Torsten Heil sprach mit Professor Patrick Donges

Internetblogs, Facebook, Twitter und Co haben Bundespräsidentenkandidat Joachim Gauck in kürzester Zeit zum Medienstar gepusht. In diesem Semester lehrt Kommunikationswissenschafts-Professor Patrick Donges (41) an der Universität Greifswald das Seminar: „Blogs, Foren und Online-Medien: Die Öffentlichkeit im Netz“. Der webMoritz sprach mit dem Greifswalder Professor über den Medien- und Online-Hype für den Bundespräsidentenkandidaten Gauck.

webMoritz: Herr Donges, erklären Sie uns zu Beginn die Macht von Blogs und Foren?

Patrick Donges: Es gibt Blogs und Foren, in denen auf hohem Niveau politisch diskutiert wird. Aber es gibt auch seitenweise Kommentare, die völlig irrelevant sind und kein Mensch liest.

Relevant ist, dass im Internet eine sehr schnelle Form der Kommunikation möglich wird. Ein Austausch, den politische Akteure auch nicht sehen. Es macht sie nervös, dass da was passiert, was sie nicht wissen. Im Netz ist es auch sehr leicht möglich, schnell Menschen zu mobilisieren, wie das Gauck Beispiel zeigt.

Kandidatur von Gauck als Symbol der Auseinandersetzung mit der Bundesregierung

webMoritz: Wie entstand dieser Online-Hype um den Kandidaten Gauck?

Donges: Die Kandidatur von Gauck ist ein Symbol. Sie steht eben auch für eine Auseinadersetzung mit der Bundesregierung. Zudem haben Blogger möglicherweise das Gefühl, am Rücktritt von Bundespräsident Köhler beteiligt gewesen zu sein, weil sie die Leitmedien auf die umstrittenen Äußerungen zu Afghanistan hingewiesen haben.

webMoritz: Geht es also in Wirklichkeit nur um den Schaden an der Kanzlerin?
Hätte der Hype auch jeden anderen Kandidaten getroffen?

Professor Donges glaubt nicht an eine gesteuerte Medienkampagne für Gauck (Foto)

Donges: Ich denke nicht, dass es jede andere Person hätte seinen können. SPD und Grüne haben sich klug für diesen Kandidaten entschieden, der allein von seiner Biografie der Kanzlerin schon sehr nahe steht.

webMoritz: Der Bundespräsident wird nicht vom Volk gewählt. Trotzdem gibt es anhaltende Beteiligung durch die Bürger im Netz für dieses Thema. Wie kommt das?

Donges: Personalisierung ist ein wichtiger Nachrichtenfaktor. Sowohl Menschen als auch Medien interessieren sich sehr stark für Personalentscheidungen, mehr

noch als für andere politische Themen. Wir machen politische Themen auch immer gern an Personen fest. Gauck gegen Wulff, – der Kampf um das Schloss Bellevue. Das ist einfach darzustellen, das versteht jeder. Irgendwelche Details des Sparpaketes medial darzustellen ist wesentlich schwieriger.

webMoritz: Politikverdrossenheit sieht aber anders aus…

Donges: Der Begriff Politikverdrossenheit ist zwar eingeführt, aber ich halte ihn für sehr ungenau. Wir müssen unterscheiden, ob Menschen beispielsweise eine schlechte Meinung von Parteien haben oder unser politisches System an sich ablehnen. Politikverdrossenheit wird häufig mit der Ablehnung konventioneller Formen politischer Partizipation verbunden, also Beteiligung an Wahlen, Mitgliedschaften in Parteien.

Bei Facebook eine politische Nachricht an seine „Freunde“ weiterzuleiten geht schnell und kostet nichts. Zu einem politischen Menschen wird man aber dadurch nicht automatisch.

webMoritz: Es passierte in üblicher Netz-Geschwindigkeit. Kampagne oder Zufall?

Donges: An eine gesteuerte Kampagne glaube ich nicht, da beide Parteien diese in einem solchen Ausmaß gar nicht hinbekommen hätten. Sie werden sich natürlich auch im Netz für ihn stark machen. Aber der Vorschlag hat auch eine gewisse Eigendynamik entwickelt.

webMoritz: CDU-Abgeordnete sind nicht Grade als die typischen Webzweinuller bekannt. Geht die Kampagne da nicht an der Zielgruppe vorbei?

Donges: Nein, denn die Debatte über die Bundespräsidentenwahl wird ja nicht nur im Netz geführt, sondern auch in den traditionellen Medien. Und es geht vielen in dieser Debatte nicht nur darum, Stimmen für Herrn Gauck zu bekommen, sondern auch, um die Bundesregierung zu desavouieren. Die Wahl ist Gradmesser für das Ansehen von Frau Merkel.

Donges: Medien wollen mit Gauck versus Wulff zwei Wochen ein schönes Thema haben

webMoritz: Der Spiegel, BamS, Welt am Sonntag, alle unterstützen sie den Kandidaten Joachim Gauck. Wollen die Medien den Bundespräsidenten Wulff verhindern?

Bundespräsidentenkandidat Christian Wulff (CDU)

Donges: Ich denke nicht. Herr Wulff ist ja kein unbeliebter Politiker, auch wenn sein Verzicht auf einen Rücktritt vor der Wahl jetzt kritisiert wird. Die Medien wollen auch für die nächsten zwei Wochen ein schönes Thema haben, und das bietet der unerwartet spannende Kampf um Präsidentenamt allemal.

webMoritz: Bisher kümmerten sich die Internet-Aktivisten um Themen wie Überwachung oder Zensur. Nun eine klassische Politik-Personalie. Wie ist das zu erklären?

Donges: Zunächst: Im Internet werden viele Themen diskutiert, ohne dass wir dies wahrnehmen. Die Kandidatur von Gauck ist eben ein Symbol. Sie steht eben auch für eine Auseinadersetzung mit der Bundesregierung. Zudem haben Blogger möglicherweise das Gefühl, am Rücktritt von Bundespräsident Köhler beteiligt gewesen zu sein, weil sie die Leitmedien auf die umstrittenen Äußerungen zu Afghanistan hingewiesen haben.

Generell gilt: Das World Wide Web ist erst 20 Jahre alt. Das Medium ist quasi noch in der Pubertät. Wo das Netz einmal seinen Platz in der politischen Kommunikation finden wird, ist noch sehr unklar.
Das Problem dieser Öffentlichkeit im Netz ist, dass wir sie nicht sehen.

Wir haben immer eine Vorstellung darüber, worüber traditionelle Massenmedien berichten. Über ihre Themen kann ich mit anderen Menschen sprechen, weil ich davon ausgehen kann, die haben das auch gehört oder gelesen. Bei einem Bericht im Internet weiß ich nie, wer es noch weiß. Das macht diese Kommunikation dort zu unsicher. Daher machen Blogs politische Akteure auch so nervös. Es besteht aus ihrer Sicht immer die Gefahr, dass sich im Netz etwas zusammenbraut und sie sehen es nicht.

webMoritz: Was unterscheidet eigentlich traditionelle Medien von Blogs und Foren?

Donges: Wir unterscheiden in der Kommunikationswissenschaft zwischen zwei Arten von Medien. Zum einen die „Push-Medien“, das sind die traditionellen Medien wie die Ostsee-Zeitung. Diese Medien drücken die Botschaften zu den Nutzern, beispielsweise in Form einer ersten Seite, die das wichtigste kompakt zusammenfasst. Auf der anderen Seite die „Pull-Medien“ wie das Internet, bei denen ich mir meine Informationen selbst holen muss. Dort muss ich von vornherein wissen was mich interessiert, wo ich es finde und muss es aktiv ansteuern.

„Es ist wesentlich einfacher, sich im Netz an Protestaktionen zu beteiligen.“

webMoritz: Früher wurde Protest über die Straße ausgetragen, heute geht es zuerst im Netz los. Wie kommt das?

Donges: Es ist wesentlich einfacher, sich im Netz an Protestaktionen zu beteiligen als auf die Straße zu gehen. Und es entspricht momentan eher dem Lebensgefühl der Menschen.

Menschen zwischen 14 und 30 Jahren informieren sich häufig über soziale Netzwerke wie studiVZ

webMoritz: Wen erreichen Blogs und Foren überhaupt?

Donges: Das Internet für politische Information nutzen vor allem Menschen im Alter zwischen 14 und 30 Jahren. Die kaum noch Zeitung lesen und sich sehr stark über das Internet informieren. Die erreiche ich mit Blogs, Facebook, StudiVZ und Co am ehesten. Die sehr große Gruppe von Menschen über 60 erreiche ich damit natürlich nicht mehr.

webMoritz: Ist es möglich das Netz-Kampagnen auch den schritt in die Reale-Welt schaffen?

Donges: Ja, vor allem dann, wenn sie von traditionellen Medien wie Fernsehen und Zeitungen aufgegriffen werden. So wie jetzt, wenn Sie mit mir ein

Interview darüber führen. Dann bekommen Netz-Kampagnen eine größere Öffentlichkeit. Denn der Anteil derer, die politische Blogs nutzen, ist immer noch sehr gering. Wir sprechen hier über zwei bis drei Prozent der Bevölkerung.

webMoritz: Was sind das für Menschen die diese Medien nutzen?

Donges: Es ist eine sehr heterogene Masse, vom Gelegenheitssurfer bis hin zum 24 Stunden Blogger.

webMoritz: Ist es denn heutzutage einfacher durch das Internet solche einen Aufstand von unten durch zuführen?

Donges: Ich würde nicht sagen, dass es einfacher geworden ist, da auch die Zahl der Anbieter immens gestiegen ist. Es gibt einen immer größer werdenden Kampf um Aufmerksamkeit. Anbieter von politischer Kommunikation müssen mehr investieren, damit ihre Botschaften auch ankommen.

Kommunikationswissenschaftler Patrick Donges

webMoritz: Ist der normale Politiker mit der Netz-Geschwindigkeit überfordert?

Donges: Überfordert würde ich nicht sagen. Aber er muss mehr investieren als noch vor zehn oder 20 Jahren. Es wird von allen politischen Akteuren erwartet, dass sie jetzt auch im Internet präsent sind. Eine eigene Web-Seite haben, Podcast produzieren. Es werden immer mehr zusätzliche Kommunikationsangebote erwartet, ohne dass sie im Einzelnen dem Politiker etwas bringen. Wähler surfen nicht die Web-Seiten von Parteien ab wenn sie auf der Suche nach Informationen sind.

webMoritz: Warum macht man es dann?

Donges: Es ist die wahrgenommene Erwartungshaltung. Man ist ein „schlechte Politiker“, wenn man nicht im Netz dabei ist. Es wird von den eigenen Anhängern erwatet, die höchst irritiert wären, wenn ihr Kandidat nicht präsent wäre. Die Web-Seite und das Podcast muss man machen, es bringt aber keine zusätzlichen Stimmen. Alle investieren, aber für diese Investition bekommt man wenig zurück.

webMoritz: Zum Schluss Herr Donges: Bei der letzten Bundespräsidentenwahl wurde das Ergebnis vorab getwittert. Traut sich das diesmal wieder einer?

Donges: Ich weiß es nicht aber denkbar ist es wohl.

Das Gespräch führte Torsten Heil.

Fotos:

Professor Donges: Franziska Vopel, Torsten Heil

Joachim Gauck, StudiVZ: www.wikipedia.de

Christian Wulff: Pressefoto Christian Wulff


Am 16.06. wurde in der Ostsee-Zeitung ein Auszug des Interviews veröffentlicht.