Jörg F. Krüger als Rotpeter

Das Theater Vorpommern führte am Wochenende erneut das Stück „Ein Bericht für eine Akademie/ Rattenjagd“ im Rubenowsaal der Stadthalle auf. Bei dem Stücken handelt es sich faktisch um zwei Stücke, die in gemeinsamer Kulisse hintereinander gegeben werden. Auf ein Monodrama, den „Bericht für eine Akademie“ – ursprünglich eine Erzählugn von Franz Kafka, folgt ein Einakter von Peter Torrini, die „Rattenjagd“. Beide Werke wurden zu einem neuen Ganzen verschmolzen.

„Ein Bericht für eine Akademie“ handelt von dem Affen Rotpeter, der innerhalb von fünf Jahren den Prozess der Menschwerdung durchlaufen hat. In seinem Aufsatz teilt der Menschenaffe (oder Affenmensch?) seinem Auditorium mit, wie und warum er zum Menschen geworden ist. Rotpeter wählt eine Müllhalde als den Ort aus, von dem aus er seine Rede hält.

So erzählt er, dass er vom Menschen gefangen genommen wurde und wie er, als er an Bord eines Schiffes in einer Kiste eingesperrt war, nach einem Ausweg suchte. Diesen meint er in der Menschwerdung zu finden:

„Ich habe Angst, dass man nicht genau versteht, was ich unter ‚Ausweg‘ verstehe. Ich gebrauche das Wort in seinem gewöhnlichsten und vollsten Sinn. Ich sage absichtlich nicht Freiheit. Ich meine nicht das große Gefühl von Freiheut nach allen Seiten. Als Affe kannte ich es vielleicht und ich habe Menschen kennen gelernt, die sich danach sehnen. (…) Nebenbei: Mit Freiheit betrügt man sich unter Menschen allzuoft. Und so wie die Freiheit zu den erhabendsten Gefühlen zählt, so auch die entsprechende Täuschung zu den erhabensten. Nein Freiheit wollte ich nicht.“

Und während Rotpeter sich immer mehr in seine Ausführungen zur Freiheit hinein steigert, wandelt sich sein leicht gebückter Gang hin zu dem eines aufrechten, stolzen Menschen, er geht, stolziert – und – zu guter Letzt marschiert er im Stechschritt vor dem Auditorium hin und her. Nein, Freiheit will er nicht.

"Er" (Christian Holm) und "Sie" (Katja Klemt) bei ihrem ersten Date - auf einer Müllhalde.

High-Society-Date – auf der Müllhalde

Der Affe berichtet seiner Hörerschaft äußerst eindrucksvoll, wie sehr er am Menschsein verzweifelt, doch er scheint sich auch nicht zurück zu wünschen, ein Affe zu sein. Und so verlässt er die Bühne und den Müll, der ihn umgibt. Es wird dunkel. Plötzlich treten ein wohlgekleideter Mann und eine ebenso ansehnliche Frau auf die Müllhalde. Die zwei, „Er“ und „Sie“, die sich in Peter Torrinis Stück kennenlernen wollen, haben ihr erstes Date auf einer Müllhalde, in der es nur so von Ratten wimmelt.

„Er“, ein Macho wie aus dem Bilderbuch, der sich mit seinem historisch wertvollem Auto rühmt, möchte „Sie“ mit dem Abschießen von Ratten beeindrucken. „Sie“ ist zunächst äußerst unangenehm von ihm beeindruckt. Schon alleine der Ort des Treffens ist ihr unheimlich. Auch die Tatsache, dass „Er“ versucht, sie mit dem sinnlosen Töten zu beeindrucken.

Und so geraten beide in ein Streitgespräch. „Er“ erklärt ihr, dass sich die Menschen durch die Überflutung von Konsumgütern, durch die Erschaffung von Statussymbolen usw., selbst entfremdet hätten. Aber er will keine durch Konsum- und Luxusgüter und Statussymbole erschaffene menschliche Fassade kennen lernen, sondern den „wahren“ Menschen. Und so lernen sich beide dadurch kennen, dass sie sich von ihrer Selbstentfremdung befreien. Und als sie wieder „Menschen“ geworden sind, passten sie nicht mehr ins Bild…

Provokant, gesellschaftskritisch, komisch, tragisch – sehenswert!

Das Doppelstück „Ein Bericht für eine Akademie/ Rattenjagd“ ist ein mehrbödiges Werk, in welchem einerseits das menschliche Zusammenleben, insbesondere die Konsumgesellschaft in „Rattenjagd“, andererseits auch die verzweifelte Suche nach einem Ausweg aus den gegenwärtigen gesellschaftlichen Problemen thematisiert werden: Die ewige Suche des Menschen nach seine Selbstfindung.

Das Stück kann aber noch mit vielen anderen Themen in Verbindung gebracht werden. So zum Beispiel die Kritik daran, dass diejenigen, die versuchen, aus der Gesellschaft auszubrechen, die nach einem Ausweg aus ihren Problemen und denen ihrer Mitmenschen suchen, dafür ausgestoßen werden.

Der Übergang von Kafkas „Ein Bericht für eine Akademie“ hin zu Peter Turrinis „Rattenjagd“ ist sehr gut gelungen. Dem Zuschauer fällt nicht auf, dass Kafkas Stück endet und Peter Turrinis Stück beginnt. Aus zwei Stücken wurde ein Stück in zwei Akten. Die Kostümwahl und Requisite können sich ebenso sehen lassen. Echte Ratten treten freilich auf der Bühne nicht auf. Auch keine Spielzeugratten oder Plüschtiere. Vielmehr muss sich der Zuschauer vorstellen, dass in dieser oder jener Ecke des Raumes, bzw. der Müllhalde Ratten sind. Die darstellerische Leistungen Jörg F. Krügers („Rotpeter“), Christian Holms („Er“) und Katja Klemts („Sie“) waren ebenso hervorragend. Ihnen gelang es, durch ihr Spiel die Zuschauer so in das Stück mit einzubeziehen, als seien sie selbst Bestandteil der Handlung.

Am 17. Juni wird das Stück noch einmal im Rubenowsaal der Stadthalle aufgeüfhrt, weitere Aufführungen sieht der aktuelle Spielplan des Theaters nicht vor.

Bilder: Theater Vorpommern Greifswald