Dass ich nach Litauen zum Studieren wollte, stand für mich schon vor Beginn des Studiums an der Universität Greifswald fest. Es war mein Traum, für eine längere Zeit in diesem Land zu leben, die Sprache zu lernen sowie Land, Leute und Kultur besser kennenzulernen. Durch das Studium der Baltistik mit dem Schwerpunkt Litauisch hatte ich noch einen weiteren Grund, für ein Jahr nach Vilnius zu gehen.
Seitdem ich Ende August hier in Vilnius ankam, hat sich vieles von meinen Erwartungen, Vorstellungen und Zielen geändert. Ich erinnere mich an meinen ersten Tag im späten Sommer in der schönen, fremden Stadt Vilnius. Das Wohnheim war noch fast leer und die Veranstaltungen an der Universität Vilnius hatten noch nicht begonnen, Spannung und ein wenig Einsamkeit lagen in der Luft.
MULTIKULTI MIT HINDERNISSEN
Vilnius ist eine Stadt, die viele ausländische Studenten anzieht. Nicht nur in den Lehrveranstaltungen, sondern auch durch das gemeinsame Wohnen im Wohnheim oder in einer WG kommt man schnell mit den unterschiedlichsten Nationalitäten in Kontakt. Ein großer Nachteil ist jedoch, dass der Kontakt zu litauischen Studenten trotz Mentoring und Erasmus-Veranstaltungen nur schlecht zustande kommt. Oft hat man es in reinen „Erasmus-Kursen“ ausschließlich mit anderen Ausländern zu tun. Aber mit ein bisschen Hartnäckigkeit und Glück überwindet man die Organisationshürden. Die litauischen Studenten, die ich bisher hier getroffen habe, sind alle sehr hilfsbereit, geduldig und Neuem gegenüber aufgeschlossenen. Man braucht gerade am Anfang keine Scheu zu haben, jemanden um Hilfe zu bitten. Die Verständigung mit jungen Leuten funktioniert gut in englischer und litauischer Sprache. Bei den älteren Einwohnern von Vilnius kommt man mit Russisch weiter.
VISKAS BUS GERAI
Obwohl ich meinte, bereits im Voraus von Deutschland aus alles gut organisiert zu haben, stellte sich hier Vieles als obsolet heraus. Der Studentenausweis der Uni Vilnius war zwar schon per Internet im Voraus beantragt worden, jedoch sollte ich hier auf das Dokument weitere drei Monate warten. Ohne diesen Ausweis ist die Bibliotheksnutzung an der hiesigen Uni nicht möglich. Um mich für die erste Zeit als Student in den öffentlichen Verkehrsmitteln, Museen, Theatern und Kinos auszuweisen, beantragte ich einen internationalen Studentenausweis. Wichtig ist auch, dass hier manchmal Dokumente wie der Nachweis einer gültigen Krankenversicherung oder Einkommensnachweise auf Litauisch gefordert werden, wenn man sich als Bewohner bei der Stadt Vilnius anmelden muss. Das ist notwendig, wenn man plant, mehr als ein Semester in Vilnius zu leben.
Studiert man in Litauen, braucht man ein gehöriges Improvisationsvermögen. Auch wenn die meisten meiner Kurse und die vieler anderer Studenten gestrichen wurden, braucht man hier nicht zu verzweifeln. Wie die Litauer sagen würden: „Viskas bus gerai“ (Alles wird gut).
In der Regel kommen die Dozenten und Institute den Studierenden entgegen, wenn es um das Erbringen von Studienleistungen geht. Da wird schnell ein gestrichener Kurs wieder möglich gemacht oder man absolviert den Kurs im Selbststudium. Wenn das alles nicht hilft, gibt es andere Kurse, auf die man ausweichen kann. Anlaufpunkt in allen organisatorischen Fragen ist hier immer das International student office der Universität Vilnius.
DAS RECHT AM FLUSS VILNELE ZU WOHNEN
Neben dem spannenden, unkonventionell anmutenden Studium bietet Vilnius sehr viel Möglichkeit zur Zerstreuung und Ablenkung. Neben der traumhaft barocken Altstadt mit vielen Cafés, Bars und Restaurants gibt es Museen, Theater und eine Oper auf Weltniveau und mit Tickets zu kleinen Preisen. In den wärmeren Monaten findet ein Teil des Lebens der Litauer auf den Straßen statt, was sich in vielen Straßenfestivals und bunten Märkten widerspiegelt. Ich selbst verbringe am liebsten Zeit in der Künstlerrepublik Užupis. Das ist kein offizieller Stadtteil von Vilnius, aber dennoch beanspruchen die Bewohner von Užupis ein eigener Staat im Staat zu sein. In Užupis gelten Rechte wie zum Beispiel: Jeder hat das Recht, unverstanden zu bleiben und jeder hat das Recht, zu lieben. Dieser Stadtteil lebt von seinem Kunsthandwerk, von seinen Ateljiers, von Cafés und Restaurants.
VIELE WEGE FÜHREN NACH VILNIUS
Wer vor hat, ein oder zwei Semester in Vilnius zu studieren und nicht weiß, wie er das finanzieren soll, für den gibt es mehrere Möglichkeiten. Die meisten Studenten gehen über Erasmus und mit Hilfe des Auslands-BAföGs an die Uni nach Litauen. Das zuständige Studentenwerk in Deutschland ist Chemnitz-Zwickau. Wer kein Auslands-BAföG bekommt und nicht auf die finanzielle Unterstützung der Eltern zählen kann, der sollte es beim DAAD versuchen. In diesem Fall ist es wichtig, bereits ein Jahr vor Antritt des Auslandsstudiums mit der Planung zu beginnen. Wer sich das Jahr oder das Semester in Vilnius als Urlaubssemester gönnen möchte, kann ein Stipendium vom litauischen Staat beantragen und sich verstärkt der litauischen Sprache und Kultur widmen. Eine Stipendienzusage ist allerdings nicht garantiert.
FREUNDE, FAHRRAD UND SCHOKOLADE
Auch wenn in Vilnius nicht alles so verlaufen ist, wie ich es plante, werde ich nach meiner Rückkehr nach Deutschland einiges vermissen, ebenso wie ich hier Greifswald als Stadt an sich, das Meer, meine Freunde und mein Fahrrad vermisse. Kulinarisch werden mir die gute litauische Sahne und Schokolade fehlen, das litauische Brotgetränk Gira und natürlich das litauische Nationalgericht Cepelinai. Und ich werde die Kontraste Litauens vermissen, die es nach wie vor schaffen, mich zu überraschen. Seit ich hier bin, weiß ich, was es heißt in einem postkommunistischen Land zu leben. Ob es Infrastruktur, Architektur, bestimmte bürokratische Abläufe auf Ämtern oder das Demokratieverständnis der Leute hier betrifft, überall weht neben dem neuen auch ein bisschen von dem alten, nostalgischen Wind. Litauen ist ein Land im Um- und Aufbruch. Ich habe hier viel dazu gelernt, bin mutiger und selbstsicherer geworden. Vielleicht ist Vilnius ja genau eure Stadt, um über euch hinauszuwachsen?
Das International student office der Universität Vilnius ist zuständig bei Fragen oder Änderungen zum Learning-Agreement, bei Formularen, die man für die Beantragung des internationalen Studentenausweises und des Studententickets braucht sowie bei Formularen, die fürs Auslands-BAföG ausgefüllt werden müssen.
Text und Fotos: Rebecca Herda, Studentin im 6. Semester Baltistik/DaF an der E.-M.-A.Universität Greifswald
Layout: Johanna Nikulski-Dirks