Eine Rezension von Gjorgi Bedzovski

 

 

In aller Stille erscheinen sie plötzlich auf der Bühne und laufen hin und her. Überraschendes Aufsplittern der Gruppe und lautes Gelächter von den sieben Tänzern bricht die Stille bei der Premiere der diesjährigen TanZZeit im Großen Haus des Theaters. Sie sammeln sich wieder und murmeln etwas. Ein Fragezeichen entwickelte sich bereits am Anfang des Stückes über den Köpfen Publikum, das sich bis zum Ende der TanZZeit nicht auflöste: Was stellen sie jetzt dar? Was wollen sie einem sagen?

Alexander Simpkins als nackter Elch unter der nordischen Sonne.

Begleitet durch spannungsvolle Musik fangen die Tänzer an, um einen liegenden, nackten Tänzer mit einem Elchkopf im Kreise zu laufen. Jeder Einzelne für sich, bis sie sich in einen großen Kreis hineingeflochten haben. War das gerade ein Wettlauf mit der Zeit? Oder eine rennende Suche nach Trost? Und als alle Tänzer anfingen in einer Reihe mit dem Rücken zum Publikum in verschiedenen Sprachen zu singen, haben sie dann die Schönheit der Musik als Trost begriffen und empfunden? – Keine Antwort.

Die Suche nach Schönheit und Trost

Die Interpretation der Aufführung „Es ist nur ein weinendes Stück“ kann man womöglich so weit führen, dass man eine Geschichte hinter den intensiven, verrückten, scheinbar freien, fragilen, chaotischen, herzzerreißenden und vielleicht auch tröstenden, manchmal kollektiven, aber ebenso imposant monologischen Bewegungen erkennt. Dann wird man vielleicht dennoch enttäuscht, weil man denkt, dass die Summe aller Tanzbewegungen eine Geschichte bilden soll. Vielleicht passt das in das klassische Ballett, aber nicht in diese Aufführung der zeitgenössischen TanZZeit. Die beiden eigentlich niederländischen, aber seit langem in Schweden tätigen Choreographen Sybrig Dokter und Benno Voorham wollten keine Story erzählen. Sie wollten von Anfang an die Schönheit darstellen und die Weise, wie sie Trost verleihen kann. Denn in diesem Stück geht es um Weinen, Trösten und Ästhetik. Sie haben sich solchen Fragen gewidmet wie: Was ist Schönheit? Wo steckt diese? Kann sie trösten? Es scheint so, als ob die Choreographen gewollt haben, dass jeder Betrachter nach der abstrakten Schönheit auf der Bühne, in den Bewegungen, in dem Tanz der Tänzer sucht und den Trost erkennt – oder aber auch feststellt, dass Schönheit eventuell doch keinen Trost verleihen kann.

Irrsinnigkeit der Tanzszenen.

Nach einigen Tanzszenen der Irrsinnigkeit, nachdem plötzliches Glück auf der Bühne vorgeführt wurde, nach vereintem Marschieren hat sich der stolze, narzisstische und dennoch verängstigte Elch beruhigt und hingelegt. Die Tänzer haben sich wieder wie Ameisen zusammengefunden. Trotz der nicht vorhandenen Story dahinter wird voraussichtlich der Zuschauer dazu neigen, irgendeine Geschichte und einen Zusammenhang erkennen zu wollen. Besser man lässt die in dem Tanz verkörperte Schönheit auf sich wirken und eventuell auch trösten.

Faszinierende Komplexität auf „Norwegische Weise“

 

Die Schönheit des zeitgenössischen Tanzes liegt darin, dass man keine fertige Geschichte vorgeführt bekommt. Man kann sie sich selber bilden, wenn überhaupt. Man wird aufgefordert nachzudenken und die Sinnhaftigkeit des Tanzes zu erkennen. Vor allem bei dem Stück „Norwegische Weise“, das im zweiten Teil der TanZZeit aufgeführt wurde.

Minimale Bühne und abstrakte Spannung in der nordischen Weise.

Eine vollkommen nackte Bühne. Nur klare Lichteffekte dekorieren sie. Minimal ausgestattet, aber maximal von den Tänzern erfüllt. Sehr voluminös wirkend sind die Tänzer mit den Pelzmänteln auf der Bühne am Tanzstart und im weiteren. Es schien so, als ob sie sich langsam verpuppen und sich von dem Pelz befreien, aber auch nicht trennen können. Sie zittern, sie kriechen, sie schneiden die Luft. Mit den Armen schwingend brechen sie schrittweise zusammen. Sie fallen, sie schweben. Verblüffende Begeisterung entwickelt sich unter den Zuschauern.

Es sind eigentlich nur acht Schritte, die wie tausende Bewegungen erscheinen. Das Tanzen ist exakt, es ist aggressiv, es ist pulsierend, es ist gewaltig – innerlich erlebte Explosion, während man versucht die Philosophie der Qualität der Bewegungen zu verstehen, sie zu erleben. Der Choreograph und Bewegungs-, Tanzforscher Sebastian Matthias hat eine weitschweifige, aber Lichtjahre von Langeweile entfernte Kombination bestehend aus Raum, Musik und den Bewegungen geschaffen und intensive Emotionen aus den Tänzern herausgeholt. Er strebt nach der hohen Qualität des Tanzens und stellt sich der Frage: Wann ist denn ein Tanz ein Tanz?

Während man die Qualität der Bewegungen zu entdecken versucht, scheint es, als ob die elektronische Musik, die unter anderem mit norwegischen Musikelementen gewürzt ist, nur ein Begleiter des Tanzens zu sein. Als ob das Tanzen die Klänge von dem schwedischen Komponist Jesper Nordin bestimmt. Matthias hat das Eindrucksvolle ins Kraftvolle umgeleitet und die Erwartungen des Publikums wahrscheinlich übertroffen. Die beiden Aufführungen der TanZZeit schaffen eine Intensivierung der Sinnwahrnehmung für die Tanzqualitäten. Dabei sollte man die Begeisterung für Tanz mit sich nehmen, wenn man die nächste Vorstellung der TanZZeit am 15. Mai besucht – sonst kann man leicht aus der Bahn geworfen werden.

Fotos: Vincent Leiffer