Am 22. September finden die Wahlen zum Deutschen Bundestag statt. Der webMoritz interviewte die Direktkandidaten aus dem Wahlkreis 15 (Vorpommern-Rügen – Vorpommern-Greifswald I) per E-Mail. Heute: Susanne Wiest von der Piratenpartei.
Alle demokratischen Kandidaten hatten etwa einen Monat Zeit, die Fragen zu beantworten und den Steckbrief mit Informationen zu füllen. Die Reihenfolge der Veröffentlichung richtet sich nach dem Tempo ihrer Rückmeldungen.
1. Wie sind Sie zur Politik gekommen?
Vor sieben Jahren bin ich im Internet auf den Kulturimpuls „Bedingungsloses Grundeinkommen“ gestoßen und war von dieser Idee sofort elektrisiert: Eine sichere Existenzgrundlage für jede Bürgerin, jeden Bürger, auf der das eigene Leben eigenverantwortlich gestaltet werden kann. Ohne Bedürftigkeitsprüfung, ohne Arbeitszwang, in einer Höhe, die gesellschaftliche Teilhabe ermöglicht. Fällt das Erwerbseinkommen weg, egal aus welchen Gründen, ist das bedingungslose Grundeinkommen ganz selbstverständlich weiterhin da. Was für eine einfache, beruhigende und kluge Lösung.
Ich informierte mich weiter über das Thema und dachte nach…. Ich bin Tagesmutter und betreibe mit Kolleginnen einen eigenen kleinen Kindergarten im früheren Landkreis Demmin. Wenig Lohn, unsichere Zukunft, strukturschwache Gegend, immer weniger Kinder. Ich hatte Existenzsorgen. Druck. Als 2008 die Besteuerung für Tagesmütter geändert werden sollte, war ich schockiert: Noch mehr Bürokratie, noch weniger Geld für diese schöne, anstrengende und verantwortungsvolle Aufgabe? Das wollte ich nicht mehr schlucken. Ein nichtssagendes Gespräch mit Erwin Sellering (SPD) im Rahmen einer Bürgersprechstunde und dann der Tipp: „Stellen sie doch eine Petition“. Das tat ich. Ich verfasste eine Petition an den deutschen Bundestag in Sachen Tagesmutterbesteuerung und dann aus einem spontanen Einfall heraus noch eine Petition: „Der Bundestag möge beschließen das bedingungslose Grundeinkommen einzuführen“. Klar kann ich mich für mein spezielles Tagesmuttersteuerthema einsetzen, aber das Problem liegt doch tiefer. Ich nehme viele Leute wahr, denen es ähnlich geht wie mir. Existenzdruck, Zukunftssorgen, zu wenig Lohn um von der eigenen Arbeit gut leben zu können. Wir bewegen uns in einem Dschungel komplizierter Bewilligungsverfahren, Vorschriften und Regeln für verschiedene Maßnahmen der Aus- und Weiterbildung, der Umschulung, Existenzgründung, Bezuschussung der Kinderbetreuung oder was auch immer. Das bedingungslose Grundeinkommen bietet hier Antworten. Ein bedingungsloses finanzielles Budget in einer existenzsichernden und Teilhabe ermöglichenden Höhe. Ich fände es gut, wenn auch in unserem Bundestag diese Zukunftsidee diskutiert und besprochen würde. Ich schickte beide Petitionen ab. Nur die Grundeinkommenspetition wurde vom Petitionsausschuss des Bundestags angenommen, online gestellt und zur Mitzeichnung freigegeben. Meine Petition „Der Bundestag möge beschließen, das bedingungslose Grundeinkommen einzuführen“, unterzeichneten binnen sechs Wochen so viele Menschen, dass der Server des deutschen Bundestags ob des Ansturms zusammenbrach. Über 50.000 Bürgerinnen und Bürger. Die erste große Online-Petition.
Ich war platt: Politisches Mitmachen ist ja doch möglich. Das lange vorherrschende Ohnmachtsgefühl war wie weggeblasen. Es gibt was zu tun.
2. Wie sieht ihr Wahlkampf aus?
Ich persönlich sehe es eher als Wahlbewerbung denn als Wahlkampf. Ich bewerbe mich bei den WählerInnen darum, endlich zeitgemäße Themen und neue Ideen und einen dringend notwendigen neuen Politikstil in den deutschen Bundestag zu tragen: Information statt Kampf. Bürgerbeteiligung statt Minimaldemokratie, mit zwei Kreuzchen alle vier Jahre.
Wie kann das aussehen? Wieso brauchen wir bundesweite Volksabstimmungen? Darüber informieren wir PiratInnen momentan in der Öffentlichkeit. Auf Podiumsdiskussionen, mit Zeitungsartikeln, Plakaten und vielen Gesprächen an Infoständen und Diskussionen im Netz. In Greifswald findet zum Beispiel jeden Samstag das „Politische Frühstück“ statt. Immer am Samstag zwischen 10 und 12 Uhr im Restaurant Humboldt am Mühlentor.
Am 7. September 2013 demonstrierten wir in Berlin für „Freiheit statt Angst“, für Datenschutz und gegen Überwachung.
Am 14. September 2013 ebenfalls in Berlin für das bedingungslose Grundeinkommen „Freiheit trifft Gerechtigkeit“.
3. Wo sehen Sie Möglichkeiten, sich besonders für Ihren Wahlkreis einzusetzen?
Hohe Arbeitslosigkeit, Abwanderung in andere Bundesländer, Perspektivlosigkeit, geringe Kaufkraft… Das bedingungslose Grundeinkommen bietet Antworten auf diese Themen und offenen Fragen, die ich hier im Wahlkreis und im ganzen Bundesland wahrnehme.
4. In welchen Bundestagsausschüssen würden Sie gern mitarbeiten?
Im Ausschuss für Arbeit und Soziales.
5. Welche Rolle spielt die Stadt Greifswald im neuen Wahlkreis 15?
Greifswald als Studentenstadt und regionales Wirtschaftszentrum bringt Impulse und Ideen in die Region.
6. Welches Thema ist Ihnen besonders wichtig?
Mir sind zwei Themen besonders wichtig: Das bedingungsloses Grundeinkommen und die Einführung bundesweiter Volksentscheide
7. Im Bundestag gibt es direkt gewählte Kandidaten und Kandidaten, die über Listen einziehen. Macht das abgesehen von gewissen Repräsentationspflichten im Wahlkreis irgendwelche Unterschiede?
Klar. Würde ich hier im Wahlkreis 15 als gewählte Direktkandidatin in den Bundestag einziehen, hätte ich Frau Merkel geschlagen. Das käme einem politischen Erdbeben gleich. 🙂
8. Im Falle Ihrer Wahl: Welches Verkehrsmittel wollen Sie zum Pendeln nach Berlin nutzen?
Die Bahn (Transparenzinfo: Alle Abgeordenten erhalten, was für ein freundlicher Luxus, eine steuerfinanzierte Bahncard 100 1. Klasse zur freien Verfügung).
9. Die Hochschulen im Land stehen 2014 und 2015 vor Millionendefiziten in ihren Haushalten. Wie wollen Sie Abhilfe schaffen?
Unser momentanes Leistungsflickwerk produziert eine ungeheuere Verwaltungsbürokratie. Ich schlage vor, die unglaublich gewachsenen Kosten des Ressorts „Finanzverwaltung“ drastisch durch die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens und eines einfacheren Steuersystem zu reduzieren und diese Gelder dem eher mager ausgestatteten Bildungssektor zur Verfügung zu stellen. Nur von Bildung zu reden, reicht nicht: Bildung muss besser finanziert werden! Bildung ist eine Investition in die Zukunft unserer Gesellschaft. Vor diesem Hintergrund ist es vollkommen unverständlich, dass eine reiche Industrienation wie Deutschland lediglich einen auch im internationalen Vergleich unangemessen niedrigen Teil der öffentlichen Mittel für Bildung und Forschung ausgibt.
10. Was sind Ihre Pläne für den Fall, dass Sie nicht in den Bundestag einziehen?
Dann arbeite ich natürlich weiter außerparlamentarisch für die Themen bedingungsloses Grundeinkommen und bundesweite Volksabstimmung.
Vielen Dank für das Interview!
Steckbrief
- Geburtsjahr: 1967
- Beruf: Tagesmutter
- Familienstand: familiär
- Politischer Werdegang:
- 2008 Petition an den Bundestag
- 2009 parteifreie Direktkandidatur für das Thema Grundeinkommen
- 2013 Listenplatz1 und Direktkandidatin im Wahlkreis 15 für die Piratenpartei
- Artikel bei Wikipedia
- Ich lebe seit 1993 im Landkreis Demmin und seit 2005 in Greifswald
- Kontakt:
- Blog
- Twitter: @susannewiest
- Abgeordnetenwatch
Bildnachweis:
Piratenpartei-Logo, Foto Susanne Wiest – Piratenpartei
Logo Bundestagswahl 2013 – Simon Voigt, Fotogrundlage: martingerz2 via Flickr CC BY-SA 2.0