Stille. Abgesehen von der Abspannmusik war im Kino nichts zu hören. Das International Office der Universität Greifswald lud zu „Wir sind jung. Wir sind stark.“ am 28. Januar ein. In der anschließenden Diskussion erklärte Professor Hubertus Buchstein, warum es immer noch zu solchen Eskalationen kommen kann.

Der Film „Wir sind jung. Wir sind stark.“ befasst sich mit den Krawallen in Rostock-Lichtenhagen 1992. Damals wurde die Zentrale Aufnahmestelle für Asylbewerber sowie ein Gebäude, in dem ehemalige vietnamesische Arbeiter lebten, angegriffen. Vier Tage kam es zu Ausschreitungen zwischen der Polizei und den Randalierern, wobei mehrere tausende Schaulustige die Randalierer unterstützen und die Polizei behinderten. Die Geschehnisse werden als eine der größten rassistischen Ausschreitungen in der Bundesrepublik nach dem 2. Weltkrieg gesehen.

Buchstein: „Dass sie überlebt haben, war Glück“

Professor Hubertus Buchstein, Greifswalder Professor für Politische Theorie und Ideengeschichte, nahm sich nach dem Film Zeit, um Fragen aus dem Publikum zu beantworten. „Es war eine gelungene Interpretation der Geschehnisse“, erklärte er. Allerdings sei die Authentizität schwer nachzuvollziehen, schließlich handele es sich um einen Spielfilm. Dass die sich im Haus befindlichen Vietnamesen überlebten, war seiner Ansicht nach Glück. Auch die Zuschauer, die sich äußerten, lobten den Film im Großen und Ganzen. Einigen wunderten sich allerdings, dass der rechtsextreme Fokus sehr gering gehalten war. Von den jugendlichen Protagonisten ließ sich keiner so wirklich der rechten Szene zuordnen – viel eher hatte man das Gefühl, dass ihre Langeweile zu groß war und sie Action erleben wollten. „Doch gerade das war und ist das Gefährliche“, meinte der Politikwissenschaftler. Während der Diskussion wurden immer wieder Parallelen zu Entwicklungen in Mecklenburg-Vorpommern gezogen. „Flüchtlinge werden systematisch zu Zielscheiben gemacht, wenn sie so zentral untergebracht werden“, warf Buchstein unter anderem ein.

Großes Thema waren die wöchentlich stattfindenden PEGIDA-Demonstrationen in Dresden und vor allem MVGIDA im hiesigen Bundesland. Buchstein betont allerdings, dass sich im Vergleich zu 1992 einiges getan hat. Allen voran, was Zivilcourage und ziviler Einsatz angeht. Zudem habe sich die Willkommenskultur stark gebessert. Nichtsdestotrotz „könne diese Situation relativ schnell wieder entstehen. Sowas kann ganz schnell kippen.“

Rezension des Filmes:

„Ist das hier wirklich?“

Diese Frage stellt sich Goldhahn (Paul Gäbler), einer der Protagonisten, als er in der Menge von mehreren tausend Menschen vor der aufgreihten Polizei steht. Und diese Frage stellten sich im Zuschauerraum wohl auch einige: Waren diese Ausschreitungen vor ungefähr zwölf Jahren so menschenverachtend, die Gewalt so brutal – aber trotzdem so anziehend?

Der Film schockt mit einigen verstörenden Szenen, bei denen einem regelrecht schlecht wird. Einmal ist es grauenvoll zu sehen, wie viele Menschen sich vor den Häusern als Schaulustige positionieren, Arbeit von Polizei und Feuerwehr behindern und rassistische Parolen rufen. Desweiteren sitzt man fassungslos im Kinostuhl, als nach dem Selbstmord eines Freundes zwei Jungs der Clique in dessen Wohnung gehen. Während der Tod den einen, Stefan (Jonas Nay), stark mitnimmt, ergreift einen bei der Darstellung des anderen, Robbie (Joel Basman), nur Fassungslosigkeit. Denn Robbie wird zum Leichenfledderer: er wühlt im Zimmer rum, klaut Sachen des Verstorbenen und zerreißt den Abschiedsbrief. Der Film fokussiert auf die jugendliche Truppe, zu denen Robbie und Stefan gehören und die nichts zu tun haben und sich deshalb den Randalen anschließen.

Und während einem der Ekel noch aufgrund des Verhaltens vor allem von Robbie in den Knochen sitzt, erfährt man von Lien (Trang Le Hong). Sie lebt mit ihrem Bruder und der schwangeren Schwägerin in Lichtenhagen. Sie erhält alle Papiere, um in Deutschland bleiben zu können. Was ursprünglich noch ihr Wunsch war, wandelt sich im Laufe der wenigen Tage und auch sie will fliehen. Besonders berührend ist die Szene, als sie auf dem Dach liegt und langsam nach unten schaut: Tausende Menschen stehen vor dem Haus und rufen „Ausländer raus!“.

Regisseur Burhan Qurbani legt den Fokus weniger auf Nazis und mehr auf desillousionierte Teenager, „weil es eben nicht Glatzen und Bomberjackenträger und ideologische Neonazis waren, die da vor dem Haus standen, sondern Menschen, die aus der Mitte der Gesellschaft kamen.“ Und gerade dass es diese Menschen sind, ließ bei dem einen oder anderen Zuschauer einen schalen Beigeschmack im Mund, ist ebenso verstörend wie unerwartet. Dass es nach dem Ende des Filmes nicht sofort raschelte und die Besucher aufsprangen um zu gehen, spricht für den Film.

Foto: Zorroverleih (kein cc)