Sollen die Aktivitäten der Stasi in Greifswald aufgearbeitet werden oder soll die Forschung ruhen? Das war die Frage, die am Dienstag, den 19. Oktober, bei dem Vortrag „Studenten im Visier der Stasi“ im Raum schwebte. Pünktlich um 19 Uhr eröffnete Hannelore Kohl, Präsidentin des Oberverwaltungsgerichts Greifswald, die von der Evangelischen Studentengemeinde (ESG) und dem Verein „Gegen Vergessen – Für Demokratie“ organisierte Veranstaltung. Ohne große Umschweife übergab sie das Wort an die beiden Referenten Wolfgang Gräfe und Guntram Schulze, deren Recherchen zur Aufarbeitung der Stasi-Aktivitäten in Greifswald erst 2008 begannen. Folglich konnten sie ihre Erkenntnisse an diesem Abend nur grob umreißen.
ÜBERWACHUNG DER ESG ALS BEISPIEL
Gleich zu Beginn machte Gräfe klar, dass die Überwachung der ESG durch inoffizielle Mitarbeiter (IM) der Staatssicherheit nur einen Bruchteil der Bespitzelungen in Greifswald darstellte. In den Augen der SED war eine Überwachung der christlichen Studenten notwendig, da die in Konkurrenz zu den Erziehungsidealen des DDR-Staates traten. Die Einschleusung von Spionen war zunächst nicht leicht. In Greifswald habe es kaum geeignetes Personal gegeben. Verfügbare Stasi-Mitarbeiter waren entweder zu alt oder zu ungebildet, um in studentischen Kreisen zu verkehren. Erst nach und nach konnten Studenten gewonnen werden, die ihre Kommilitonen aushorchten.
INOFFIZIELLE MITARBEITER GESUCHT
Anschließend widmete sich Dr. Schulze in seinem Vortrag den persönlichen Schicksalen von vier IM. Das Vorgehen der Stasi beim Anwerben von Mitarbeitern schien dabei ähnlich. Gesucht wurden staatstreue, kommunikative Studienanfänger, die bereit waren sich an der Arbeit der ESG zu beteiligen, um darüber Bericht beim Ministerium für Staatssicherheit abzustatten. Bestenfalls waren potentielle Kandidaten nicht-christlich erzogen, so dass sich deren Loyalität zur ESG in Grenzen hielt.
Eine Ausnahme bildete das Beispiel einer Studentin, die aus einem sehr christlichen Elternhaus stammte, deren Freund jedoch SED-Mitglied war. Aus Zuneigung zu ihm ließ sie sich als IM gewinnen. Doch nicht nur die Anwerbung, sondern auch der Aufstieg der Spitzel in der ESG verlief ähnlich. Während sich die Studenten bei Gemeindeabenden, Stammtischen und anderen Unternehmungen zunächst das Vertrauen ihrer Kommilitonen erschlichen, waren sie nach kurzer Zeit oft schon Vertrauensstudenten.
DISKUSSIONEN ZUR AUFARBEITUNG DER VERGANGENHEIT
Die Reaktionen der gut dreißig Zuschauer zeigten, wie aktuell das Thema Staatssicherheit in den Köpfen der Menschen noch ist. Es wurde darauf hingewiesen, dass ehemalige SED-Funktionäre noch heute in politischen Ämtern aktiv seien, was für damalige Opfer ein Hohn sein müsse. Die Darstellungen von Gräfe und Schulze waren nur der Anstoß zu weiterführenden Diskussionen. Es stellte sich beispielsweise die Frage, ob die Namen der IM zu nennen sind oder ob die Einzelschicksale lediglich unter Decknamen veröffentlicht werden sollen. Das Publikum kam zu dem Konsens, dass offizielle Mitarbeiter genannt werden sollten, inoffizielle jedoch besser anonym blieben. In eine ganz andere Richtung gingen die Forderungen einiger Zuschauer, die die Verlagerung der Forschungsschwerpunkte anregten. Einerseits hielten sie es für sinnvoll mehr über den „Kopf“ als den daran hängenden „Schwanz“ zu reden, sich also mehr mit der SED als der Staatssicherheit und den IM zu beschäftigen. Andererseits müsse eine Verschiebung, weg von den Tätern hin zu den Opfern stattfinden. So sei es nicht nur interessant die Werdegänge der IM zu verfolgen, sondern auch die Konsequenzen für bespitzelte Studenten zu erforschen. Auch wenn viele Fragen offen blieben, so wurde eine Antwort gewiss gegeben: die Aufarbeitung der Stasi-Vergangenheit in Greifswald ist unabdingbar.
Fotos: Raphael Scheibler
Zum Glück brauchen wir heute keine IM mehr. Dafür gibt es ja den Staats-Trojaner!
Landesverfassungsgericht oder meinetwegen Oberverwaltungsgericht!!!
Man geht in ein Gebäude und weiß nicht, wo man ist… Wie zuverlässig sind die anderen Informationen? Das Gebäude ist in Zusammenhang mit der Thematik wichtig! Warum kein Wort darüber?
Vielen Dank für den Hinweis und die Kritik. Den Namen des Gerichts haben wir berichtigt.
Frau Kohl ist Präsidentin des Landesverfassungsgerichts und des Oberverwaltungsgerichts und nicht des Rostocker Oberlandesgerichts.
Erstaunlicherweise hat auch die OZ Oberlandesgericht geschrieben, obwohl der Autor Jurastudent ist. Insofern wurde das vielleicht auch nur falsch abgeschrieben.
Vielleicht hilft der Wink mit dem Zaunpfahl: Was war denn früher in der Domstraße 7?
Dann noch eine inhaltliche Anmerkung von mir zu einem Satz im letzten Absatz:
"Es wurde darauf hingewiesen, dass ehemalige SED-Funktionäre noch heute in politischen Ämtern aktiv seien, was für damalige Opfer ein Hohn sein müsse."
Wenn die Autorin hier richtig zitiert und nicht SED und Stasi verwechselt, so finde ich wichtig zu ergänzen, daß nicht nur ehemalige SED-Funktionäre heute in politischen Ämtern sind, sondern daß die Partei SED niemals aufgelöst wurde. Sie wurde nach der Wende erst in PDS und einige Jahre später ein zweites mal in Die Linke umbenannt, nachdem die WASG einverleibt wurde.
Wobei natürlich zu erwähnen ist, daß die Mitgliedschaft in einer der Blockparteien wie z.B. der CDU damals nicht rühmlicher ist als die in der SED. Vor allem wir als junge Leute sollten aber keine Verurteilungen über Personen treffen, bevor wir uns in die jeweilige individuelle Biographie und Motivation hereingearbeitet haben. Am besten, wir verurteilen garnicht, sondern versuchen, aus der Geschichte zu lernen und die richtigen Schlüsse für unser Leben zu ziehen.