Lärmend ziehen die etwa 1200 Demonstranten am Samstag durch die Rostocker Straßen. Auslöser der “Refugees Welcome“-Protestaktion ist die als menschenunwürdig angesehene Behandlung von Flüchtlingen in Europa. Der Protestzug wird von verschiedenen Gruppierungen der linken Szene organisiert. Mehrmals wird der Satz: “We are going to stay“ von verschiedenen Flüchtlingen durch die Lautsprecher gerufen. Neben den Flüchtlingen aus Greifswald kommen auch Flüchtlinge aus Hamburg und Berlin nach Rostock, um der Demonstration beizuwohnen.
“Mit unserem Protest möchten wir zeigen, dass es auch in Mecklenburg-Vorpommern Solidarität mit den Flüchtlingen gibt“, sagt “Refugee Welcome“-Aktivist Peter M.. Er ist darüber enttäuscht, dass die Verantwortlichen in diesem Bundesland die Aufnahme von Flüchtlingen eher als Belastung und nicht als selbstverständlich ansehen. Die vielen hochverschuldeten Kommunen Deutschlands sind bei der Flüchtlingsbewältigung auf sich allein gestellt. Der Bund müsste hierbei mehr Mittel zur Flüchtlingsintegration bereitstellen, denn diese wird häufig von gemeinnützigen Organisationen übernommen. Ob sich da was bei der kommenden Bundesregierung ändern wird, ist ungewiss.
Zur selben Zeit ziehen etwa 1000 Menschen in einem „Lichterlauf“ durch die Schneeberger Straßen, um gegen die Unterbringung von Asylbewerbern in der ehemaligen Jägerkaserne zu protestieren. Die Kundgebung schien hauptsächlich aus Vertretern der gesellschaftlichen Mitte zu bestehen, wurde aber vom NPD Funktionär Stefan Hartung angemeldet. Sätze wie “Wir sind Bürger, keine Nazis, Schneeberg wehrt sich“ sind auf einigen Schildern zu sehen. Zwei Teilnehmer werden festgenommen, sie sollen laut Polizei den Hitlergruß gezeigt haben. Als Gegenreaktion strömten rund 900 Schneeberger Bürger zum Markt, um gegen Fremdenfeindlichkeit zu demonstrieren. Organisiert wurde der Gegenprotest von den im Stadtrat vertretenen Fraktionen.
Harsche Kritik an der SPD
Die Protestierenden legen in Rostock einen Zwischenstopp an der SPD-Geschäftsstelle ein, um ihre Kritik gegen den von der SPD geführten Hamburger Senat Kund zu geben. Dort soll die Polizei seit einigen Tagen vermehrt Kontrollen bei dunkelhäutigen Personen durchgeführt haben. Flüchtlingsaktivisten bezeichnen dieses Vorgehen als rassistisch.
Als sich dann am Dienstagabend etwa 1000 Menschen vor der Roten Flora im Hamburger Schanzenviertel bei einer unangemeldeten Demonstration versammelten, eskalierte die Situation. Die Polizei versuchte den Protestzug vom Weiterziehen zu hindern, einige Demonstranten wehrten sich dagegen. Steine flogen und Böller explodierten, die Polizei antwortete daraufhin mit Pfefferspray und Schlagstöcken.
Im Bezug auf die Demonstrationen zeigt der Hamburger Innensenator Michael Neumann in einem NDR-Interview Unverständnis gegenüber seinen Kritikern und appellierte an die rund 80 Lampedusa Flüchtlinge, sich bei der Ausländerbehörde zu melden. “Ich kann nicht nachvollziehen, warum wir für diese 80 Menschen, die sich dem völlig verweigern, eine Ausnahme machen sollen“, fügte Neumann hinzu. Jedoch drohen den meisten der 80 Flüchtlinge, falls diese sich bei den Behörden melden, die Abschiebung.
Kafkaeske Verfahren
In Greifswald streiten sich derweil die Fraktionen der Bürgerschaft und des Kreistags Vorpommern-Greifswald über die derzeitige Flüchtlingsunterbringung. Trotz CDU-Gegenstimmen gelang es der Grünen Bürgerschaftsfraktion einen Antrag für die Aufnahme und die dezentrale Unterbringung von 60 zusätzlichen Flüchtlingen durchzubringen. Die CDU-Fraktion hielt dagegen, dass Greifswald bereits voll und ganz seinen Verpflichtungen zur Aufnahme von Asylbewerbern nachgekommen sei.
Bündnis 90/Die Grünen kritisierten die für Asylbewerber in Greifswald herrschenden Bedingungen und forderten eine dezentrale Flüchtlingsunterbringung. Michael Steiger von der Bündnis 90/Die Grünen-Fraktion meint, dass in anderen Städten, diese Art von Unterbringung viele Vorteile erbringen könne, „dadurch wird den Flüchtlingen nicht nur ein besseres Lebensumfeld als in einem zentralen Heim geboten, sondern die Integration gelingt auch einfacher.“
Anders als in Hamburg herrscht bei vielen Asylbewerbern der Gemeinschaftsunterkunft an der Spiegelsdorfer Wende in Greifswald, neben der Angst vor der Abschiebung, eine rege Ungewissheit. Die Aufnahme von Fotos ist im Gebäude nicht erlaubt. Auf einem kleinen Fernseher flimmern Hochzeitsaufnahmen. Es ist die Hochzeit von Amiras Sohn. Mit einem traurigen Blick verfolgt sie die Aufnahmen, sie konnte der Hochzeit nicht beiwohnen. Amira* ist Kurdin und floh vor einem Jahr aus dem Irak. Den Grund ihrer Flucht nach Deutschland möchte sie nicht nennen.
Sie kenne hier niemanden und fühle sich einsam. Eigentlich hat Amira Verwandte, die in einem Heim in Mannheim wohnen, doch die Restriktionen denen die Flüchtlinge in Nordrhein-Westfalen Baden-Württemberg und Mecklenburg-Vorpommern ausgesetzt sein, erschweren ein gegenseitiges Besuchen. Hoffen kann sie nur auf eine Aufenthaltserlaubnis in Deutschland. “Wann wird das sein?“ fragt sie.
Das Asylverfahren für Personen aus Krisenregionen wie dem Irak dauert in Deutschland durchschnittlich länger als 12 Monate. Bis das Verfahren überhaupt aufgenommen wird, kann viel Zeit vergehen. Es hängt vom Beamten ab, ob der Fall als dringend angesehen wird oder nicht. Die Bearbeitung des Asylantrages von Amira wurde noch nicht aufgenommen.
In Rostock gesellen sich einige Bürger zu dem Protest hinzu, um den Flüchtlingen ihre Unterstützung zu zeigen. Die Sonne senkt sich und die Demonstration neigt sich dem Ende. Alles verläuft friedlich. Einige Flüchtlinge müssen sich wieder auf den Rückweg begeben. In Deutschland herrscht Residenzpflicht.
*Name von Redaktion geändert
Fotos: Mounir Zahran