MdB Sonja Steffen.

Ab kommendem Sonntag, 1. Mai, können sich osteuropäische Arbeitnehmer auch in Deutschland frei auf Arbeitsplätze bewerben. Dann laufen die Übergangsregelungen für die Arbeitnehmerfreizügigkeit in Europa aus.

Agentur für Arbeit Stralsund: Gunther Gerner

Auf Einladung der Stralsunder SPD-Bundestagsabgeordneten Sonja Steffens diskutierten neben Gunther Gerner von der Agentur für Arbeit und Volker Schultz vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) auch Gerold Jürgens vom Unternehmerverband Vorpommern und die Berliner SPD-Bundestagsabgeordnete Eva Högl über die Auswirkungen der Arbeitnehmerfreizügigkeit für den Mecklenburg-Vorpommerschen Arbeitsmarkt.

Högl: „Deutschland ist alles andere als vorbereitet“

„Deutschland ist alles andere als vorbereitet“ machte Högl deutlich, die eine politische Gestaltung der Freizügigkeit vermisst. „Wir brauchen einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn“, damit kein Druck auf die Löhne nach unten entsteht.“ In Polen, Ungarn, Tschechien, der Slowakei und Ungarn und den baltischen Staaten, für dessen Arbeitnehmer der deutsche Arbeitsmarkt offen steht, werden niedrigere Löhne gezahlt als in der Bundesrepublik. Zustimmung erhielt sie von Schultz als auch vom Bauunternehmer Jürgens: „ Wir leben in der Bauwirtschaft vernünftig mit den tariflichen Mindestlöhnen.“ Über die Höhe eines gesetzlichen Mindestlohnes wollte Jürgens sich aber nicht festlegen, betonte aber, dass die Unternehmer hinter einem Mindestlohn ständen. Eindeutiger wurde Schultz: „Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) setzt sich für einen gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde ein.

„Freizügigkeit wird kein Schreckgespenst“: etwa 3.000 bis 4.000 osteuropäische Arbeitnehmer erwartet

Bauunternehmer Gerold Jürgens.

Die Angst von Arbeitnehmern um ihre Arbeitsplätze dürfte sich durch die neue Freizügigkeit aber in Grenzen halten. Sowohl Gerner als auch Schultz schätzen, dass etwa 3000 bis 4000 osteuropäische Arbeitnehmer nach Mecklenburg-Vorpommern kommen werden. „Das gleicht noch nicht einmal die demographische Entwicklung aus. Der Wegfall der Freizügigkeit wird kein Schreckgespenst. Entscheidend ist, was mit Stettin mit seinen 500.000 Einwohnern passiert“, so Gewerkschafter Schultz. Gerner verwies auf eine Arbeitslosenquote von vier Prozent in Stettin, was einer Vollbeschäftigung nahe kommt, und ergänzte, dass es einen zusätzlichen jährlichen Personalbedarf 1.300 bis 1.400 Personen gebe: „Der Arbeitsmarkt ist aufnahmefähig.“

Fachkräftemangel in Deutschland aber auch Osteuropa

SPD-Bundestagsabgeordnete Eva Högl.

Dies liegt sicherlich auch daran, dass es in einigen Bereichen einen Fachkräftemangel gibt. „Was hier gesucht wird, wird auch in Polen gesucht“, beschrieb es SPD-Landratskandidat Ulf Dembski recht treffend. Es gibt auch Hindernisse, wenn beispielsweise Polen nach Deutschland kommen wollen. Ein Pole müsse sich hier eine Wohnung nehmen, sagte Dembski beispielsweise. „Der Mitarbeiter muss Deutsch können und sich mit den Vorschriften auskönnen“, ergänzte Unternehmer Schultz, der deswegen eher einen deutschsprachigen Bewerber einstellen würde. Högl fügte hinzu, dass „wir Zuwanderung brauchen, um den Fachkräftemangel zu bekämpfen.“ Zudem forderte sie, eine bessere Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse, damit ausländische Arbeitnehmer in ihrem ursprünglichen Beruf arbeiten können und nicht in geringqualifizierten Tätigkeiten. Hier sieht Jürgens die starken Handwerkerinnungen, die mit über die Anerkennung entscheiden, als Hindernis, die eher nur die Interessen ihrer Mitglieder vertreten, die keine neue Konkurrenz wollten.

Gewerkschafter Volker Schultz

Der Fachkräftemangel wurde an einem konkreten Beispiel deutlich: der Gastronomie auf Usedom. Gewerkschafter Schultz beklagte die geringe Bezahlung und Jürgens erzählte, dass der Fachkräftemangel zu steigenden Löhnen geführt habe. Im Sommer waren die ausländischen Arbeitnehmer in der Gastronomie tätig, im Winter dann im Callcenter, wo sie mehr verdient hätten als in der Gastronomie. Kein Wunder also, dass viele Arbeitnehmer in den Callcentern bleiben wollten und nicht in die Gastronomie zurückwollten wegen der schlechteren Bezahlung. Infolgedessen sind dort die Löhne in der Gastronomie gestiegen. Wegen des Fachkräftemangels auch in anderen Ländern „wird es keinen Run geben. Wir können dem 1. Mai gelassen entgegen sehen“, sagte Högl.

Flächendeckendes Beratungsnetz gefordert

Die Referenten sahen nicht Deutschland nicht nur aufgrund eines fehlenden gesetzlichen Mindestlohns unvorbereitet, sondern auch, weil es keine Beratungsstellen gibt. Högl forderte ein flächendeckendes Netz für die neuen Arbeitnehmer, die über Recht und Pflichten aufklären. Gerner antwortete, dass die Arbeitsagenturen in Kooperation mit den polnischen Arbeitsämtern entsprechende grenzüberschreitende Beratungstage bei Bedarf durchführen würden.

SPD-Landratskandidat Ulf Dembski

Es wurden auch mit der Freizügigkeit in Verbindung stehende  Themen diskutiert. Die Scheinselbstständigkeit, mit der teilweise die Fristen für die Arbeitnehmerfreizügigkeit umgangen wurde, kritisierte das Bundestagsmitglied Högl. DGB-Mann Schultz sprach von einem Streit mit den polnischen Gewerkschaften über die siebenjährige Übergangsfrist seit dem 1. Mai 2004. Högl hätte diese lieber verkürzen wollen. Jürgens beklagte, dass bei öffentlichen Aufträgen oft Firmen den Zuschlag bekommen, weil diese günstigere Angebote abgeben, diese aber nicht den tariflichen Mindestlohn zahlten. Auch Dembski sieht hier ein „Wettbewerbsproblem“. Auch um den Mindestlohn ging es noch einmal. „Der Tariflohn hat für uns Vorrang“, so Gewerkschafter Schultz, der den Mindestlohn nur in Branchen ohne Tarifverträge einführen will. „Einige Gewerkschaften sind in bestimmten Regionen und Branchen zu schwach, um Tarifverträge durchzusetzen“, konkretisierte Högl. Den gesetzlichen Mindestlohn sieht sie als „Bankrotterklärung wegen den fehlenden starken Tariflöhnen“.

Fotos: David Vössing