Am Freitag, den 20. November 2015 war die Stadthalle Greifswald zum Bersten voll. Mit Menschen groß und klein, die alle gebannt gewartet haben auf den einen Moment. Den Moment, in dem Alexander Gerst die Bühne betritt und uns alle entführt in Raum und Zeit.
Alexander Gerst ist ESA-Astronaut und war im Jahr 2014 von Mai bis November auf der Internationalen Raumstation ISS, hat dort gelebt, gearbeitet und geforscht. Von der sogenannten BlueDot-Mission berichtet er, seine Erlebnisse und Anekdoten werden durch zahlreiche eindrucksvolle Bilder und Videosequenzen unterstützt.
Doch warum hieß diese Mission überhaupt BlueDot-Mission?!
Mit dieser Erklärung startet Alexander Gerst in den Vortrag. Inspiriert wurden sie von einem Bild des Saturns, neben dem die Erde so winzig und unscheinbar als kleiner blauer Punkt im Universum zu sehen ist.
„Auf diesem Bild kann man tatsächlich sehen, wie wichtig unsere Erde, wie wichtig wir für das Universum sind, nämlich absolut unwichtig.“
Bei diesen Worten huscht ein Lachen über seine Lippen. Anhand dieses Bildes könne man sehen, wie zerbrechlich die Erde ist und wie leicht man sie zerstören kann. Das sei der Grund gewesen, diese Mission so zu nennen: BlueDot, der kleine blaue Punkt in einem dunklen Universum.
Nun nimmt uns Alexander Gerst mit auf seine Reise zur ISS, diese startet aber nicht erst im Raumschiff, sondern zweieinhalb Jahre vorher, da liegen noch 6.000 Stunden Training vor ihm.
Nicht nur die Astronauten müssen sich vorbereiten, erklärt er, sondern auch die Rakete will startklar sein. Ingenieure und Computeringenierure arbeiten dafür Hand in Hand, denn sowohl die Rakete an sich, als auch die Software gilt es vorzubereiten und zu erstellen. Wissenschaftler müssen die Experimente, die von den Astronauten an Board der ISS durchgeführt werden sollen, zusammenstellen. Und das ist nur ein Bruchteil, der Arbeit, die erledigt werden muss vor dem Start.
Was er immer wieder erwähnt, dass in der Raumfahrt eine große Zusammenarbeit auf internationaler Ebene so wunderbar funktioniert, egal, was weltpolitisch gerade passiert. So beispielsweise im Zeitraum seines Starts zur ISS, die Ukraine-Krise war schon in vollem Gange, doch in der Raumfahrt war davon nie etwas zu spüren. „Wir profitieren voneinander, das weiß einfach jeder hier.“
Den letzten Tag und die letzten Momente vor dem Start beschreibt er sehr lebendig, alle Zuschauer lauschen gebannt.
„Unsere Kapsel, im Raumschiff, ist sehr eng. Und man muss das Raumschiff in der Tat anschalten mit einem Knopf.“ Beim nächsten Bild sind die Lacher auf seiner Seite, ein Windows 95 Symbol ist nun zu sehen, Alexander Gerst stimmt selbst in das Lachen der Zuschauer mit ein und meint: „Keine Sorge, es läuft nicht mit Windows 95, sonst wär ich nicht hier.“ Stolz berichtet er, dass ihm die Ehre oblag den Startknopf zu drücken. Er erzählt, dass die größte Sorge der Raumfahrer diejenige ist, dass ihnen während der Vorbereitungsphase und des Trainings etwas passiert. Beispielsweise sich das Bein zu brechen. Das könne zwar vielleicht auch gut gehen, aber er habe in den zweieinhalb Jahren auf Fußball spielen und Ski fahren verzichtet, einfach zur Prävention. Beim Start selber sei man entspannt und gelassen, die Vorfreude überwiegt in diesem Moment. Er berichtet von einer enormen Beschleunigung der Rakete, die sie ins All gebracht hat.
„In acht Minuten ist man im Weltraum und sechseinhalb Stunden braucht man dann noch bis zur Raumstation, das ist dann eigentlich nur Einparkmanöver.“ Wieder hat er das Lachen auf seiner Seite.
Den ersten Blick, den er auf die Erde werfen konnte, hat er uns als Bild mitgebracht. Darauf ist zu sehen, was er vorher schon erwähnt hatte. Die Zerbrechlichkeit, wie dünn unserer Atmosphäre ist.
Dann kommt die ISS in den Blick von Alexander – oder in diesem Fall ein Bild der ISS in den Blick der Zuschauer. Was für eine riesen Leistung es war diese Raumstation zu bauen, wird einmal mehr deutlich bei seinen Worten. „Die komplexeste Maschine der Menschheit, mehr als 100.000 Menschen haben daran mitgebaut aus unzählig verschiedenen Ländern von unterschiedlichen Kontinenten. Und die Teile sind alle separat hochgeschickt worden, da die Raumstation als Ganzes viel zu groß gewesen wäre, um sie an einem Stück in den Orbit zu schießen. Bedenken sie, die Teile müssen auf ein Hundertstel genau passen, sie haben sich auf der Erde zuvor nie getroffen, wurden erst im All zusammen geschraubt und haben gepasst. Hätte mich jemand gefragt, ob ich das für möglich halte, ich hätte nein gesagt, und das nicht für möglich gehalten.“
Inzwischen ist auch die Bilder Präsentation auf der ISS angekommen. „Die Amerikaner sagen, es fühlt sich die ersten paar Wochen an, als würde man aus einem Feuerwehrschlauch trinken. Ich finde das einen tollen Vergleich, es fühlt sich wirklich genauso an, alles überfordert einen.“
Gerst erzählt von Kabeln, die überall von der Deck hängen und davon, dass er vier Mal am Tag ein und dieselbe Frage stellen musste zu Anfang, nur um ihre Antwort darauf gleich wieder zu vergessen. Nach zwei Wochen habe er zum ersten Mal das Gefühl gehabt angekommen zu sein. Erst dann könne man das, was man in den zweieinhalb Jahren des Trainings gelernt hat auch anwenden.
Im Folgenden erzählt er sehr ausführlich über einzelne Versuche, die er in seiner Zeit auf der ISS durchgeführt hat. Aber niemals so, dass das gemeine Publikum ihm nicht folgen könnte.
Waren die bisherigen Bilder nicht schon Grund genug den Atem anzuhalten, haben wir jetzt definitiv diesen Zeitpunkt erreicht. Bilder aus einem so faszinierenden Blickwinkel, unglaublich.
„Ich sehe was, das du nicht siehst“ auf einem ganz anderen Level. Wie ist es möglich, dass der Grand Canyon auf dem Kopf der Chinesischen Mauer ähnlich sieht? Man kommt aus dem Staunen nicht mehr heraus.
Aus dem Weltraum sieht man jedes Detail. Man erkennt aus dieser besonderen Perspektive aber nicht nur die schönen Sachen, sondern auch die Probleme der Welt. So berichtet Gerst, dass sie Bomben und Raketen fliegen sehen konnten, über Israel und über Gaza. Er habe erst nicht gewusst, was er da sieht. Auch Umweltsünden, wie die Abholzung des Amazonasregenwaldes haben sich ihnen offenbart.
Gersts Aussage, dass, wenn eine andere Spezies sehen könnte, was wir tun, uns gegenseitig bekriegen, unseren Planeten zerstören, was würden die von uns denken, wie sollen wir das erklären? Sein Vortrag ist nicht nur einfach darüber, wie cool es ist im All zu leben, sondern vermittelt vielmehr die ganze Zeit die Message, dass wir umdenken müssen und den Kurs ändern, bevor es zu spät ist und wir uns selbst zu Grunde richten. Wir wissen eigentlich ganz genau, das vieles, was wir tun falsch ist, doch dieser Blick von schwerelos über uns, diesen Überblick, den Gerst vermittelt, öffnet noch einmal ganz neu die Augen.
Zurück zu alltäglichen Dingen des Lebens. Ein Schlafplatz so groß wie eine Telefonzelle, und Löffel, die Lümmel sind und sich einfach immer davonschleichen. Aufenthalt im Weltall heißt nicht abgeschnitten von der Welt zu sein. Ob ein Tatort am Sonntagabend oder nach Hause telefonieren, nichts ist unmöglich.
Nachdem Gerst uns mit auf einen Außeneinsatz in Schwindel erregender Höhe mitgenommen hat, geht es nun leider auf den Rückweg. Angeschnallt und aufgepasst. Wenige Sekunden später sind wir wieder auf der Erde gelandet.
Wieder festen Boden unter den Füßen und nach Luft japsend – Alexander nimmt das alles sportlich, nur das Publikum ist etwas außer Atem – wird eine moderierte Fragenrunde an den Vortrag angeschlossen. Wie im Flug vergeht die Zeit, doch Alexander wird erst nach Hamburg entlassen, nachdem er sich auch unseren Fragen stellt.
Herr Gerst, aus Ihrem Vortrag wird mehr als deutlich, dass die Erde ein besonderer Planet ist, glauben sie, dass ein Leben im Weltraum möglich wäre?
Wir wissen ganz bestimmt, dass Leben im Weltraum, außerhalb der Erde möglich ist. Unklar sind im Moment noch die Bedingungen, unter welchen die Wahrscheinlichkeit, dass Leben entstehen kann hoch sind. Das gilt es herauszufinden. Man geht davon aus, dass es in unserer Milchstraße 10 Milliarden Sterne gibt, die Planeten in der grünen Zone, der lebensfähigen Zone, haben. Das heißt, die Möglichkeiten für Leben da draußen sind gegeben, wir wissen nur nicht, ob das Leben dort auch existiert. Antworten darauf könnte uns der Mars liefern. Wenn wir jetzt zum Mars fliegen und dort Spuren von Leben finden, ausgestorbenes oder noch existierendes, wäre erst mal zweitrangig. In jedem Fall würde das bedeuten, dass wir entweder Leben sehen, das unabhängig von uns entstanden ist, oder es würde bedeuten, da draußen gibt es überall Leben, das Universum blüht nur so davon. Eine andere mögliche Erkenntnis könnte sein, das Leben kann transportiert werden, vom Mars zur Erde oder umgekehrt oder von einem noch unbekannten dritten Planeten aus. Das würde im Rückschluss wieder bedeuten, dass da draußen sehr viel Leben existiert. Vielleicht stehen wir in zwanzig Jahren noch einmal hier und ich kann Ihnen die Frage dann beantworten. Bis jetzt wissen wir noch zu wenig darüber, dies ist eine der spannendsten Fragen, die man sich vorstellen kann, die es in der Raumfahrt in Zukunft zu beantworten gilt.
Wie groß ist Ihre Sehnsucht zurück in den Weltraum zu kommen und wie groß ist die Angst davor, dass Sie nicht noch einmal die Chance dazu bekommen?
Jedem Austronauten ist natürlich bewusst, dass wenn wir die Raumstation verlassen und wieder auf der Erde landen, das unser letztes Mal im Weltraum gewesen sein könnte. Das heißt, man geht mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Man freut sich natürlich auf die Erde, weil man sie ein halbes Jahr vermisst hat. Freunde, Familie, im Wald joggen gehen und Salat essen, darauf habe ich mich riesig gefreut, aber ich wusste auch, dass es vielleicht mein letztes Mal im Weltraum gewesen ist. Ich hoffe, dass es nochmal klappt, aber man weiß es natürlich nicht. Wenn ich da hoch schaue, frage ich mich, wie es wäre noch weiter raus zu fliegen, als zur Raumstation. Ich bin einfach auch ein Mensch, ein Entdecker.
Vielen Dank, Herr Gerst, für diese interessanten Einblicke in Ihr Leben im Weltraum, danke für das Beantworten unserer Fragen und eine gute Fahrt nach Hamburg.
Danke, gern geschehen.
Fotos: Magnus Schult