Für das nächste halbe Jahrhundert soll die Erdgasversorgung Europas sichergestellt sein: Am 8. November 2011 ging der erste Strang der Nord Stream- oder Ostsee-Pipeline in Betrieb. Die Pipeline wird als entscheidend für die langfristige Sicherung der Energieversorgung Europas betrachtet, ermöglicht sie doch zumindest für die nächsten Jahre Zugang zu sibirischem Erdgas. Daher erhielt das Vorhaben den Status eines vorrangigen Energieprojektes von europäischem Interesse.
Gestemmt werden die für die Pipeline insgesamt anfallenden Kosten in Höhe von 7,4 Milliarden Euro zu 30% von den Anteilseignern der Nord Stream AG. Dahinter verbergen sich die zu 51% beteiligte russische OAO Gazprom sowie die niederländische N.V. Nederlandse Gasunie und die GDF SUEZ S.A. aus Frankreich, außerdem die E.ON Ruhrgas AG und die Wintershall Holding GmbH, Tochter des Chemiekonzerns BASF. Die restlichen 70% stammen aus Krediten bei rund 30 Banken.
Die Verlegearbeiten begannen im April 2010. Ende August diesen Jahres wurde die Nord Stream mit der Ostsee-Pipeline-Anbindungs-Leitung, kurz OPAL, verbunden. Gegen Ende 2012 soll auch der zweite Strang fertig gestellt sein. Insgesamt werden die beiden Rohre dann 55 Milliarden Kubikmeter Gas pro Jahr leiten können. Dies entspricht dem Bedarf von etwa 26 Millionen Haushalten.
Der Weg des Gases
Der kostbare Rohstoff beginnt seinen Weg im russischen Wyborg, arbeitet sich 1224 Kilometer in jeweils etwa 100 000 Rohren durch die Ostsee und trifft in Lubmin auf zwei weiterführende Leitungen. Die OPAL, bingt das Gas von Lubmin aus 470km weiter nach Süden bis Olbernhau im Erzgebirge an der deutsch-tschechischen Grenze. Dann wird es ins tschechische Netz eingespeist. Die Anbindung gen Westen soll in der Zukunft die Nordeuropäische Erdgasleitung (NEL) sicherstellen.
Die Ostsee-Pipeline wird die bestehenden Routen durch die Ukraine und Weißrussland ergänzen. Diese führten im Winter 2009 zu Problemen, als es aufgrund politischer Spannungen zwischen der Ukraine und Russland zu wochenlangen Lieferengpässen nach Westeuropa kam.
Die Pipeline und die Politik
Mit dem Weg durch die Ostsee statt über das Festland sind zwar höhere Baukosten verbunden, doch werden mit jedem Land, durch das die Pipeline so nicht führt, Transitkosten und politische Spannungen verhindert. Für die umgangenen Länder ist dies allerdings auch ein Grund, die Pipeline scharf zu kritisieren. So bezeichnete der ehemalige polnische Verteidigungsminister Radek Sikorski das Projekt 2006 gar als „Hitler-Stalin-Pakt“.
Andere Kritiker bemängeln, dass Deutschland sich mit der Pipeline zu sehr von Russland abhängig mache. Die Monopolstellung Russlands würde sich ungünstig auf die Preise auswirken.
Der ehemalige Bundeskanzler Gerhard Schröder trieb zu seinen Amtszeiten gemeinsam mit dem damaligen russischen Präsidenten Wladimir Putin die „Schröder-Putin-Pipeline“, wie manche Medien sie betitelten, voran. Zwei Wochen nach Aufgabe des Bundeskanzleramtes wurde er auf Einladung von russischer Seite Aufsichtsratschef der Pipeline-Betreibergesellschaft NEGP Company.
Diskussion um Umweltbeeinträchtigung
Die Nord Stream AG investierte 100 Millionen Euro in die nach eigenen Angaben bislang umfangreichste ökologische Untersuchung der Ostsee. Weitere 40 Millionen Euro fließen in ein bis 2016 laufendes Monitoring-Programm. Von dem Pipeline-Bau erwartet Nord Stream keine negativen Auswirkungen, eher sogar positive: Die Rohre könnten als künstliche Riffe neue Lebensräume bilden. Mehrfach wurde der Verlauf der Pipeline bereits geändert. So war man sich uneinig, ob die Trasse nördlich oder südlich der dänischen Insel Bornholm verlaufen solle. Nach der Untersuchung von knapp 100 Bodenproben und unter Berücksichtigung der ohnehin schon starken Nutzung der Nordpassage durch Fischerei und Tourismus, entschied man sich letzten Endes für die im Süden verlaufende S-Route.
Der WWF und der Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland (BUND) äußerten jedoch Bedenken, dass die ohnehin schon stark beeinträchtigte Ostsee durch das Projekt weiter geschädigt würde. Zwar seien die durchgeführten Untersuchungen qualitativ hochwertig, doch teilen die Umweltschutzorganisationen nicht die Einschätzung der Nord-Stream-Experten, dass die durchaus festgestellten Beeinträchtigungen allesamt unerheblich seien.
Ganz im Gegenteil: Die Folgen seien beträchtlich. Beispielsweise wurde die Pipeline im NATURA 2000– Schutzgebiet Greifswalder Bodden eingegraben, was das empfindliche Ökosystem stark störe.
Renaturierung gescheitert
Eine der wichtigsten in Deutschland durchzuführenden Kompensationsmaßnahmen für den Pipeline-Bau scheiterte. Ursprünglich sollte der Peenemünder Haken im Norden der Insel Usedoms renaturiert werden.
Das Gebiet war von den Nationalsozialisten für ihr Raketenprojekt benutzt worden. Dazu wurden erhebliche Mengen Material aufgeschüttet. 40 000 Kubikmeter Boden hätten abgetragen, weitere 400.000 Kubikmeter Seesand zurück in den Greifswalder Bodden gespült werden sollen. Resultat wäre 2014 eine dem Stand von 1850 vergleichbare Lagunenlandschaft gewesen, Heimstätte für seltene Seevögel und Tagfalter. Doch dem machten Hinterlassenschaften des Bombardements der Royal Air Force im August 1943 ein vorzeitiges Ende.
Nach Unterlagen aus den Jahren 1993 und 1994 hätte das Gebiet beräumt sein müssen. In der Realität fanden sich hier jedoch bei Testsondierungen scharfe und hochgradig explosive Geschosse. Der WWF befürchtet nun, dass die Nord Stream AG lediglich zu Augleichszahlungen verpflichtet werden wird.
Zweifel an Notwendigkeit der Pipeline
Laut süddeutsche.de ist derzeit sogar fraglich, ob die transportierten Mengen an Erdgas überhaupt benötigt werden. Das zum Zeitpunkt der Planung noch teure und knappe Erdgas ist inzwischen viel verfügbarer. Grund sind neue Fördertechnologien in den USA, wo der Rohstoff aus Schiefergestein gefördert wird. Angeblich wolle Gazprom daher die Transportkapazitäten zunächst nur zu einem Drittel ausschöpfen.
Bilder: Pipelineverlauf – Samuel Bailey via Wikipedia; Foto (Merkel/Medwedew) – Nord Stream AG; Foto (Seeufer Neuensien) – Olaf Meister via Wikipedia
Spannend: zwei Wochen alter Kaffee
die aktualität lässt in der tat zu wünschen übrig, allerdings beleuchtet der artikel ja das pipelineprojekt als ganzes (und nicht nur den allgemeinen fototermin) und ist mal wieder ein erfreulich ausführlicher und gut geschriebener artikel. bitte mehr davon.
Also, wenn sich der Nord- und Südpol per webMoritz-Definition nicht umgekehrt haben, 😉 http://hera.ph1.uni-koeln.de/~heintzma/Sp_Art2/S4…
ist eines falsch, entweder die Karte oder dieser Text: „… Jetzt liegen die Rohre im Norden. Das verlängert zwar die Trasse um 8 Kilometer, umgeht aber die hier liegenden Munitionsaltlasten weiträumiger. …“
Alle meine Recherchen haben zu einem Ergebnis geführt, das auch auf der Karte dargestellt ist:
„… Aus diesem Grund wurde jetzt eine optimierte Strecke um Bornholm (Dänemark) beschlossen.
Die so genannte S-Route verläuft nun südlich der Insel. ..“
Vielen Dank für den Hinweis, mit unserer Neudefinition der Polkappen warten wir noch ein bisschen und haben den Fehler im Text korrigiert.
Tatsächlich ist es so, dass Nord Stream im Sommer 2007 noch plante, den Süden der Insel auf Grund der enormen Belastung durch Kampfstoffe aus dem Zweiten Weltkrieg zu meiden. Als sich aber ein möglicher Verlauf durch den Norden auf Grund der intensiven Nutzung durch Fischerei und Tourismus ebenfalls als problematisch erwies, prüfte Nord Stream einen alternativen Verlauf. Der jetzige Verlauf wurde im Sommer 2008 beschlossen und verläuft zwar durch den Süden, umgeht aber die bekannten, stark belasteten Gebiete der Region.
Die Karte zeigt also den tatsächlichen Verlauf der Pipeline.
Komisch wenn es um Geschäfte geht, hat die Ängie mit Exkommunisten keine Probleme.