Wer im vergangenen Jahr schon in Greifswald war, der hat mit Sicherheit die Besetzung und Räumung der Brinkstraße 16/17 mitbekommen, die hier viele Wellen schlug. Der Anlass für die Besetzung war der geplante Abriss des Gebäudes durch den Eigner und Bauunternehmer Roman Schmidt. Die AktivistInnen, die das Haus besetzten, wollten damit neben dem 150 Jahre alten Gebäude, auch den günstigen Wohnraum dort bewahren. Im Haus gab es auch einen Garten, alte Werkstätten und einen Bioladen. Das ist jetzt alles abgerissen und weggeräumt. Stattdessen wird dort ein Neubau hochgezogen. Aber nicht weit davon entfernt, auf der gegenüberliegenden Straßenseite, findet man noch ein anderes Haus, das sich ganz ähnlichen Projekten verschrieben hat: die Brinkstraße 26.

Brinke26kücheHier sitze ich jetzt mit den Bewohnern in ihrem gemütlichen Wohnzimmer und unterhalte mich ein bisschen. Denn wöchentlich trifft man sich hier zu einem Plenum, um konsensorientiert wichtige Entscheidungen für den Verein zu treffen. „Das Ziel des Plenums ist es, dass alle Entscheidungen so getroffen werden, dass alle damit leben können. Jeder hat zwar auch ein Vetorecht, aber das wird als starkes Mittel gesehen und soll nur in ganz besonderen Ausnahmesituationen verwendet werden.“ sagt mir Thorsten vom Wohnprojekt. Vor dem Plenum hat auch meistens jemand etwas Leckeres für die anderen gekocht. Mit vollem Magen lassen sich einfach bessere Entscheidungen treffen.

Das Projekt in der Brinke 26 gibt es schon seit 2000. Anfänglich war diese Unterkunft nur ein Ersatz, der von der Stadt angeboten worden ist, da das Projekt, dass seit 1991 im alten Kinderheim Hertha Geffke am Karl Marx Platz zu Hause war, dem Alternativen Jugendzentrum (AJZ), ihre Unterkunft verlassen musste. Die Eigentümerin hatte damals beschlossen das Gebäude zu verkaufen, in dem die BesetzerInnen das alternative Café Quarx eingerichtet und einen Verein gegründet hatten. Zunächst wurden sie dort von der Stadt und der Eigentümerin geduldet, aber dann entschied sich die Eigentümerin das Gebäude zu verkaufen. Den WGlerInnen wurde von einem auf den anderen Tag gekündigt und sie mussten sich nach der Räumung schnell eine andere Unterkunft suchen. Ein Kaufangebot seitens der BesetzerInnen wurde von der Eigentümerin ignoriert. „Damals gab es schon eine ziemlich große Protestwelle,“ erzählt mir einer der BewohnerInnen, „aber die konnte den Verkauf leider nicht verhindern.“ Das Gebäude wurde vor sechs Jahren abgerissen und heute liegt die Wiese noch brach, wo es einst gestanden hatte. Die Stadt bot nach politischem Druck den AktivistInnen die ihr Projekt verloren hatten, dann das Gebäude in der Brinkstraße an. Das Angebot wurde von dem Verein angenommen, auch wenn das neue zu Hause bei Weitem nicht die Kapazitäten des Alten besaß. Seitdem heißt der Verein „Brinke 26 e.V.“ Manche der jetzigen BewohnerInnen denken immer noch mit Bitterkeit an diese Begebenheiten, obwohl sie selbst gar nicht mehr dabei waren . „Ehrenamtliche Arbeit wurde damals wegen den Interessen der Eigentümerin platt gemacht.“ meint Thorsten.

Bei einem Rundgang durch die Küche, Werkstätten, das Wohnzimmer und den schönen Garten erklärt mir Henrik, dass das Gebäude vor allem durch die Arbeit der BewohnerInnen, FreundInnen und von freiwilligen HelferInnen saniert, erhalten und gestaltet wird. So konnte aus einer größtenteils verfallenen Beinah-Ruine ein schönes, buntes zu Hause entstehen Zum Beispiel gibt es jetzt eine offene Holz- und Siebdruckwerkstatt. „Zur Zeit gehören zehn Menschen zum Wohnprojekt, aber das Haus ist auch offen für andere Menschen,” meint Henrik. Es gibt neben den Zimmern, die nur von den einzelnen BewohnerInnen bewohnt werden, aber auch viele Gemeinschaftsräume, die von allen genutzt werden können. Zum Beispiel den geräumigen Dachboden, der für alle möglichen Dinge verwendet wird.

brinke26 gewächshäuschen

Die Erfahrungen, die die BewohnerInnen damit gemacht haben, wie ihre Mitmenschen auf ihre Art zu leben reagieren, sind zwar unterschiedlich, aber eigentlich ganz positiv. Johanna meint: “Die Nachbarn kennen wir eigentlich alle. Da gibt es eigentlich keine Probleme. Vorurteile gab es vor allem über das alte Haus.” Ihre Mitbewohner haben aber auch schon mitbekommen, dass sich Leute manchmal darüber wundern, dass in der Brinke 26 überhaupt noch jemand wohnt. “Das muss an der Fassade liegen,” meint Thorsten, “die ist wirklich nicht die Schönste.” Auch die Familien reagieren nicht direkt mit Vorurteilen. Nur eine Mutter hat wohl gesagt “Du musst auf deine Gesundheit achten.“

Veraltete Vorurteile von grantigen Nachbarn scheinen also kein Problem mehr für das Projekt zu sein. Aber was denken sie selbst über ihre Art zu leben? Warum haben sie sich dafür entschieden? Für Thorsten war es zuerst einmal eine politische Entscheidung. Er glaubt, dass das bei den meisten Bewohnern der Fall ist. “Der Erwerb des Hauses war ja schon politisch motiviert. Es ging gegen die Wohnungspolitik und den Kapitalismus. Wir wollen kein Plus machen, sondern Leuten ein Dach über dem Kopf geben.” Deshalb sehen sie sich auch nicht als Aussteiger. Sie wollen lieber eine Veränderung erreichen und eine Alternative zu bürgerlichen Wohnformen aufzeigen. Diese Vorstellung beinhaltet auch, dass geteilt wird und man solidarisch miteinander umgeht. Ein Beispiel dafür sind die Renovierungsarbeiten, oder die Gemeinschaftsräume, in denen alles von allen genutzt werden darf. Das bringt viele Vorteile für alle BewohnerInnen mit sich. Henrik meint zum Beispiel: “Ich finde den Küchenmixer so geil. Ich mache mir alle paar Schaltjahre mal einen Saft. Der lohnt sich nur, weil wir so viele sind.” Auf diese Weise können sie alle ein Leben führen, dass sie für Luxus halten. “Hier kann jemand ohne irgendwas einziehen und wird sich fühlen, als ob er reich wäre.” sagt Johanna. Thorsten hofft, dass sich noch mehr Menschen dafür entscheiden ein solches Leben zu wählen. “Vielleicht würde sich dann etwas ändern,” meint er.

Fotos: Vincent Roth