Eine Rezension von Franziska Vopel
Wer bin ich eigentlich? Wo komme ich her? Diese Fragen hat sich wohl jeder schon gestellt. Dabei helfen einem oft Geschichten von älteren Familienmitgliedern. Doch was macht man, wenn es keine gibt oder sie die Geschichten nicht erzählen wollen.
Deutschland 1991: Sofia ist Journalistin und arbeitet gerade an einem Beitrag zur Unabhängigkeit Lettlands. Marga ist aus dem Altersheim geflohen und bewirft einen Taxifahrer mit Geschirr. Diese zwei Frauen, deren Beziehung nie sonderlich herzlich war, sind Mutter und Tochter. Die, an Alzheimer erkrankte Marga spottet beim ersten Wiedersehen über den Namen ihrer Tochter, die sie nun nicht mehr erkennt. Sofia nimmt sich ihrer Mutter an und erfährt bruchstückhaft von der Vergangenheit Margas. Sie ahnt, dass auch sie ihre Wurzeln in dieser Geschichte finden kann. Mutter und Tochter reisen gemeinsam nach Lettland, wo Marga vor dem Krieg lebte. Auf dieser Reise erkennt Sofia, dass Marga ihr häufig nur „das Blaue vom Himmel“ erzählt hat.
Hans Steinbichler (Regisseur) behandelt in seinem Film eine weitere Geschichte, die einer jungen liebenden Marga, deren Fanatismus sie bis ans Ende ihrer abscheulichen Grenzen stoßen lässt. Durch die Krankheit Margas wird der Zuschauer immer wieder in die Vergangenheit versetzt, in der sie eine glückliche und verliebte Frau ist. Im gesamten Film springt die Handlung zwischen der Zeit von 1990 und den dreißiger Jahren. Die gut ausgestattete Kulisse der dreißiger Jahre vereinfacht den Wechsel zwischen den Epochen für den Zuschauer. Die Szenen wirken nicht inszeniert. Hingegen sieht die Wohnung der Sofia 1990 zu stark nach Drehort aus. Zu große Zimmer, zu viel Stuck und zu steril. Der Sprung zwischen dem Jetzt und Damals lässt das Werk dynamisch werden und erzeugt Spannung. Der Zuschauer stellt sich die Frage, welches Geheimnis Marga in ihrer Vergangenheit verbirgt. Die kraftvollen Bilder sind ferner auch der Kamerafrau Bella Halben zu zuordnen, die durch wendige Kamerafahrten die Landschaften einfängt. Sie begleitet mit der Kamera das Geschehen, dass sich der Zuschauer fühlt als wäre er dabei. Durch lange Standbilder in der Totalen können die Schauspieler ihre Emotionen im ganzen Körper spielen lassen, das erhöht die Glaubwürdigkeit. Die malerischen Bilder Lettlands sind eindrucksvoll und lassen jede Szene erstrahlen. Aufgenommen wurden diese jedoch an der deutschen Ostseeküste, in Heiligendamm. Die Aufnahmen sind ein gelungener Kontrast zu der sonstigen Traurigkeit des Dramas.
Ebenso glänzt der Film durch seine Darsteller. Selbst die kleinste Rolle wurde mit hochkarätigen Schauspielern besetzt, so hat beispielsweise Fritzi Haberlandt nur einen Auftritt. Das sonst vielleicht überzogene Spiel von Hannelore Elsner lässt die Figur der alten Marga real erscheinen. Die von der Krankheit gezeichnete Marga verfällt von kindischer Unwissenheit in Schuldgefühle bis hin zu starker Aggressivität. Jede Phase wird von Elsner überzeugend und mitreißend gespielt. Gegen diese extrovertierte Dame hat es Juliane Köhler nicht leicht. Sie spielt an ihrer Seite die Tochter, die völlig aus der Bahn geworfen wird, als Bruchstücke ihrer Vergangenheit an die Oberfläche gelangen. Ihr Spiel wird durch eine ständige Ruhe begleitet und bildet so den perfekten Gegenpol zu Elsner. Die Jungdarsteller Karoline Herfurth und David Kross verleihen der Vergangenheit Leben. Hierbei kommt Kross ein wenig zu kurz und fällt kaum ins Gewicht. Das kann man ihm vielleicht nicht übel nehmen, wenn man bedenkt, dass er sich das Bild mit Karoline Herfurth teilt. Mit der Rolle der jungen Marga stellt sie wieder ihr schauspielerisches Können unter Beweis und dass sie zu Recht zu den besten Schauspielerinnen unserer Generation zählt. Zunächst ist man bezaubert von dem Mädchen Marga, dass glücklich und so voller Hoffnung ist. Herfurth strahlt und strahlt und strahlt. Sie vermittelt dem Zuschauer jene Leichtigkeit, die frisch Verliebte vermitteln. Der Wandel von dem verliebten Mädchen hin zu einer Frau, die durch eine fanatische Liebe zum Monster wird, gelingt Herfurth durch ihr leidenschaftliches Spiel. Sie stellt „die größte Liebende der Welt“, die betrogene und die Rache nehmende dar. Dabei ist sie kompromisslos.
Am Ende geht eine Beziehung zu Ende und eine andere beginnt. Hans Steinbichler arbeitet mit schweren Emotionen, eindrucksvollen szenischen Bildern und eindringlichen Klavierklängen. Der Film wirkt jedoch nie kitschig oder aufgesetzt. Dies ist kein Hollywooddrama mit glatten Darstellern und unnötigen Schmalz. Es wird einfach eine Geschichte erzählt, die zum Hinterfragen der eigenen Identität anregt.
Länge: 100 Min
Zusatzmaterial: Kinotrailer, Bayrischer Filmpreis (Clip), Programmvorschau
Erscheinungsdatum der DVD: 13.01.2012
Foto und Plakat: die film GmbH, NFP*-Verleih