Lautes Pöbeln, Mädchengekreische und dumpfes Klatschen von Schlägen im Dunkeln – Prügelei im Innenhof meines Blocks. Wo eben noch die Jugendlichen ihre Sommerferien oder Arbeitslosigkeit genossen haben, bricht ein Orkan der stumpfen Gewalt los. Die Tischtennisplattengang scheint entweder untereinander zu testen, wer das Alphatier im Rudel ist, oder sich mit der Gang aus dem Nachbarhof zu kloppen.
Da es nicht aufhört, greife ich kurzerhand zum Telefonhörer und wähle die 110. Die Polizei scheint recht schnell zu kommen. Später erfahre ich, dass ein Kumpel meines Mitbewohners gegenüber auf der anderen Seite des Innenhofs wohnt und sich das Spektakel auf dem Balkon sitzend mit einer Flasche Bier in der Hand anschaute. Er sah, wie ein Polizeiwagen vorgefahren kam, ein Polizist lässig ausstieg und sich als erste Amtshandlung eine Zigarette anzündete. Mit ihr in der Hand ging dieser langsam in den Innenhof und guckte sich die Szenerie an. Die kleine Gangster pöbelten ihn von Weitem an: „Hau ab, scheiss Bulle!“ Nachdem er aufgeraucht hatte, verzog er sich einfach wieder. Die Prügelei war beendet.
Meine wohl einzige Erinnerung an Gewalt in fast schon fünf Jahre im fünften Stock in Schönwalde II. Und jetzt fragt ihr euch einen Satz, den ich zu oft gehört habe. „Was, du wohnst in Schönwalde?“ Damit einhergehende Vorurteile: 1. Da wohnen nur Nazis. 2. Hartz-IV-Ghetto. 3. Alter, ist das weit weg! 4. Da wohnen nur Nazis. Gefolgt von einem: „Warum ziehst du nicht in die Innenstadt? Da ist eh mehr los.“ Meistens kommen die Sprüche von Menschen, die Schönwalde nur auf ihrem Weg in den Elisenpark oder zur Kiste durchquert haben.
Gut: in Schönwalde kann man abends nicht feiern gehen oder gemütlich beisammen sitzen, einzige Ausnahme bildet hier die Kiste. Aber mit anderen Vorurteilen gehört aufgeräumt. Von wegen weit weg. 95% der Greifswalder wohnen innerhalb eines 3 km großen Radius. Das sind 15 Minuten auf dem Fahrrad von der Europakreuzung bis zu Burger King. Aber besonders für die in ihrer Heimatstadt sonst so weite Wege in Kauf nehmenden Berliner ist das natürlich eine Zumutung.
Während sich in der Innenstadt das studentische Leben zentriert, finden in den Plattenbauvierteln Greifswalds ganz andere Alltäglichkeiten statt. Seit letztem Jahr stelle ich beispielsweise fest, dass vermehrt Hinweise auf Zetteln oder Glastüren auftauchen, wenn ein Nachbar irgendwas zu sagen hat. Ob nun Hasenkacke im Flur liegt, ein Wecker zu laut klingelt oder eine neue Partnerin für’s Leben gesucht wird, immer häufiger tauchen solche erheiternden Botschaften auf.
Schönwalde ist kein Ghetto. Da wohnen genug eurer Kommilitonen. Schnappt euch euer Rad und besucht sie. Sie kommen ja auch immer in die Innenstadt zu euch. Gerade in den Plattenbauwohnungen sind die Nachbarn erstaunlich lärmresistent. Private Partys werden selten von der Polizei beendet. Lasst euch einfach mal drauf ein und hört den Geschichten dieses Stadtteils zu. Er hat viel zu erzählen.
Foto: Gabriel Kords (Porträt), Oliver Wunder (Kontaktanzeige), Jakob Pallus (Grafik)
Dieser Text ist Teil des webMoritz-Projekts „fünf x fünf – Die Kolumne“. Vom 20. Juni bis 22. Juli schreiben werktags fünf Autoren an je einem festen Tag eine Kolumne für den webMoritz. Weitere Infos gibt es hier. Morgen ist an der Reihe: Oleg Maximov.
Schoener Beitrag auch wenn vieles leider keine Vorurteile sind. Zumindest, dass der Weg weit ist und dass dort nur Nazis wohnen ist natuerlich quatsch. Doch wie du schon selber sagtest feiern gehen kann man dort nicht. Es sei denn man ist dort mit einer groeszeren Gruppe enger Bekanntschaften unterwegs.
Weil auf Poebeleien und alles was danach folgt muss sich halt einstellen ohne dabei eigen Initiator zu sein. Natuerlich wird das alles oft dramatisiert, so passieren wohl recht viele Schlaegereien auch in der Innenstadt doch eine gewisse "Plattenbauromantik" bleibt dennoch bestehen.
Achja und nach meiner Erfahrung ist es meist nicht die Polizei, die eine Party versucht aufzuloesen sondern eher ein Nachbar, der hoeheren Kampfgewichtsklasse, der alleine mit seinem haemmern gegen die Tuer, diese bereits droht einzureiszen. 😉
Ne mit allen Vorurteilen kann man nie aufräumen. Erst recht nicht in der vorgegebenen Zeichenanzahl. Aber ich hab in der Innenstadt nachts mehr rumpöbelnde "Idioten" gesehen als in Schönwalde und die Fragen: "Hast du was gesagt?" bzw. "Hast du ein Problem?" gehört. Schläge kann man sich überall einfangen. Und egal wie dumm sich der Nachwuchs hier benimmt, im Hausflur grüßen sie trotzdem freundlich. Zumindest in einer Hinsicht gut erzogen. 😉
Da spricht dann wohl das illusorische Sicherheitsgefuehl aus mir^^ (Was mir jetzt aber auch erst wieder im nachhinein auffaellt).
Recht hast du natuerlich. Vllt. ensteht dieses Gefuehl der "Sicherheit" auch nur deswegen, weil man viel mehr vertraute Gesichter in der Innenstadt sieht auch wenn ein Groszteil dieser garnicht dort wohnt… 🙂
Der Artikel spricht mir aus der Seele.
Von wegen weiter Weg, ich komme aus Berlin, da fahre ich mit dem Fahrrad 10Minuten bis zum nächsten U-Bahnhof, von dem aus ich eine halbe Stunde zum Alex fahre. Hier fahre ich 10min mit dem Fahrrad und bin im Zentrum, fertig aus.
Ich möchte nicht bewerten, was für Leute in Schönwalde rumrennen, aber nachts sehe ich gewöhnlich – niemanden ;).
Wer sich über Kindergeschrei aufregt, sollte auch nicht nach Schönwalde kommen.
Daß jemand Hartz IV bezieht, macht ihn nicht zu einem schlechteren oder unfreundlichen Menschen. Sehe ich also auch nicht als negative Seite.
Klar, man kriegt Post von Udo Pastörs, das ist nicht schön und ein Indiz dafür, daß in Schönwalde tatsächlich eine faschistische Anhängerschaft zu finden ist(irgendwer muss den Mist ja verteilen).
So ist das halt mit Vorurteilen über "Ghettos". In Marzahn nicht anders als in Schönwalde.
Ja, es ist schon komisch, dass in einer kleinen Stadt wie Greifswalde die Wege so weit sein sollen. Ich geh die Strecke auch schon mal zu Fuß, wenn ich blau und zu geizig für ein Taxi bin.
Ich möchte dir aber in Bezug auf die faschistischen Anhänger widersprechen, denn verteilt können die Flyer auch von Studenten oder Auswärtigen verteilt werden. Das Problem ist eher, dass hier ein größeres Wählerpotential aufgrund der unbefriedigenden sozialen Lage zu finden ist. Das mit einer festgelegten Meinung nichts zu tun. Die Linke schlägt da in die gleiche Kerbe. In der einen Wahl werden sie dann die NPD wählen und in der Nächsten dann die Linke oder wie es die Meisten es generell machen: gar nicht zur Wahl gehen.
Egal, wer da wohnt oder nicht, ich will da trotdem nicht wohnen. Klar, ich besuch auch mal wen dort aber ich brauch die Nähe zur Innenstadt. Von Schönwalde kann mich nicht mal der Elisenpark überzeugen oder die relative Nähe zum Strand.
Wer ein wahres Ghetto sehen will, der soll mal erstmal ein paar Wochen im Berliner Stadtteil Wedding verbringen – das entspricht eher dem als Schönwalde.
wedding rulez oder wie es Horst Evers sagen würde: "Wedding ist die Perle unter den Berliner Bezirken"
btw: allgemein finde ich die Verwendung des Begriffs Ghetto nicht sonderlich gut, da er vor allem zur (rassistischen) Stigmatisierung dient
Stimmt wohl, hast du denn eine alternative?
"Problembezirk"? Obwohl jetzt gerade in den Berliner vormals-Problembezirken das größte Problem ist, dass es keinen Club Mate mehr zu kaufen gibt…
Nix gegen den Wedding,ja! 🙂
Ist toll da und halb gentrifiziert isser auch schon. (kann aber Schönwalde nicht passieren, keine Angst :-p)
Dieser Text ist, glaub ich, der erste hier auf dem webmoritz der mal nicht ins stumpfe Schönwalde-Bashing verfällt – ich hab immernoch den Artikel im Ohr, wo beim "Wohnungstest" "weit außerhalb" eine Tour durch die ranzigsten Gammelbauten/-wohnungen gemacht wurde um dann zu konstatieren, dass Ersti "da" nicht wohnen will. Bei soviel negativer Propaganda ist es nicht verwunderlich, dass Neuankömmlingen lieber Mondpreise in Pseudo-Innenstadtnähe (wie bereits mehrmals erwähnt – 15 Minuten und man ist in selbiger) bezahlt anstatt sich in SW "regelmäßig von marodierenden Nazi-Banden vertrimmen zu lassen" (O-Ton flüchtiger Bekannter).
Insofern ist der Artikel eine lobenswerte Abwechslung. Weiter so.
Besten Dank, Oliver, für den schönen Artikel. Nachdem von Gristuf auf der Vollversammlung der unerhörte Kommentar kam, Räumlichkeiten in Schönwalde seien einem Studenten nicht zumutbar, ist dieser Artikel Balsam für jemanden, der gern in Schönwalde lebt. (Und ich schließe mich den anderen Berlinern an, dass die 15 Minuten in die Innenstadt echt kein Ding sind!)
EvM hat mir neulich noch erklären wollen, dass eine LHG-Veranstaltung in Schönwalde nicht besucht werden würde. Wir hatten letzte Woche unser Semesterabschlussgrillen in der Makarenkostraße und es war, wie die Weihnachtsfeier davor, gut besucht. Vielleicht sollten die studentischen Gruppen häufiger mal Veranstaltungen dorthin verlagern und dorthin einladen. Etwas mehr studentische Kultur würde dem Stadtteil sicherlich nicht schlecht tun 😉
Aja, eines hat Oliver vergessen: Vergesst die "Schwalbe" nicht! Ich war bei der Wiedereröffnung dieses Jugendclubs und kann nur empfehlen, da mal hinzugehen!
Wie wäre es denn mit heute, denn laut facebook gibt es dort:
Die Improvisationstheatergruppe vom Greifswalder Studententheater StuThe, "Ma' ma ernst!" wird am Donnerstag in der Schwalbe (ehemalig Labyrinth) wieder einmal die Bühne in einen Hexenkessel verwandeln. Dabei wird es (höchstwarscheinlich und vermutlich) viel zu erleben geben:
Action, Spannung, Abenteuer, Horror, Liebe, Eifersucht, Musik, Tragik, TV-Shows und und und!
Es lohnt sich vorbeizukommen. Ein Abend der unvorhersehbaren Art.
Was ist Improvisationstheater?
Impro-Theater funktioniert ohne Manuskript, ohne vorherbestimmte Regie. Lediglich einige Spielformate und der unberechenbare Input des Publikums verwandeln die Bühne und die Akteure in die unglaublichsten Szenerien und Charaktere. Kein Dialog, kein Song ist vorherbestimmt. Wohl aber die Tatsache, dass jeder Zuschauer Teil eines völlig einmaligen Ereignisses ist.
5, 4, 3, 2, 1…GO!
Einlass: 20:30Uhr
Start: 21:00Uhr
Eintritt: nur 3 Euro!!!
Verdammt, eine halbe Stunde zu spät gesehen. Findet so etwas häufiger statt? Wo findet man die Ankündigungen?