittagspause! Das Servicepersonal wurde teilweise schon ab 16 Uhr durch Hilfskräfte ersetzt, die nicht alle Kompetenzen hatten. Im Kontext der Zeitgeschichte ist das Gebäude wohl als sinnvolle Errungenschaft einzuschätzen.
Der Bau kostete 9,6 Millionen Euro und nicht nur Frau Rektorin schwärmt bereits von dem Gebäude mit seinen interessanten Lichtverhältnissen. „Die neue Bibliothek ist wunderschön und lädt zum Lesen und zum Arbeiten förmlich ein“, so die Worte der Rektorin. Also, auf, auf, ihr StudentInnen, ran und selbst testen!
Fotos: Philipp Schulz/ Michael Fritsche Video: Barbara Söllner
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