Artikelbild-SPD-Wuerfel-Christopher-jugendfotosDas Ergebnis der diesjährigen Bundestagswahl war für Angela Merkel und ihre CDU traumhaft, für die SPD alles andere als zufriedenstellend. Kurz nachdem das Wahlergebnis feststand, kam die Frage nach der großen Koalition auf. Seit geraumer Zeit wird emsig um das Für und Wider gestritten und debattiert.

Auf Facebook bildete sich eine Gruppe „Sozialdemokrat_innen gegen die Große Koalition„, während SPD-Spitzenpolitiker auf allen Ebenen um Zustimmung für den ausgearbeiteten Vertrag werben. Der Vorgang ist in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland einmalig. Zum ersten Mal darf eine Parteibasis über den Eintritt in eine Koalition abstimmen.

Erwin Sellering zufrieden mit Vertrag

Erwin Sellering ist erwartungsgemäß zufrieden mit dem ausgehandelten Ergebnis.

Erwin Sellering ist erwartungsgemäß zufrieden mit dem ausgehandelten Ergebnis.

In Greifswald stand am 2. Dezember bei der Regionalkonferenz der SPD der zwischen SPD und Union ausgehandelte Koalitionsvertrag zur Debatte. Der Meinungsaustausch fand intern statt, lediglich vor und nach der Konferenz konnten Reporter SPD-Mitglieder mit Fragen konfrontieren. Erwin Sellering, der selbst in Mecklenburg-Vorpommern eine große Koalition führt, hat nun die Aufgabe, die Parteibasis von dem Vorhaben einer Neuauflage dieses Modells auf Bundesebene zu überzeugen.

Erwartungsgemäß zeigte sich der Ministerpräsident zufrieden über den Ausgang der Verhandlungen. „Das ist insgesamt ein gutes Ergebnis, das man der Basis empfehlen kann“, erklärte der Landesvorsitzende der SPD Mecklenburg-Vorpommern. Nun ginge es darum, entscheidende Punkte des vereinbarten Koalitionsprogramms in die Tat umzusetzen.

Die Regionalkonferenz ist nicht der einzige Weg, über den die Parteispitzen versuchen, die Basis von einer Zustimmung zu überzeugen. So wird dem Stimmzettel über das Votum zum Koalitionsvertrag ein Brief beigelegt, in dem auf die kommenden vier Jahre mit der CDU eingestimmt werden soll. So wirbt die SPD- Bundesschatzmeisterin Barbara Hendricks beispielsweise in einem dem Stimmzettel beigelegten Brief mit „Ja! Wir sollten es wagen!“

Parteibasis in Koalitionsfrage uneinig

Trotzdem scheint sich innerhalb der SPD-Basis keineswegs Enthusiasmus breit zu machen. Wie es aus Kreisen der Greifswalder Sozialdemokraten heißt, schien sich ein Großteil der Konferenzteilnehmenden bereits vorher eine abschließende Meinung gebildet zu haben. Nach wie vor soll es aber eine nicht unerhebliche Gruppe Unentschlossener geben. Diskussionsbedarf soll es nach Informationen des webMoritz unter anderem bei der Finanzierbarkeit der im Koalitionsvertrag verankerten Vorhaben, insbesondere bezüglich der angedachten zusätzlichen sechs Milliarden Euro für Kindertagesstätten, Schulen und Hochschulen gegeben haben.

Die Finanzierungsfrage einer Vielzahl der angedachten Projekte scheint bislang noch ungeklärt. Auch die im Koalitionsvertrag ausgehandelte Politik zum Thema Energiewende stand in Greifswald zur Debatte. Insgesamt wurde der Austausch als sehr sachlich, harmonisch, ehrlich und offen beschrieben. Diese Einschätzung wird auch von Ministerpräsident Erwin Sellering geteilt, wie aus einem Bericht des Norddeutschen Rundfunks hervorgeht.

Am Rande: Protest gegen Unterfinanzierung der Hochschulen

Studierende protestieren gegen unzureichende Finanzierung der Hochschulen.

Studierende protestieren gegen unzureichende Finanzierung der Hochschulen.

Vor Beginn der Regionalkonferenz nutzten einige Greifswalder Studierende die Veranstaltung, um erneut auf die unzureichende Finanzierung der Hochschulen Mecklenburg-Vorpommerns aufmerksam zu machen.

Welche weiteren Themen Gegenstand der Diskussion gewesen sein dürften, wird aus folgenden zwei Meinungsbeiträgen von SPD-Mitgliedern, beide Studierende der Greifswalder Universität, deutlich. Der Juso-Kreisvorsitzende Martin Hackbarth positionierte sich von Beginn an gegen eine Neuauflage der großen Koalition, wohingegen Kreistagsmitglied Patrick Dahlemann, Mitglied des SPD-Landesvorstandes Mecklenburg-Vorpommern sowie der Stadtvertretung von Torgelow, sich für eine politische Mitgestaltung in der Bundespolitik für die kommenden vier Jahre stark macht:

Ja sagen und Politik gestalten!

Ein Kommentar von Patrick Dahlemann (Mitglied im Landesvorstand der SPD, Kreistagsmitglied des Kreistages Vorpommern-Greifswald und Abgeordneter der Stadtvertretung Torgelow).

Patrick Dahlemann

Patrick Dahlemann

Als erstes will ich klarstellen: die SPD darf keine Angst vor einer Koalition mit den Schwarzen rein aus Prinzip oder negativen Erfahrungen haben. Sondern allein die Inhalte müssen ausschlaggebend dafür sein, ob wir Verantwortung übernehmen wollen oder nicht. Weil wir die besseren Inhalte haben, müssen wir jetzt auch die bessere Politik machen.

Unsere Verhandlungsführer haben wichtige sozialdemokratische Kernforderungen im Koalitionsvertrag verankern können. Also sollen sie auch umgesetzt werden, denn dafür haben wir Wahlkampf gemacht!

Ich will mich an dieser Stelle einmal auf den Mindestlohn konzentrieren. So ist die Einführung des Mindestlohns ab 2015 mit Handlungsmöglichkeit der Gewerkschaften bis 2017 ein riesengroßer Erfolg für alle Geringverdiener und für die Entwicklung gerade der neuen Bundesländer eine der wichtigsten Entscheidungen seit der Wiedervereinigung.

Endlich kann das Kräfteverhältnis von Gewerkschaften und Arbeitgebern wieder hergestellt werden und der Tarifvertrag im Sinne der Arbeitnehmer ihre Rechte schützen. Die Menschen gewinnen wieder an Lebensqualität. Ganz selbstkritisch muss ich sagen: Lebensqualität, die ihnen durch politische Entscheidungen genommen wurde.

Zum Glück sind diese Zeiten vorbei! Bis zuletzt hat die CDU den Mindestlohn abgelehnt und war bereit Lohndumping weiter zu dulden oder gar zu fördern. Jetzt ist es eben an uns, den Menschen klar zu machen, dass die SPD sich im Sinne der „kleinen Leute“ durchsetzen konnte und es ohne uns keinen Mindestlohn gibt. Hier erwarte ich mehr sozialdemokratisches Selbstbewusstsein. Und soll doch noch mal einer sagen, die großen Parteien unterscheiden sich nicht.

Der Protest ist groß und die Wirtschaftsbosse blasen zum Marsch – wieder einmal ein Beweis wer in diesem Land für wen Politik macht. Ich empfehle meinen GenossInnen ein klares Ja, damit die soziale Gerechtigkeit nicht nur in unserem Wahlprogramm steht, sondern sie der rote Faden für die nächste Bundesregierung wird.

 

Nein zur roten Jacke mit schwarzen Inhalten!

Auszüge aus einer Rede des Juso-Kreisvorsitzenden Martin Hackbarth, die er am 2. Dezember auf der SPD- Regionalkonferenz hielt.

Martin Hackbarth

Martin Hackbarth

[Die SPD hat] das Beste gegeben und auch einiges rausgeholt. Doch reicht es am Ende, um dem Koalitionsvertrag zuzustimmen? Diese Frage muss ich leider klar verneinen.

(…) Leider ändert sich für viele Menschen nach wie vor nichts. Eine mögliche große Koalition wird den nötigen Ausbau des Kündigungsschutzes nicht vorantreiben. (…) Das Befristungsrecht, welches vor allem junge Menschen an einer mittel- bis langfristigen Zukunfts- bzw. Familienplanung hindert, wird nicht verbessert. (…)

Notwendige Veränderungen im Bildungsbereich werden auch die nächsten vier Jahre auf sich warten lassen. (…) Mehr als ein Lippenbekenntnis zum Anstieg der Bildungsausgaben gibt es nicht. Das Kooperationsverbot wird nicht gekippt, obwohl man (…) die notwendige Mehrheit dafür hätte.  Nötige und ausreichende Verbesserungen im Bafög-Bereich wird es mit der Großen Koalition nicht geben. (…)

Der Mindestlohn ist eine Forderung seit einigen Jahren und liegt auch seit längerem bei 8,50€ die Stunde. Nun gab es den Durchbruch. Der Mindestlohn kommt. Er kommt für einige 2015 und für alle 2017. Doch zwei grundliegende Dinge werden in der Debatte um den Riesenerfolg ganz vergessen (…).

Wie viel sind die 8,50€ eigentlich 2014, 2015, 2016 und 2017 noch wert? Eine Anhebung soll vielleicht erst über eine Kommission ab 2018 erfolgen. Geprüft wird er erst Mitte 2017. Bis dahin [sind 8,50 Euro] bei Preissteigerungen eben keine 8,50€ mehr. Ein weiterer Punkt ist: Was ist eigentlich 2017? Genau, es sind Bundestagswahlen. Die Einführung eines Mindestlohns zum Zeitpunkt eines Bundestagswahljahres und gleichzeitig eine Überprüfung des Wertes an sich finde ich sehr bedenklich. Denn es wird am Ende nur ein Werkzeug im Wahlkampf sein. (…)

Natürlich wird gesagt, dass man nicht mehr mit der Union hätte machen können und dass man den Vertrag anhand des Wahlergebnisses sehen muss. Häufig wird auf die Alternativlosigkeit verwiesen.

[Dem möchte ich entgegenstellen], dass es keine Pflicht der SPD ist, eine Regierung zu bilden und dass nichts alternativlos ist. Auch dieser nicht rechtsbindende Koalitionsvertrag ist nicht alternativlos!

 

Fotos: Christopher/jugendfotos.de (Aufmacherbild), Christine Fratzke/ webMoritz-Archiv (Erwin Sellering), Marco Wagner (Protest), Privat (Patrick Dahlemann und Martin Hackbarth)