Ob die schwedischen Bestsellerautoren Håkan Nesser, Henning Mankell oder aber Stieg Larsson am Mittwoch hätten einpacken können, konnte man um 19 Uhr bei der Krimilesung TRUP w SZAFIE (zu Deutsch: Die Leiche im Schrank) im Hans-Fallada-Haus überprüfen. Im Rahmen des polenmARkTes stellten hier die Vorstands- und Vereinsmitglieder des PolenmARkT e.V. Joanna Grzywa, Mariusz Lokaj und Marek Fiałek, drei der bekanntesten Krimiautoren Polens vor. Keine besondere Sache? Für die polnische Literatur aber schon. Bisher stammen nämlich nur sehr wenige Krimis aus Polen. Erst heute erlebt das Land, mit bis zu 15 Neuerscheinungen im Jahr, laut Marek Fiałek, „einen richtigen Krimiboom“.
Umso mehr interessiert doch, was an polnischen Krimis so anders ist. Und siehe da: Entgegen den skandinavischen Vorbildern, verzichten die Ermittler auf lange, dicke Pullover und Gummistiefel und berieseln sich auch nicht mit klassisch-melancholischer Musik, um den harten, rauen Winter des Landes und ihre Einsamkeit zu demonstrieren. Vielmehr wird detailgetreu die bunte, vielfältige Stadtszenerie beschrieben, sowohl in den 30er Jahren als auch zu Umbruchszeiten, in denen die kommunistische Vergangenheit in Beziehung zur Gegenwart gesetzt wird.
In kleiner, geselliger Runde von knapp 20 Gästen, gedämmtem Licht und der besonderen Räumlichkeit bekam die Lesung ihren ganz eigenen Charme. Die heimelige Atmosphäre unterstrich vor allem die Dia-Show, die neben den vorgetragenen, szenischen Ausschnitten der Romane, Lebensläufe und Portraits der Autoren an die Wand projizierte. Die Zuhörer konnten sich so, neben der Lesung, ein umfassenderes, persönlicheres Bild zur Vorgeschichte von Schriftsteller und Roman machen.
Vom Retro-, zum Stadt-, zum Öko-Krimi
Als eine Art Retro-Krimi bezeichnet man Marek Krajewskis Roman Tod in Breslau (2002), in dem der korrupte und abgeklärte Kommissar Eberhard Mock in der Breslauer Unterwelt der 30er Jahre ermittelt. Dabei begibt er sich auf einer gefährlich-brutalen Jagd von Geheimsekten über korrupte Nazi-Extremisten, durch Bordelle und Salons, sowie die Archive der Universitätsbibliothek. Krajweskis Meisterleistung liegt aber in der liebevoll, detailgetreuen Aufarbeitung der historischen und topografischen Merkmale der Stadt, sowie den Facetten seiner Akteure, die den Leser in eine Zeitreise durch die schlesische Metropole versetzt. So kam es schon vor, dass sich ein Leser bei Marek Krajewski meldete und seinen Vater als Mitarbeiter der Universitätsbibliothek wiedererkannte. Denn die Handlungen sind zwar erfunden, der Schauplatz und viele Nebenfiguren aber nicht.
In So sollt ihr sterben (2008) von Tomasz Konatkowski hat sich der sympathische Ermittler Adam Nowak ganz anderen Problemen zu stellen. Er sieht sich mit einer mysteriösen Mordserie konfrontiert, bei der alle Opfer in einer Straßenbahn oder in deren Nähe sterben mussten. Nicht zuletzt, tritt der Mörder in Kontakt mit Nowak und hinterlässt ihm geheimnisvolle Rätsel. Auch hier wird der Handlungsort authentisch-detailliert beschrieben. Jedoch vor allem in Form von Straßenbahnlinien, Haltestellen und Wendeschleifen in Warschau, was stark an Alfred Döblins Berlin Alexanderplatz erinnerte. Konatkowski verbindet die kommunistische Vergangenheit mit der heutigen Stadtstruktur und vergegenwärtigt spielerisch die mit Unsicherheit und Misstrauen verbundene Umbruchszeit Anfang der 90er Jahre.
Vom Retro-Krimi, zum Großstadt-Krimi und schlussendlich zum Öko-Krimi. Wie so etwas aussieht, zeigt Olga Tokarczuk in Der Gesang der Fledermäuse (2011). Ihre (etwas verschrobene) Hauptfigur Janina Duszejko, eine Dorflehrerin für Englisch und Geografie, erfährt eines Tages vom Tod eines Wilderers, der an einem Rehknochen erstickte. Bald darauf kommen weitere Menschen auf ähnlich rätselhafte Weise ums Leben. Janina ist der Idee verfallen, dass es die Tiere sind, die sich an den Menschen rächen wollen und versucht, in Form von Briefen auf liebevolle, aber energische Weise auch die Polizei davon zu überzeugen. Als diese sich wieder und wieder nicht davon überzeugen lassen, beginnt Janina selbst zu ermitteln und verfolgt schnell eine unerwartete, heiße Spur.
Fazit
Joanna Grzywa, Mariusz Lokaj und Marek Fiałek boten ein buntes, abwechslungsreiches Leseereignis von korrupten, zu sympathischen bis hin zu leicht verrückten Ermittlern, von gruseligen bis hin zu amüsanten Momenten. Besonders interessant aber war die mehrsprachige Vortragsweise. Nicht nur die Themenauswahl, auch „der Wechsel von Polnisch zu Deutsch oder aber die Reihenfolge zwischen den Lesern“, bemerkten viele Gäste als positiv. Doch vor allem wurde die schöne Atmosphäre des Hans-Fallada-Hauses gelobt. Wohl kaum gibt es einen passenderen Ort für eine Krimilesung als im Geburtshaus des bekannten Schriftstellers, der selbst für kurze Zeit aufgrund krimineller Delikte in Verwahrung geschlossen wurde. Daran erinnert auch die große Gefängnistür im Foyer, an der sich alle Gäste nach der Veranstaltung anhand Magnetwörter lyrisch oder episch ausüben konnten.
Ob sich nun die polnische Kriminalliteratur mit bekanntem Skandinavischem messen kann, sei dahin gestellt. Aber mit Sicherheit lockern diese Romane, durch ihre Liebe zu detailgetreuen Beschreibungen oder witzig, unwirklich erscheinenden Mördern in Form von Tierheerden, die bekannten Einheitsmuster auf. Und wer weiß, vielleicht sehen wir irgendwann die Namen Krajewski, Konatkowski oder Tokarczuk ganz oben auf den Bestsellerlisten.
Fotos: Anne Becker
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