Die Bühne im IKuWo gleicht an diesem Abend einem Instrumentenkinderzimmer. Ein Cello, Piano, Flügel, hier eine Gitarre, dort eine Balalaika, irgendwo ein Schlagzeug. Ein Becken, dass auf dem Synthesizer liegt. Und überall liegen Melodicas. Rechts auf der Bühne eine merkwürdige Konstruktion, die nicht ansatzweise nach einem Instrument aussieht. Das Besondere: Kaum ein Instrument, was die Bühne bevölkert, hat seine übliche Größe. Der Flügel misst bestenfalls eine Breite von 50 Zentimetern, das Becken einen Durchmesser von schätzungsweise drei Zentimetern. Wie wird man wohl auf diesen Instrumenten spielen können? Und was haben Gummiente und Gummischwein auf der Bühne zu suchen?
In dem Moment, als die fünf Männer der Band Male Instrumenty die Bühne betreten und zu musizieren beginnen, wird es deutlich: Ente und Schwein sind Musikinstrumente. Und für die nächste Zeit wird die Bühne in eine Manege verwandelt, die fünfköpfige Orchesterbesatzung zu Artisten im musikalischen Zirkus. Das Zusammenspiel der unzähligen Instrumente ergibt Kompositionen, die durch viel Humor und kindliche Freude geprägt sind. Und so wird der Hörer recht schnell vom Erwachsensein verlassen und taucht ein in die weite, grenzenlose Welt und alle Sorgen, Probleme, die vorher bestanden, sind nicht nur in weite Ferne gerückt, sie existieren gar nicht mehr. Plötzlich ist man wieder so klein, wie die Instrumente auf der Bühne und man befindet sich in seinem unaufgeräumten Kinderzimmer. Nur dass die Eltern nicht da sind, die zur Ordnung mahnen.
Reise ins Reich der Phantasie
Die Stücke entführen den Zuschauer ans rauschende Meer, auf dem dröhnende Dampfer fahren, Delphine springen und Möwen schreien. Doch damit ist bei weitem noch nicht das letzte Wort gesprochen. Es gibt kaum eine Band, dessen Stücke beim Hörer so unterschiedliche und abweichende Emotionen, Gefühle und Gedanken erzeugen. Und es gibt kaum ein Orchester, dessen Musik sich so schwer beschreiben lässt, wie diese. Weil die Musik zu abwechslungsreich ist. Sie entführt zu Alice ins Wunderland, oder zu Charlie in die Schokoladenfabrik. Sie versetzt den Besucher in gemütliche Trance.
Der Zirkus? Welcher Zirkus? Ach so, der von vorhin… Der ist längst vergessen. Jetzt existiert eine andere Welt. Mit jedem neuen Lied wird eine andere Wirklichkeit konstruiert, die in sich stimmig wirkt und sich am Ende von selbst auflöst. Mit jedem musikalischen Experiment werden andere Sinne geschärft, andere Emotionen hervorgerufen. Obwohl die Musik außerordentlich ungewöhnlich ist und das Mittel der Entfremdung bis zur Ekstase gesteigert wird, wirkt dennoch alles vertraut und harmonisch. Das Chaos ist die Ordnung, welche die Musik, das Zusammenspiel der Instrumente zur Maxime setzt.
Fraglich bleibt indes, wie man die Musik einordnen soll. Es ist genau genommen gar nicht möglich, die Kompositionen in irgendein Genre zu pressen. Wer das versucht, oder es einfach nur oberflächlich als „Indie“ bezeichnet, foltert und quält das Kunstwerk der Kombo. Denn es ist ein anarchistischer Albatros, der keine Grenzen kennt und über die Welt fliegt, sie so sieht, wie sie ist: farbenfroh, lebendig, unendlich.
Großartiges Konzert eines fünfköpfigen Orchesters
Und so spielt es fraglos auch nicht die geringste Rolle, dass eine Gummiente ein Kinderspielzeug für die Badewanne ist. Wer sagt denn, dass eine Gummiente ein Kinderspielzeug ist? Eben. Warum nicht auch einmal als Instrument? Ein Eierschneider ist nicht nur zum zerschneiden hart gekochter Eier für das Frühstücksbrot zu verwenden. Man kann mit ihm genau so gut musizieren. Damit wird jede Komposition zu etwas ganz besonderem, die von den Spielern außerordentlich hohes musikalisches Können abverlangt. Jeder Tonanschlag, der die Unordnung der Stücke vervollständigt, muss wohl gesetzt sein. Ein Griff daneben, schon wirkt es nicht mehr stimmig. Besonders positiv hervorgehoben werden muss zudem die Tatsache, dass kaum ersichtlich wird, wo Improvisationen beginnen oder enden. Alles wirkt immer wie aus einem Guss.
Zurück von dem Abend bleibt die Erinnerung an ein großartiges Konzert eines fünfköpfigen Orchesters mit zum Teil winzigen, kaum augenscheinlichen Instrumenten, dessen Kompositionen ungeahnten Facettenreichtum und Abwechslung hervor riefen, das Publikum fesselten und dazu zwang, die begrenzte Welt ins Unendliche zu erweitern und ins Reich der Phantasie zu entführen. Ein Konzert des Kleininstrumenten-Orchesters Male Instrumenty zu besuchen, kann allen nur ans Herz gelegt werden, die genügend Offenheit entgegen bringen, sich auf absurde, groteske, zum Teil auch folkloristische, summa summarum unbeschreibliche musikalische Experimente einzulassen.
Fotos: Christine Fratzke