Entführungen, Casting-Shows für die Band „Made in Germany“ und eine Filmfirma, die Streifen für das Rotlicht-Millieu produziert, bieten den Rahmen der grotesken Kurzprosa Matthias Jüglers, der zusammen mit Lisa Kreißler am 9. September im Koeppenhaus war. Beide lasen aus ihren Werken vor. Jüglers Protagonisten lassen sich am ehesten als Lebenskünstler beschreiben, die in unrealistische Situationen verwickelt werden, in denen dennoch eine große Portion Realität mitschwingt. Gerade die Gegenüberstellung von Absurdem und Realem machen den Reiz dieser Erzählungen aus. Die Helden scheinen auch nicht dem bürgerlichem Millieu zu entstammen, vielmehr steht „der kleine Mann“ (beziehungsweise „die kleine Frau“) im Mittelpunkt der Handlungen.
„Bei Gigi-Productions arbeiten sie mit allen Mitteln, die einen guten Film ausmachen: Licht, Ton, Kamera…“, berichtet der Held der Erzählung „Harzer Knaller“, der in der Filmbranche außerordentlich fachkundig zu sein scheint. Gigi-Productions ist jedoch nicht, wie angenommen werden könnte, ein Filmunternehmen, das Filmpreise in Canne oder Hollywood absahnt, sondern ein Porno-Filmstudio. „Die Leute wollen sehen, was sie kennen: Nicht nur Brüste und Schenkel, sondern auch – Heimat“ – und während Jügler mit besonders herausragendem Pathos das Wort „Heimat“ ausspricht, spinnt sich um den Titel „Harzer Knaller“ eine kuriose Handlung, die von einer komischen Szene zur nächsten springt. Doch auch die Entführung Rocco Fernandos, der „goldenen Stimme aus Prag“, durch die naive „Miss Schneeberg“ und ihren Freund, überraschen den Leser – in diesem Fall eher Zuhörer – mit plötzlichen Wendungen, die man nicht für möglich gehalten hätte. Obwohl sie freilich möglich sind, wie der Autor mit seinen Texten beweist.
Anziehende Gegensätze, Komik, offene Handlungen, angenehme Überraschungen…
Nicht nur Matthias Jügler, der in Greifswald Skandinavistik und Kunstgeschichte studierte, auch Lisa Kreißler konnte mit ihren Texten das Publikum beeindrucken. Ihre prosaischen Werke zeichnen sich vor allem durch äußerst detaillierte, harmonische und wendige Bildbeschreibungen aus, die alleine aufgrund der wohlüberlegten Wahl der verwendeten Worte Spannung erzeugen. Die Erzählungen, die sie den Zuschauern vorstellte, drehten sich um Liebe und Tod. Beide Erzählungen lassen den Zuhörer im Unklaren, wie die Handlung genau zu Ende geht. Es wird nur ein Teil der Fragen aufgelöst. „Wir stehen selbst enttäuscht und sehn betroffen/ Den Vorhang zu und alle Fragen offen“* – dürfte wohl vor allem das Resultat ihrer zuletzt vorgetragenen Erzählung gewesen sein, endet sie doch mit „Lieber Jakob…“, genau genommen überhaupt nicht.
Mit einem besonders harten Schnitt geht die Erzählung plötzlich zu Ende und lässt den Hörer oder Leser vollkommen im Unklaren. Nicht einmal die Handlung davor lässt erahnen, was in dem Brief der Mutter steht oder stehen könnte, dabei dreht sich alles um eben diesen Brief – eine sympathische Frechheit, die sich die Autorin an dieser Stelle heraus genommen hat und den Zuhörer damit überrascht.
Generell scheint die Autorin, zumindest ausgehend von dem, was sie dem Publikum vorstellte, das Spiel mit den Gegensätzen zu lieben. Mal wird der Leser unverhofft ins Geschehen geworfen, plötzlich wandelt sich – ohne es zu ahnen – die Harmonie in Tristesse. Die Gegensätze werden in Kreislers Erzählungen unverblümt gegenüber gestellt.
Einen Text gab es dann doch noch… als Zugabe
Beiden Autoren zuzuhören war aus diesem Grund auch ein Erlebnis. Völlig nüchtern, jedoch nicht minder emotionslos las Jügler seine Texte und arbeitete auf diese Weise die Komik stimmlich noch besonders detailliert heraus. Gleiches gilt auch für Kreislers Spiel mit den Gegensätzen, die sich auch in der Melodie wieder spiegelten.
Zuletzt gab es einen zunächst nicht endend scheinenden Beifall. Kein Wunder, hatten sie doch ihrem Publikum mit ihrer zwischen Ironie, Harmonie und Widersprüchen wandelnde Kurzprosa Hunger auf mehr gemacht. Und so forderte es Zugaben ein. Immerhin, eine Zugabe gab es noch zu den geplanten vier Erzählungen dann tatsächlich noch.
Im Vorfeld der Veranstaltung hatte das Moritz-Magazin die Möglichkeit die beiden zu interviewen. Das Gespräch mit den Autoren wird in der kommenden Ausgabe in der Erstsemesterwoche erscheinen.
*Berthold Brecht: Der gute Mensch von Sezuan
Fotos: Johannes Köpcke
Danke für den Hinweis. Auf dem Flyer vom Koeppenhaus wurde sie glaube ich auch falsch geschrieben. Zumindest daher habe ich die Kreissler-Variante… Ist jedenfalls jetzt korrigiert.