„Mom, ist alles Okay bei dir?“, fragt die Tochter, die soeben entsetzt das Schlafzimmer ihrer Mutter betreten hat. Sie wacht langsam auf. Eine alte Frau mit weißen Haaren, die schwach und zerbrechlich wirkt. Das Schlafzimmer ist verwüstet. Etwa zehn schwarze Müllsäcke stehen kreuz und quer im Raum verteilt, in denen die Kleidung ihres Ehemannes Denis wahllos reingestopft wurde. Der Rest ist in einem Koffer eingepackt. Die Kleiderschränke sind leer. Nur die Müllsäcke, der Koffer, die Tochter und – Margaret Thatcher, gespielt von Meryl Streep, sind noch im Raum.
Der Film „Die Eiserne Lady“ zeichnet ein Bild von Margaret Thatcher, das ihre Anhänger vermutlich ungern sehen wollen: Das Bild einer alten Frau, die inzwischen unter Demenz leidet, von ihrem Ehemann Denis halluziniert und generell immer noch in der Vergangenheit zu leben scheint, weil ihr plötzlicher Machtverlust sie ins Nirvana katapultierte. Die alte „Maggie“, wie ihre Anhänger sie liebevoll nannten, wird zum Spiegel ihrer eigenen Vergangenheit. Gegenwart und Vergangenheit prallen wie zwei unüberwindbare Widersprüche aufeinander und scheinen doch eine Einheit zu bilden. Die Leistung Streeps ist an dieser Stelle besonders hervorzuheben. Sowohl die alte, als auch die junge Thatcher wird von ihr besonders detailverliebt und einfühlsam gespielt. Es findet keine Bloßstellung statt, keine Abrechnung mit ihrer Politik, ebenso wenig eine Huldigung. Gerade weil das fehlt, erscheint dem Zuschauer Margaret Thatcher seltsam nah, fast schon privat. So, als hätten wir sie selbst jahrelang persönlich gekannt.
Abneigung und Mitleid zugleich
Dennoch entsteht ein mulmiges Gefühl, Unbehagen, wenn man so direkt mit Thatcher konfrontiert wird. Das trifft weniger auf die greise, verwirrte Dame zu, besonders jedoch auf die Bildungsministerin und die Premieministerin. „Ich will die Falklands zurück!“ – schleudert sie messerscharf ihren Ministern entgegen, als es um die Frage nach Krieg oder Frieden ging. Nicht nur den Ministern stockt in dem Moment der Atem. Je länger man das Leben der Margaret Thatcher mit ihr durchschreitet, desto mehr entwickeln sich sowohl Abneigung, als auch Mitleid zugleich. Ihre Politik wird als Alptraum und nicht selten als der Kampf einer einzigen Frau gegen die Männerwelt inszeniert.
Gerade dadurch, dass der Eindruck vermittelt wird, Thatcher habe so handeln müssen, weil sie in der Politik nichts anderes lernte, als sich durchzusetzen, verliert der Film insgesamt an Tiefe. Es scheint fast, als habe die Regisseurin Phyllida Lloyd nach einer Entschuldigung gesucht. Einer kritischen Positionierung, die den Film streitbar machen würde, fehlt. Das Leben der Margaret Thatcher wird im Eilzugtempo durchlaufen, weshalb zwar einerseits viele Aspekte ihres Wirkens außer Acht gelassen werden, sich andererseits Widersprüche offenbaren. Der Widerspruch zwischen der noch lebenden Thatcher und der Premieministerin Thatcher. Woran der Film leider auch krankt, ist die Personenfixierung. So brilliant Meryl Streep auch spielen mag, es hätte nicht geschadet, weiteren Personen, wie beispielsweise ihrem Ehemann Denis oder Außenminister Geoffrey Howe mehr Raum zu geben. Die ausschließliche Konzentration auf Thatcher hat zur Folge, dass alle übrigen Rollen schon von der Handlung her betrachtet, an die Wand gespielt werden und ihre schauspielerische Leistung somit kaum im Gedächtnis bleibt.
Fazit: seltsam positionslos, sehenswert, aber viel Potential verspielt
Im Gedächtnis bleibt jedoch, dass zwar der Politik Thatchers blitzschlagartig Raum gegeben wird, diese insgesamt aber zu kurz kommt. Allerdings betonte Regisseurin Lloyd auch, dass es ihr gar nicht um die Bewertung Thatchers Politik geht, sondern darum, was aus Menschen wird, wenn sie plötzlich ihre Macht verlieren. Diesen Widerspruch zwischen Macht und Machtlosigkeit aufzudecken, ist ihr am Beispiel Thatchers wiederum gelungen. „Ich erkenne mich nicht wieder“, lässt die Regisseurin die alte Margaret Thatcher sprechen. Eine alte, zerbrechliche, ja fast schon sympathische Frau. Das Einzige, was den Zuschauer hindert, sich mit ihr identifizieren zu können, ist ihr fast schon skrupellos geschmiedet erscheinendes Lebenswerk, mit dem er zuvor in dem Streifen konfrontiert wurde.
Es scheint fast Ironie der Geschichte zu sein, dass sie von der Bühne der Politik abtreten musste, kurz nachdem der Eiserne Vorhang gefallen war. Zurück bleibt Leere. Der Film ist weder eine Abrechnung mit der Eisernen Lady, noch wird ihr Werk glorifiziert. Doch gerade weil er so seltsam positionslos ist, wird er der ersten Regierungschefin Großbritanniens nicht gerecht. Thatcher war eine Frau der harten Entscheidungen, die sie bis zum bitteren Ende durchgedrückt hat, egal welche Folgen die Entscheidungen für einen Großteil der Bevölkerung hatte. Zwar scheint diese Eigenschaft immer wieder durch, doch übrig bleibt merkwürdiges Mitleid. „Die Eiserne Lady“ ist ein Film, dessen Idee zwar gut ist, sich allerdings nicht genügend am Thema abarbeitet. Anstelle von Macht und Machtverlust rückt viel zu sehr die Demenz in den Mittelpunkt. Kurz: Ein sehenswerter Film, der sehr viel Potenzial verspielt hat.
Artikelbild: Filmplakat und -trailer – Concorde Filmverleih (keine CC-Lizenz)