Das als Drehbuch verfasste Werk „Gott in Ketten“ besticht durch seine innovative Art der Aufmachung sowie eindringliche Geschichte, verwirrt zwischendurch allerdings auch. Eine Rezension von Uwe Saegers neuestem Werk – welches er am 25. April im Koeppenhaus vorstellt.
109 Seiten Drehbuch – wie lang wohl ein Film mit dieser Menge an Ausgangsmaterial wäre? Es ist auf jeden Fall faszinierend, die Geschichte von Dani Sombrowiicz, Simon Sewem und ihren jeweiligen Familien in einem Drehbuch und nicht in einem Roman zu packen. Während Danis Großmutter Danuta im Konzentrationslager Ravensbrück inhaftiert war, lebt die Familie Sewem schon seit Generationen im Ort Fürstenberg, Opa Sewem schnitt dem Lagerkommandanten das Haar. Saeger, der aus Ueckermünde stammt und in Greifswald studierte, arbeitet mit den echten Namen des Lagerkommandanten, der Ärzte und Aufseher, was das Buch authentisch macht. Der Leser wird mit Dingen aus dem KZ-Alltag konfrontiert, die ihm vielleicht aufgrund der Grausamkeit anderer Geschehnisse nicht bewusst waren. So wirft das Buch einen Blick auf Lagerbordelle, in denen Frauen arbeiten mussten und schneidet das Thema „Kaninchen“ an: Häftlingen wurden bewusst Wunden zugefügt, welche die Ärzte dann verunreinigten, um Krankheitsverläufe zu studieren.
Durch das Zusammentreffen von Dani und Simon müssen sich die beiden mit der Vergangenheit ihrer Familien auseinander setzen, aber auch andere Familienmitglieder werden in diesen Strudel des Aufarbeitens gerissen.
SIMON: […] Aber dann, wenige Tage vor der Befreiung, die von Graf Bernadotte organisierten Busse standen schon vor dem Tor, ist sie nicht länger entkommen.
DANI: Doch. Danuta Sombrowicz ist meine Baba. Sie tippt auf das Foto. Das gleiche Foto von ihr hängt über ihrem Bett in der Wohnung, die sie vor zwei Jahren in der Seniorenresidenz „Wlanstwo“ bei Stettin bezogen hat.
Damit beginnt die Suche nach der wahren Identität der Großmutter, die jedoch eher von Dr. Sewem als Historiker als von Dani vorangetrieben wird. Letztere will sich damit gar nicht so wirklich auseinander setzen. Doch ihr Besuch in der Gedenkstätte bringt ihre Großmutter dazu, sich wieder mehr mit ihrer Vergangenheit auseinander zusetzen.
Der Aufbau als Drehbuch hat durchaus seine Vorzüge. Die Szenenbeschreibungen regen stärker dazu an, sich das Geschehen bildlich vorzustellen, als es durch einen Roman möglich geworden wäre. Auch wird mittels Überschriften klar gemacht, ob die Handlung nun in der Gegenwart spielt oder es eine Rückblende ist. Ähnlich einzelnen Kapitelabschnitten im Roman kann der Leser sich so und durch die Szenenpassagen schneller in eine neue Szene hinein versetzen.
Die Drehbuchform hat allerdings auch Schwachstellen: Der Leser wird sofort ins Geschehen geworfen und mit den Protagonisten und ihren Aussagen konfrontiert. Es dauert etwas, bis man mit ihnen warm geworden ist, weil man sie weniger durch beschriebene Handlungen, sondern durch ihre Aussagen kennenlernt. Die einzelnen Gespräche springen zudem am bestimmten Stellen stark zwischen einzelnen Themen, was im Gespräch zwar normal ist, sich beim Lesen allerdings weniger gut macht. Das wird erst gegen Ende des Textes besser, wenn man die Handelnden näher kennt.
Neben der Auseinandersetzung mit der eigenen Familie wirft das Buch noch einige andere Fragen auf: Wie leben die Menschen in der Nähe einer solchen Gedenkstätte? Braucht es solche überhaupt? Oder wie es im Buch bei einem Gespräch zwischen dem Staatssekretär Dr. Antusch und der Gedenkstättenleiterin Dr. Ebenda heißt:
DR. ANTUSCH: Was für eine Lage! Unter anderen Umständen wäre dieses Lager eine lukrative Immobilie.
FRAU DR. EBENDA: Sie befinden sich an einer Gedenkstätte.
DR. ANTUSCH: Und woran wird hier gedacht? Oder gedenkt?
FRAU DR. EBENDA: Also, bitte!
DR. ANTUSCH: Konkret. Woran gedenken Sie an dieser Stätte. Jetzt?
Im Zuge des Greifswalder Literaturfrühlings stellt Uwe Saeger am 25. April sein am 17. April erschienenes Buch „Gott in Ketten“ erstmals vor. Ab 20 Uhr geht los im Literaturzentrum Vorpommern im Koeppenhaus. Für 5 beziehungsweise ermäßigt 3 Euro kann man dabei sein.
Gott in Ketten. Ein Film
von Uwe Saeger
freiraum-verlag, 114 Seiten
13, 5 Euro
seit April 2015
Foto: freiraum-verlag (ohne cc)