„Alles wird gut, nur weiß keiner, was bis dahin passiert. Es muss alles gut werden“, waren Sätze, die Börsenjournalist Hermann Kutzer immer wieder bei einem Vortrag des Greifswalder Börsenvereins fand. Etwa 40 BWL-Studenten hörten sich Kutzers humorvollen Vortrag an.
Von Liberalisierung bis Überregulierung
Mit seinem Streifzug durch die Wirtschaft ging er zurück in die 80er Jahre. „Es begann die Liberalisierung der Märkte und die Notenbanken setzten eine Geldwertstabilität durch, die zu neuen Wachstumskräften führte. Die Inflationsbekämpfung war wichtiger als die Vollbeschäftigung.“ Die Volkswirtschaften und Finanzmärkte wurden offener durch den Abbau von Zoll- und Kapitalverkehrbeschränkungen. „In den 90ern verstärkten sich die Trends zur Digitalisierung. Das Leben beschleunigte sich und die Wirtschaft durchdringt heute alle Lebensbereiche.“ Zur Jahrtausendwende wollten Politiker jedoch Einfluss auf Wirtschaft zurückgewinnen. „Heute sind wir in einer Phase der Reregulierung mit der Gefahr der Überregulierung“, so Kutzer. Mit einer Überregulierung meinte der Vortragende zu viele Regelungen, die das Wirtschaftsleben unnötig behindern.
Als ein „großes Thema der Kapitalanlage“ sieht Kutzer heute die Erhaltung des Lebensraumes und die Nachhaltigkeit, wie die Wasserversorgung oder die Windenergie, die jeden Lebensbereich durchziehe. Damit seien zum Beispiel weniger Kraftstoffverbrauch bei Autos, Sonnenenergie aus der Sahara (Desertec) oder Energiespeicher gemeint: „Wir werden erleben, dass überall auf der Welt die Frage gestellt wird, wie wir unsere Erde erhalten können.“ Der Atomenergie gab er keine Zukunft, auch wenn man sich an ihr „dumm und dämlich verdienen“ könne.
Geschichte zu Irland und EU-Rettungspaket
Er erzählte eine Geschichte über Irland an der deutlich wurde, wie das EU-Rettungspaket funktioniert:
Es ist ein trüber Tag in einer kleinen irischen Stadt. Es regnet und alle Straßen sind leer gefegt. Die Zeiten sind schlecht, jeder hat Schulden und alle leben von Krediten. An diesem speziellen Tag fährt ein reicher deutscher Tourist durch die Stadt, hält bei einem kleinen Hotel und legt einen 100 Euro-Schein auf den Tresen an der Rezeption. Er sagt dem Eigentümer, dass er die Zimmer inspizieren möchte, um vielleicht eines für eine Übernachtung zu mieten.
Der Eigentümer gibt ihm einige Schlüssel und als der Besucher die Treppen hinauf gegangen ist, nimmt der Hotelier den 100 Euro-Schein, rennt zum nächsten Haus und bezahlt seine Schulden beim Schlachter. Der Schlachter nimmt den Schein, rennt die Straße runter und bezahlt den Schweinezüchter. Der Schweinezüchter nimmt wiederum die 100 Euro und bezahlt seine Rechnung beim Futter- und Treibstofflieferanten. Der Mann bei der Bauerngenossenschaft erhält den Geldschein und begibt sich zur Kneipe, um dort seine Getränkerechnung zu bezahlen. Der Kneipenwirt schiebt den Schein zu einer an der Theke sitzenden Prostituierten, die auch harte Zeiten hinter sich hat und dem Wirt einige Gefälligkeiten auf Kredit gegeben hat.
Die Prostituierte geht zum Hotel und bezahlt die ausstehende Zimmerrechnung mit dem 100 Euro-Schein. Der Hotelier legt den Schein wieder zurück auf den Tresen, sodass der wohlhabende Reisende nichts bemerken würde. In diesem Moment kommt der Reisende die Treppe herunter, nimmt den Schein und meint, dass die Zimmer ihm nicht gefallen würde.
Er steckt das Geld ein und verlässt die Stadt. Niemand produzierte etwas. Niemand verdiente etwas. Wie auch immer, ist nun die Stadt ohne Schulden und man schaut mit großem Optimismus in die Zukunft.
Alles wird gut!
China und Deutschland als Zukunft
China sieht er als „künftigen Megatrend“ und forderte die Studenten auf, Chinesisch zu lernen. „China wird Amerika überholen. Dort klappt die Steuerung der Wirtschaft und der Gesellschaft perfekt.“ Er kritisierte aber eine „chemische Verseuchung durch Abbau von seltenen Erden“ in China und damit eine mangelnde Nachhaltigkeit des bevölkerungsreichsten Landes der Erde. Seltene Erden sind Metalle und Rohstoffe, die für viele Produkte, wie beispielsweise Handys, benötigt werden. Diese gibt es nicht oft auf der Erde, sodass China momentan 95 Prozent dieser Erden weltweit fördert. Neben chinesischen empfahl er auch deutsche Aktien, denn „Deutschland ist ein neues Land der Tüftler. Wir haben 1.500 Weltmarktführer in Deutschland.“ Deswegen seien wir auch künftig in Deutschland dabei. Mit Blick auf Europa meinte Kutzer, dass die EU auseinanderbrechen könnte, Deutschland aber profitieren würde. „Unsere reale Wirtschaft ist in einer so guten Verfassung, dass es die größten Optimisten nicht glauben wollen“, sagte Kutzer.
Medien mit großem Einfluss auf die Finanzmärkte
Kutzer erklärte ebenfalls, was die sensiblen internationalen Finanzmärkte bestimmt. So regieren die Börsen sehr schnell auf schlechte oder gute Nachrichten, auch wenn dies teilweise nur Gerüchte sind. „Die Medien haben einen ungeheuer großen Einfluss“, so der Journalist. Die Börsenstrukturen hätten sich verändert und 40 Prozent des Börsenhandels laufe über „Algotrading“. Dabei sorgen Computerprogramme nach bestimmten Einstellungen, zu welchem Preis Aktien verkauft oder gekauft werden sollen, für den Handel von Wertpapieren. Die Märkte seien selbstbestimmt. In jedem Aktienkauf sieht Kutzer eine Wette. Er bezog sich auf eine Studie, wonach die Kursschwankungen des Deutschen Aktienindexes (DAX), den er am Jahresende höher sieht als aktuell, hauptsächlich durch spontane Reaktionen passierten. „Wie reagieren andere, so reagiere ich auch“, nannte Kutzer einen sich selbst verstärkenden Effekt, sodass „die Börse laufend falsche Kurse produziert“.
Empfehlung für späteren Lebens- und Berufsweg
Abschließend gab er den anwesenden Studenten eine Empfehlung für den späteren Lebens- und Berufsweg: „Bleiben Sie in Deutschland, lernen Sie Chinesisch und werden Sie Ingenieur im Bereich der nachhaltiger Entwicklung.“
Wenn der 100 €-Schein in Kutzners Geschichte am Ende bei einer deutschen Bank gelandet wäre, hätte die Pointe etwas mehr Lebenswirklichkeit. Am Ende profitieren die Banken in jedem Fall und die Risiken liegen beim Hotelier, beim Schlachter, … und mehrfach bei der Prostituierten.
Siehe auch: http://www.faz.net/artikel/C30638/irische-schulde…
Die Banken sind in der Regel „Systemisch“ (HRE), der Gewinn der Banken ist „Alternativlos“ und das ist Merkel-Duktus!
Das treibt einen doch noch zum Kopfschütteln an diesem schönen Sonntag.
Eine Zeit der Reregulierung mit der Gefahr von Überregulierung? Eine Gute-Nacht-Geschichte über die Funktionsfähigkeit des EU-Rettungspakets? Schonmal in die Realität geschaut? IWF-Deregulierungspolitik in Griechenland wie sie im Buche steht und schon an unzähligen afrikanischen Ländern ausprobiert wurde.
Soso, und in China läuft die "Steuerung" von Wirtschaft und Gesellschaft perfekt.
Da verstehe ich auch warum der Autor auf einen eigenen Kommentar verzichtet, das Gedöns steht für sich. Glücklicherweise sind die Greifswalder Professoren für Volkswirtschaft gescheiter und säuseln die Studenten nicht mit solch einm neoliberalen Quark in den Schlaf.
Das der Mann im Überfluss lebt, sie man ihm an.