Staubig. Wenn ich mit nur einem Adjektiv beschreiben müsste, wie Kenia so ist, würde ich nicht lange nachdenken und staubig wählen, auch wenn ein Wort alleine nie ein Land beschreiben kann. In Kenia gibt es den Staub in mindestens zwei verschiedenen Farben. Im fruchtbaren Hochland dominiert rot. In der Savanne grau. Wenn es regnet, wird der Staub innerhalb von Minuten klebrig und rutschig. Unter den Schuhen sammelt sich dann zentimeterdick der Matsch. Ansonsten ziehen sich schon nach wenigen Tagen ohne Regen große Trockenrisse durch den Boden. Schnell ist der Staub überall. In den Lungen, auf der Haut, an allen Kleidungsstücken.

13th World Scout Moot Kenia

Eröffnungsfeier des 13th World Scout Moot

Wenn man von Afrika redet, ist damit meist Subsahara-Afrika gemeint. Wenige Menschen haben hiermit positive Assoziationen. Zu viele Bilder und Berichte von Bürgerkriegen, Elend, Hungersnöten, Armut, Korruption und Gewalt sind aus dieser Region per Nachrichten in unsere gemütlichen Wohnzimmer transportiert worden. Auf der anderen Seite wurde uns immer wieder die großartige Schönheit der Natur und die einfache Lebensweise der Stämme gezeigt. Erzählt man dann seinen Freunden oder der Familie von einem bevorstehenden Aufenthalt in Kenia, dann wird man mit diesen Vorurteilen und geschürten Ängsten konfrontiert. „Was hat dich denn geritten, so ein Wagnis einzugehen?“ Der Grund für meinen Aufenthalt in Kenia war ein Zeltlager und sicher etwas Abenteuerlust. Außerdem fand ich, dass Backpacking die beste Möglichkeit bot, Kenia zu erkunden.

Vom 27. Juli bis 7. August 2010 fand mit dem 13th World Scout Moot in Kenia das erste internationale Großevent für Jugendliche auf dem afrikanischen Kontinent statt. Ungefähr alle vier Jahre findet diese Veranstaltung der Weltpfadfinderorganisation WOSM an einem anderen Ort der Erde statt. Das letzte Moot fand 2004 in Taiwan statt. Nach Kenia kamen dieses Jahr circa 1.800 Menschen aus 67 Ländern.

Wir waren mit 55 deutschen Teilnehmenden vor Ort, von denen ich die 21 Teilnehmenden meines Verbandes, dem Bund der Pfadfinderinnen und Pfadfinder (BdP) e.V., betreute und die komplette Teilnahme organisierte. Das beinhaltete die Vorbereitung, ein Vortreffen, Absprachen mit den anderen beiden deutschen Subkontingenten und in der Gruppe der deutschsprachigen Kontingente, Kommunikation mit den Ausrichtern und Teilnehmenden, Planung der An-/Abreise, und dann auf dem Moot die täglichen Besprechungen aller Kontingentsleitungen. Also sehr viel Aufwand. Erst nach dem Moot begann für mich der entspanntere Teil meines Keniaurlaubs ohne viel Verantwortung und Arbeit.

Maschinengewehre trennen Reichtum und Armut

13th World Scout Moot Kenia

Internationaler Nachmittag auf dem 13th World Scout Moot

In international gemischten Gruppen zu je 10 Personen verbrachten die Teilnehmenden die 12 Tage des Zeltlagers. Junge Menschen von allen Kontinenten der Erde, verbunden durch die Idee der vor kurzem 100 gewordenen Pfadfinderbewegung. Das war schon eine ganz besondere Erfahrung, fast zwei Wochen mit so verschiedenen Menschen die meiste Zeit zusammen zu verbringen und ihre Kultur zu erleben. Orte und Zeit gab es dafür reichlich, zum Beispiel beim gemeinsamen Zubereiten und Kochen des Abendessens. Dabei prallten oft Welten aufeinander. Während die Teilnehmenden aus reicheren Ländern das Fleisch akribisch von Knochen, Sehnen und Fett trennten, kochten sich viele Teilnehmenden aus Kenia und anderen afrikanischen Ländern aus genau diesen Zutaten ihre Mahlzeit. Viel krasser war allerdings der Zusammenstoß zwischen den Welten am Beispiel des zentralen Zeltplatz und der direkten Nachbarschaft.

Der Zeltplatz lag nämlich am Rande Nairobis. Genau 300 Meter neben dem zweitgrößten Slum Afrikas, Kibera. Ein kleiner Streifen Wald, ein Zaun und mit Maschinengewehren bewaffnete Sicherheitskräfte trennten den Platz vom Elend. Geschätzte 1.000.000 Menschen leben hier in ärmlichsten Verhältnissen und auf der anderen Seite des Zauns, campierten die „reichen“ Eliten und warfen überflüssige Lebensmittel einfach weg.

Kibera

Blick über die Wellblechdächer von Kibera

Kibera wurde auch als ein Ursprung potenzieller Bedrohung für uns angesehen. Als am 4. August das kenianische Wahlvolk über eine neue Verfassung abstimmte, wurden die Sicherheitsvorkehrungen drastisch erhöht und keiner durfte den Lagerplatz verlassen. Bei der Präsidentenwahl Ende 2007 gab es bis März 2008 Ausschreitungen auf Grund von Wahlbetrug und ethnischen Spannungen. Dabei kamen mindestens 1.500 Menschen um. Zwar verteilten sich die Ausschreitungen über das ganze Land, doch in Kibera lag ein Schwerpunkt. Zum Glück war das Votum für die neue Verfassung eindeutig und es kam zu keinem Zwischenfall. Trotzdem war besonders an diesem Tag die Stimmung im Camp etwas angespannt.

Ansonsten war das Verhältnis zu den Menschen in Kibera gut. Einige der Teilnehmenden führten soziale Projekte durch und gingen beispielsweise an Schulen und betätigten sich dort handwerklich. Allerdings waren manche dieser „Community Services“ genannten Programmpunkte recht schlecht organisiert, so gab es z.B. für 50 Personen nur drei Pinsel zum Streichen der Wände. „Hakuna Matata?“ Na ja, von wegen kein Problem. Diese organisatorischen Lücken wurden dann aber schnell durch die Spontaneität der Teilnehmenden gefüllt.

Workshops über Frieden, Gender, Umweltschutz und Gesundheit

Neben dem Community Services gab es noch andere zentrale Programmpunkte. Im „Global Development Village“ wurden Workshops zu den Oberthemen Frieden, Gender, Umweltschutz und Gesundheit durchgeführt. Zu Beginn des Moots wurden die Teilnehmenden drei Tage lang in drei verschiedenen „Expedition Centers“ aufgeteilt, um das Land besser kennenzulernen. Das schweißte sowohl die Subcamps als auch die Kleingruppen zusammen.

Matatu Busstation

Matatu Busstation in Naivasha

Nach dem Moot begann dann der individuelle Teil des Urlaubs. 10 Tage waren wir nur zu sechst unterwegs und bewegten uns wie die Einheimischen per öffentlichen Kleinbussen, den Matatus von einer Stadt zu anderen. Teilweise zählte unser Matatu 23 Insassen, davon der Fahrer, der „Schaffner“ (steht an der Tür und treibt den Fahrpreis ein), drei kleine Kinder, die auf dem Schoss ihrer Mutter saßen, sowie uns sechs Mzungus (=weißer Mann auf Swahili) inklusive Gepäck. Sitzplätze hatte der Minibus allerdings nur 13.

Als Unterkünfte nutzten wir unsere Zelte auf Campingplätzen oder billige Hotelzimmer, in denen man teilweise die ganze Nacht durch von der Band nebenan wach gehalten wurde. Überhaupt lief ständig und überall laut Musik. Shakiras WM-Song „Waka Waka This time for Africa“ hat sich zu einem ganz speziellen Sommerhit für die Kenianer entwickelt. Sobald irgendwo Musik lief, war auch Shakiras Ode an Afrika dabei. Ansonsten lief viel Reggae, Dancehall und etwas Rap. Teilweise stand ein DJ an der Straße vor einem Geschäft und legte dort live auf.

Vogelparadies und schnaubende Flusspferde

Natronsee Lake Elmenteita

Natronsee Lake Elmenteita im Rift Valley

Unsere Nachtour hatte zwei Schwerpunkte, das Rift Valley als Teil des Großen Afrikanischen Grabenbruchs mit erloschenen Vulkanen, Natronseen und hunderten verschiedener Vogelarten und als zweites die Masai Mara, das bekannteste Wildschutzgebiet Kenias. Größere Stationen waren durchwegs Städte, die mit „n“ begannen: Naivasha, Nyanhururu, Nakuru, Narok und Nairobi.

Am Lake Naivasha hatten wir eine nächtliche unheimliche Begegnung mit Flusspferden. Zwei besonders verrückte aus meiner Gruppe meinten, Hippos wären gar nicht so gefährlich wie ihr Ruf und die Warnungen vor ihnen. Als sie dann aber im Dunkeln das wütende Schnauben eines Flusspferdes hörten, liefen sie doch ziemlich schnell. Immerhin sollen die Dickhäuter für die meisten Todesfälle durch Wildtiere in Afrika verantwortlich sein.

Besonders unheimlich empfand ich es, an einer zentralen Busstation aus dem Matatu auszusteigen und von Klebestoff schnüffelnden Kindern umgeben zu sein. Ein Mzungu erregt aber in Kenia überall Aufsehen und wird anstrengend umworben, doch irgendein Produkt zu erwerben.

20°C im Winter

Masai Mara

Gnus in der Masai Mara

Nur soviel zum Wetter: es war Winter. Das hiess, im 1.650 Meter hochgelegenen Nairobi war es tagsüber etwas über 20°C warm und nachts mit um die 10°C sehr kalt. Die ersten Nächte gab es leichte Niederschläge. In meinem „Expedition Center“ am Mt. Kenya nahe Nyeri war es auch bis in den späten vormittag nass-kühl. Wenn dann aber die Sonne durch die Wolken brach, wurde es schlagartig heiß. Das Rift Valley und die Masai Mara dagegen entsprachen schon den klimatischen Vorstellungen von Afrika. Dort war es um die 25°C und fast immer trocken.

Die Masai Mara ist wohl die bekannteste Region Kenias. Im TV ist sie immer wieder zu sehen, wenn es um die Gnuwanderung aus der Serengeti in Tansania nach Norden geht. Über 1,4 Millionen Gnus, hunderttausende Zebras, Antilopen, Gazellen und in deren Gefolge Löwen, Geparden, Leoparden, Hyänen und andere Raubtiere ziehen Ende Juli/Anfang August über den Fluss Mara nach Kenia, um dort in der dann fruchtbaren Savanne zu leben. Ab Oktober geht es wieder zurück nach Süden. Diese weltweit größte Säugetierwanderung an Land ist ein Schauspiel sondergleichen. Jährlich lockt es tausende Touristen an und ist damit einer der größten Devisenbringer der kenianischen Tourismuswirtschaft. Auch wir folgten dem Ruf der Wildnis und verfielen dann dem Zauber, als wir dort zwei Tage unserer Nachtour auf Safari waren.

Überwältigende Tierwelt

Löwin in der Masai Mara

Löwin in der Masai Mara

So viele Tiere, vor allem so viele Säugetiere, gibt es sonst nur selten zu sehen. Es ist einfach überwältigend, wenn man in das „Game Reserve“ reinfährt und nach wenigen Minuten die ersten gigantischen Gnuherden sieht. Abgenagte Kadaver zeigten deutliche Spuren der nächtlichen Jagd der Raubkatzen. Hier erfüllte Kenia das Klischee von Afrika, wie es uns „Jenseits von Afrika“ oder etliche Tierdokus im TV eingetrichtert haben. An einigen Stellen im Park sammelten sich die Safariautos. Dort gab es dann immer etwas besonderes zu sehen. Meistens vollgefressene Löwen beim Schlafen.

Als ich am letzten Tag der Reise im Safaribus auf der Straße Richtung Nairobi saß, wirbelte dieser auf der unasphaltierten Piste viel Staub auf. Durch das offene Fenster war sowohl mein T-Shirt als auch mein Arm ganz rot-braun geworden. Auch das spätere mehrfache Waschen zu Hause in Greifswald brachte keinen Erfolg. Das T-Shirt bleibt weiterhin staubig. Ein Teil von Afrika klebt für immer an mir.

Fotos: Oliver Wunder // Mehr Fotos gibt es auf dem privaten Blog des Autoren.