Die Bürgerrechtlerin Bärbel Bohley im Mai 2010 in Greifswald.

Die Bürgerrechtlerin Bärbel Bohley erlag am Samstag, dem 11. September im Alter von 65 Jahren einem Krebsleiden. Sie ist am 24. Mai 1945 in Berlin geboren und studierte 1969 an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee, nachdem sie nach ihrem Abitur 1963 eine Ausbildung zur Industriekauffrau abgeschlossen hatte. 1970 heiratete sie den Maler Dietrich Bohley, vier Jahre später arbeitete sie als freischaffende Künstlerin.  Francesco de Goya und Käthe Kollwitz waren nach eigenen Angaben ihre künstlerischen Vorbilder. Im Jahre 1979 wurde Bohley schließlich in die Sektionsleitung Malerei und in den Bezirksvorstand des Verbandes Bildender Künstler der DDR gewählt, drei Jahre später aus diesem jedoch ausgeschlossen, nachdem sie die unabhängige Initiativgruppe „Frauen für den Frieden“ gründete.

Nachdem ihr „landesverräterliche Nachrichtenübermittlung“ vorgeworfen wurde, kam sie zusammen mit Ulrike Poppe in Untersuchungshaft in Berlin-Hohenschönhausen. Der Vorwurf wurde von Seiten des Ministeriums für Staatssicherheit mit Kontakten Bohleys zu den Grünen der Bundesrepublik Deutschland begründet.

Ab etwa 1985 engagierte sich die Bürgerrechtlerin zunehmend für Rechte wie Meinungs- und Pressefreiheit und war Mitbegründerin der „Initiative [für] Frieden und Menschenrechte“. Nachdem sie 1988 zwischenzeitlich aus der DDR ausgewiesen wurde, jedoch im August wieder zurück kehrte, war sie 1989 Initiatorin der Bürgerrechtsbewegung „Neues Forum“. Fünf Jahre später wurde sie für ihr Engagement mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet, zehn Jahre nach der Wiedervereinigung mit dem Nationalpreis.

Bis zuletzt ein kritischer Zeitgeist

Auch nach der Wiedervereinigung 1990 zeigte Bärbel Bohley bürgerrechtliches Engagement. So unterstützte sie beispielsweise Opfer des Jugoslawienkrieges im Rahmen der von ihr gegründeten Bärbel-Bohley-Stiftung und scheute, ganz im Gegensatz zu manch anderen DDR-Bürgerrechtlern nicht davor zurück, die neuen politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse kritisch zu hinterfragen. So fällt sie in einem Gespräch mit Johannes Wächter vor etwa einem Jahr folgendes Urteil über das Bildungswesen in der Bundesrepublik:

Unser Bildungswesen fördert das Stillhalten: Die Kinder in der Hauptschule sollen akzeptieren, dass sie in einer anderen Etage groß werden als die Kinder auf dem Gymnasium. Die Chancengleichheit lässt nach; auch das ist Unterdrückung.

Die Organisatorinnen und Organisatoren des internationalen Studentenfestivals in Greifswald, GrIStuF, boten ihr an, die Schirmherrschaft für die diesjährige Veranstaltung zu übernehmen. „Ich war irgendwie gerührt, dass mich die jungen Leute gefragt haben, ob ich dass machen möchte. Ich muss sagen, dass ich schon gar nicht mehr daran dachte, dass sich noch jemand an uns erinnert. Das war dann natürlich klar, dass ich sowas mache. Ich finde es natürlich auch sehr schön, wenn junge Menschen aus der ganzen Welt hierher kommen, um zusammen etwas auf die Beine zu stellen“ begründete die Bürgerrechtlerin in einem webMoritz-Interview am 29. Mai die Entscheidung, das Angebot der Studentinnen und Studenten anzunehmen. In ihrer Eröffnungsrede wandte sie sich dem GrIStuF-Motto „Responsability“- Verantwortung, folgend, anschließend mit folgenden Worten an die Gäste:

„Wir alle haben eine Verantwortung über Generationen hinweg, und manchmal müssen wir die Alten an den Müllhaufen erinnern, den sie uns hinterlassen haben und den wir nur gemeinsam aufräumen können. (…) Ich möchte mit einem Spruch von Laotse schließen: ‚Wir sind nicht nur verantwortlich für das, was wir tun, sondern auch für das was wir nicht tun.
In diesem Sinne: Lasst uns alle unsere Verantwortung wahrnehmen. Ich glaube an die Bürgerbewegung und die zivile Gesellschaft weltweit, denn nur die Menschen auf der Strasse wissen, was für sie wichtig ist!“

„Studenten sind das Salz in der Suppe“

Bärbel Bohley (m.) und Christa Wolf (r.) während einer Montagsdemo 1989.

Über Studentinnen und Studenten meinte sie, dass sie es seien, die „wach sein“ und „hingucken und sich beteiligen“ müssten. „Studenten sind natürlich das Salz in der Suppe, wenn man es so nennen will“, meinte  Bohley dem webMoritz gegenüber. Obwohl sie – nicht zuletzt aufgrund ihrer Erfahrungen mit der Vorgängerpartei SED – vor allem der Linkspartei ablehnend gegenüber steht, blieb sie bis zuletzt im politisch linken Spektrum verankert. „Es wäre ja schön, wenn man in Deutschland eine ehrliche Linke Alternative hätte, weil ich denke, dass es eine solche braucht.“ Im Süddeutsche Magazin musste sich zwanzig Jahre nach dem Sturz der SED-Regierung auch das neue politische und gesellschaftliche System ihrer Kritik unterziehen. „Wachsen als Selbstzweck ist kein Gesellschaftsmodell. Was soll daran zukunftsträchtig sein, sich wie in einem Hamsterrad abzustrampeln?“ Über die gesellschaftlichen Veränderungen der vergangenen Jahre fand die Bürgerrechtlerin vor etwa einem Jahr während des selben Gespräches auch eher wenig positive Worte:

„Als ich im vergangenen [Anm. Autor: 2008] Jahr zurückkam, fiel mir auf, dass die Beziehungen zwischen den Menschen kälter geworden sind. Die Leute haben schicke Sachen an, aber leere Gesichter. Es herrscht eine zunehmende Vereinzelung, und es ist eine gesellschaftliche Aufgabe, das den Leuten bewusst zu machen. Wenn sie das erkennen, werden sie sich mehr für ihre Interessen engagieren und die Gestaltung dieses Landes nicht nur der Politik überlassen.“

Politiker zeigen sich bestürzt über den Tod Bärbel Bohleys und drücken ihr Beileid aus. Der Süddeutschen Zeitung zufolge habe Bundeskanzlerin Angela Merkel die Bürgerrechtlerin „als eine der bedeutenden Stimmen der Freiheit“ gewürdigt, und sei „zutiefst betroffen“ gewesen. Unerschrocken sei sie ihren Weg gegangen. Für viele sei ihr Mut und ihre Geradlinigkeit beispielhaft gewesen.

Die Fraktionsvorsitzenden der Grünen, Renate Künast und Jürgen Trittin meinten, Bohley werde „uns immer in Erinnerung bleiben, als eine, die beharrlich für Freiheit kämpfte, als das noch mit wirklichen Gefahren verbunden war und wirklichen Mut erforderte.“

Fotos: Patrice Wangen (Bärbel Bohley Mai 2010), Marco Wagner (großes Aufmacherbild), Wikipedia (Bärbel Bohley 1989).