Mehr als 600 Schüler und Studierende machten am 20. Mai vor allem eines: demonstrieren. Ihr Protest in der Mittagshitze war der Startschuss für die bundesweiten Bildungsproteste. Aber warum fand dieser Startschuss gerade in Greifswald statt? Das lag daran, dass die Hansestadt hohen Besuch erwartete: Die Bundesministerin für Bildung und Forschung Johanna Wanka. Zusammen mit Günther Oettinger, dem EU-Kommissar für Energie und dem Ministerpräsidenten von Mecklenburg-Vorpommern, Erwin Sellering, kam sie zur Einweihung des Kernfusionsprojekts „Wendelstein 7-x“ in das hiesige Max-Planck-Institut für Plasmaphysik (IPP). Dies war eine willkommene Gelegenheit, die Politiker auf das Haushaltsdefizit und die drohenden Kürzungen an der Universität aufmerksam zu machen.
Es war 9.45 Uhr. Der Bertholt-Beitz Platz füllte sich nur langsam und die Anwesenden zweifelten ein wenig daran, ob mit einem so kleinen Häuflein überhaupt etwas zu bewegen wäre. Aber bald kamen immer mehr Menschen dazu. Unter ihnen waren auch die Schülerinnen und Schüler der Greifswalder Schulen, die für diesen Tag extra frei bekommen haben, damit sie für eine bessere Finanzierung ihrer Schulen kämpfen konnten. Viele von ihnen solidarisierten sich ebenfalls mit den Studierenden. Beispielsweise trugen die Achtklässlerin Marina und ihre Mitschüler nicht nur die gelben Blindenarmbinden, die unter dem Motto „Zukunftsblind“ auf die Probleme des Caspar-David-Friedrich-Instituts aufmerksam machen sollen sondern sie sprechen sich auch klar gegen jeglichen Stellenabbau aus. Neben den Schülern stießen zusätzlich die Radler der „Critical Mass“ Aktion, deren Protest bereits eine Stunde zuvor begonnen hatte, zu den Demonstrierenden. Damit konnte es mit einiger Verspätung um 10.07 Uhr endlich losgehen.
Der Weg führte die Pappelallee hinunter, über den Karl-Liebknecht Ring auf die Anklamer Straße und hin zum Max-Planck-Institut. Obwohl die Meisten einen Zettel mit passenden Sprüchen ausgeteilt bekommen hatten, waren unterwegs nur wenige Sprechchöre zu vernehmen, vornehmlich in den ersten Reihen. Trotzdem war der Zug alles andere als leise. Es gab Musik und ununterbrochen wurde gepfiffen und mit der Fahrradklingel Lärm gemacht. Leider gab es auf der Strecke nur wenige Passanten, deren Aufmerksamkeit man hätte bekommen können. Die Wenigen, die zusahen, schienen die Sache allerdings zu unterstützen. Der Radfahrer Willi, der von dem Protestzug an der Straßenüberquerung gehindert wurde, hatte daran nichts auszusetzen und rief „Weiter so!“. Auch Margret, die gerade dabei war auf ihr Kind aufzupassen, fühlte sich nicht gestört und fand es wichtig, dass sich jemand für die Sache der Bildung einsetzt. Mindestens eine junge Mutter war auch unter den Demonstrierenden: Juliane, die Deutsch und Englisch auf Lehramt studiert. Sie sieht ihren Einsatz für eine Verbesserung der Verhältnisse in der Lehre als bitter nötig an. Alles, was ihrem Studium fehlt, wird sie auch später ihren Schülern nicht vermitteln können. Neben den Kürzungen in der Anglistik fürchtet sie auch, dass die Zentrale Universitätsbibliothek ihre Öffnungszeiten begrenzen muss. Bisher war es dort möglich bis um 24.00 Uhr zu büffeln. Das könnte sich schon im nächsten Semester ändern. Da ihr Partner immer lange arbeiten muss und deswegen erst spät auf das gemeinsame Kind aufpassen kann, wäre ihr es damit unmöglich die Bibliothek zu besuchen.
Um 10.50 Uhr erreicht der Demonstrationszug dann das IPP. Er ist so laut, das er auch drinnen deutlich zu hören ist. Auf einer kleinen Bühne gab es mehrere Redebeiträge. Milos Rodatos von der Arbeitsgruppe „Bildungsstreik 2014“, der Präsident des Studierendenparlaments Phillipp Schulz und der Präsident des Studierendenrats aus Rostock Christian Lüth sprachen als Vertreter der Studierendenschaft. Unterstützung fanden sie durch die Landtagsabgeordnete der LINKEN Mignon Schwenke. Alle bedankten sich für die Beteiligung an der Demonstration und forderten die Politik zum Handeln auf. Währenddessen lösten sich kleinere Gruppen von der Menge um sich im Elisenpark mit Wasserflaschen einzudecken. Auf diese Abkühlung war man in der Hitze einfach angewiesen. Wie bei einem Riesen-Picknick machte man es sich auf den kleinen Grünstreifen vor dem Institut gemütlich. Das war bei diesem Wetter weniger anstrengend als stehen. Trotzdem waren viele noch standhaft genug um den Rednern auf ihren Füßen zu lauschen. Mathias, der Germanistik und Philosophie studiert, störte sich allerdings an der Musik, die eine zeitlang noch während der Redebeiträge abgespielt wurde. Schade fand er auch, dass er nur wenige Dozenten und Vertreter der Fachschaften unter den Protestierenden ausmachen konnte. Als sich die Gäste der Eröffnungsfeier anschickten, das Institut zu verlassen, hinderten Schüler und Studierende mit einer Sitzblockade die Fahrzeuge an der Durchfahrt. Unbeteiligten war es jederzeit möglich zu passieren, während die Politiker erst in ein Gespräch mit den Sprechern der Studierendenschaft verwickelt wurden.
Rodatos, StuPa-Präsident Schulz und Erik von Malottki forderten von Johanna Wanka die symbolische Unterzeichnung eines 6 Milliarden Euro-Schecks für das deutsche Bildungssystem, was sie aber ablehnte. Die dadurch aufgebrachten Studierenden versuchten die Bildungsministerin und der Ministerpräsident durch Kommentare wie „Wir statten die Hochschulen ausreichend aus!“ und „Sie müssen mal sehen was in Griechenland passiert!“ zu beschwichtigen, machten sich dadurch aber nicht beliebter. Nachdem der Bürgerschaftsvertreter der CDU, Egbert Liskow, sowie Erwin Sellering ihre wenig zufriedenstellenden Reden gehalten hatten, wurden sie widerwillig von den Demonstranten durchgelassen. Wanka debattierte scharf mit den Studierenden, änderte ihre Meinung jedoch nicht. Die Demonstranten blockierten darauf weiterhin die Ausfahrt des Instituts. Die Rektorin Johanna Eleonore Weber, die sich zu den Unterstützern des Bildungsstreiks zählt, versuchte die Situation zu entschärfen, indem sie sagte, dass die Politiker die Nachricht der Demonstrierenden verstanden haben. Erst nach mehreren Aufforderungen des StuPa-Präsidenten und der Polizei, die mit Verhaftungen und „polizeilichen Maßnahmen“ drohte, löste sich die Sitzblockade letztendlich von alleine auf. Damit fand dieser Tag des Protests ein friedliches, aber ungewisses Ende. Ein Teil der Studierendenschaft machte sich anschließend auf den Weg zum Hörsaal „Kiste“, wo von 14 bis 18 Uhr die Vollversammlung der Studierendenschaft stattfinden sollte.
Fotos: Juliane Stöver, Lisa Klauke-Kerstan