Papers Please titelSpielerezension

Es ist das Jahr 1982. Im Indie-Videospiel “Papers, Please“ trete ich im fiktiven Ostblockstaat Arstotzka meinen ersten Tag als Grenzbeamter an. Der Grenzposten, an dem ich mich befinde, wird von Sicherheitsbeamten bewacht. Nach sechs Jahren öffnet der Staat seine Grenzen wieder.

Mein Arbeitstag beginnt. Für heute soll ich nur arstotzkatische Staatsbürger durchlassen. Zuerst erscheint eine Dame mit Kopftuch und dickem Mantel aus der sich vor der Grenzkontrolle gebildeten Schlange. Es ist November und hier im Osten sind die Temperaturen bereits unter null Grad gesunken. Sie zeigt mir ihren Pass. Scheint zu stimmen. Ich lasse sie weiter. Nach einiger Zeit kommt ein Mann zum Schalter, der aber im Pass als weiblich bezeichnet wird. Ich gehe in den Verhörmodus und frage ihn wegen dieser Ungereimtheit aus. Er antwortet nur, dass er nichts zu sagen habe. Ich weise ihn ab. Und jetzt Feierabend. Ich sehe, dass mein Sohn krank ist. Für Medizin reicht aber das Gehalt nicht. Die Miete meiner Wohnung verbraucht das Geld komplett.

Der alte Mann, mit der dreisten Fälschung. Der Staat Corbista existiert nicht einmal im Spiel.

Der alte Mann, mit der dreisten Fälschung. Der Staat Corbrastan existiert nicht einmal im Spiel.

Der nächste Tag beginnt normal. Jede Person darf jetzt reingelassen werden. Zumindest wenn sie gültige Papiere hat. Ein älterer Mann kommt vorbei. Ein Bekannter. Er hatte beim letzten Mal keinen Pass dabei und wurde deswegen abgewiesen. Nun hat er einen. Es ist eine Fälschung. Eine ziemlich dreiste noch dazu. Ich weise ihn ab. Das Kontrollieren wird zur Routine. Ich wiege mich in Sicherheit. Ja, jetzt habe ich den Dreh endlich raus. “Für Kolechia!“, schreit eine Frau. Scheiße, habe ich die nicht gerade eben durchgelassen? Eine Explosion erschüttert den Grenzposten. Ein Sicherheitsmann kommt ums Leben. Der Grenzübergang wird aufgrund des Anschlags heute frühzeitig geschlossen.

Mit Kolechia befand sich Arstotzka wegen Grenzstreitigkeiten die letzten sechs Jahre im Krieg. Ich bekomme ab jetzt die Anweisung, jeden Kolechianer genauer zu kontrollieren. Dazu stellt man mir einen Ganzkörperscanner zur Verfügung. Es klappt. Ich erwische viele Kolechianer, die versuchen Waffen einzuschmuggeln.

Jenseits von Gut und Böse

Hier heißt es genau hinzuschauen. Im späteren Spielverlauf Grenzbedingungen immer strikter.

Hier heißt es genau hinzuschauen. Im späteren Spielverlauf werden die Grenzbedingungen immer strikter.

Als Letztes entdecke ich bei einem Passanten auch Schmuggelware. Unter dem Scanner lässt es sich nicht genau sagen was es genau ist. Der Mann meint, dass es nur Medizin für den Schwarzmarkt sei. Wenn ich ihn durchließe, würde er mich dafür Entlohnen. Ein Bestechungsversuch. Mein Sohn bräuchte Medizin und die Wohnung könnte auch mal wieder geheizt werden. Aber beschwere ich mich nicht andauernd über die Korruptheit von Politikern und Beamten? Nein, wenn ich es nicht einmal schaffe in einem Videospiel unbestechlich zu sein, dann schaffe ich es auch nicht im realen Leben. Ich ordere an, den Mann festzunehmen. Einen arstozkatischen Beamten besticht man nicht.

Die dystopische Welt in der sich “Papers, Please“ befindet, wird trotz simpler Grafik glaubhaft inszeniert. Die Spielmechanik wird schnell verinnerlicht und man hat Spaß dabei, als Beamter die Unterlagen von Einreisenden zu kontrollieren. Beim spielen werde ich häufig an die derzeitige Flüchtlingsdiskussion erinnert. Zwischen dem Erscheinen von “Papers, Please“ und der Lampedusa Katastrophe liegen keine zwei Monate. Der Entwickler des Spiels Lucas Pope lässt seine Erfahrungen als amerikanischer Immigrant in Japan im Spiel einfließen und regt den Spieler auch nach dem Beenden des Spiels weiter zum nachdenken an.

Die nächsten Tage vergehen schnell. Das Geld ist immer noch knapp und meinem Sohn geht es von Tag zu Tag schlechter. Mir wurde gesagt, wenn er nicht sofort Medizin bekomme, würde er bald sterben. Gewissensbisse nagen an mir. Hätte ich das Geld letztendlich doch annehmen sollen? Fühlt sich so ein Beamter, der irgendwo in einem Entwicklungsland Probleme hat, mit einem ehrlich verdienten Sold seinen Lebensunterhalt zu zahlen? Der Mann, der letztens mit diesem gefälschten Pass ankam, steht wieder vor dem Schalter. Ich bin mir sicher, dass er auch diesmal die geeigneten Unterlagen nicht dabei hat. Ich würde ihn diesmal durchlassen, wenn er im Gegenzug dafür Geld unter dem Tisch durchschiebt. Nein, das wäre keine Bestechung. Ich mache das schließlich nur meiner Familie zuliebe.

Das Spiel gibt es zum Download für 8,99 Euro bei papersplea.se. Nur in Englisch.

Bilder: Lucas Pope (Screenshots, ohne CC-Lizenz)