Ein Beitrag von Torsten Heil

Der Greifswalder Wissenschaftler Dierk Borstel stellte in dieser Woche im Sitzungssaal der Anklamer Sparkasse die Studie „Sozialraumanalyse zum Zusammenleben vor Ort in Anklam“ (So-Ra-Zo) vor. Schonungslos präsentierte er die Ergebnisse seiner Studie über die vorpommersche Kreisstadt. Ergebnisse, die manch einer vielleicht gerne unter den hansestädtischen Teppich gekehrt hätte.

Michael Galander, Dierk Borstel

„Wir müssen darüber nachdenken, wie wir mit dem Rechtsextremismus in unserer Stadt umgehen. Wir müssen künftig agieren statt reagieren“, machte Anklams Bürgermeister Michael Galander (IfA) in seinem Grußwort deutlich. Lang genug hat es trotzdem gedauert, denn die Ergebnisse der Untersuchung waren bereits im vergangenen Jahr bekannt geworden, die Resultate wurden aber zunächst nicht offiziell vorgestellt.

Überdurchschnittliches Engagement

Gemeinsam mit dem Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung der Universität Bielefeld sprachen sie mit 499 Menschen durchschnittlich 37 Minuten am Telefon. Positiv hervorzuheben ist, dass sich viele Anklamer sehr stark mit ihrer Stadt identifizieren und bereit sind, sich zu engagieren. In Zahlen ausgedrückt: Mehr als 50 Prozent engagieren sich bereits, weitere 36,4 Prozent können sich das zumindest vorstellen. „Das ist ein unglaubliches Potenzial, das deutlich höher als in vergleichbaren Städten steht“, sagte der Politiwissenschaftler.

Immerhin fühlten sich 79 Prozent sich in ihrem Wohnumfeld wohl und seien zudem zufrieden mit ihren Nachbarn. Vielmehr gute Nachrichten war der Studie aber nicht zu entnehmen, denn 84 Prozent der Befragten sind der Meinung, dass sich die lokalen Politiker nicht für sie interessieren. „Dies ist Eindeutig ein zentrales Thema in Anklam“, sagte Borstel.

Darüber hinaus stellte er eine starke Verängstigung der Menschen fest. Mehr als 49 Prozent der Befragten fürchten den sozialen Abstieg in Hartz IV. Hinzu komme die Tendenz, dass sich die Ängste in der Stadtgesellschaft gegen schwache Gruppen zu wenden drohen. „Viele Menschen haben Angst vor Dingen, die gar nicht existieren. Beispielsweise die Furcht vor Muslimen, die es in Anklam gar nicht gibt.“ 49 Prozent meinen, Anklam müsse vor Überfremdung geschützt werden. Und das, obwohl die Ausländerquote in Anklam bei gerade einmal 1,6 Prozent liegt. Trotzdem „erreichen Ausländerfeindlichkeit und Rassismus in Anklam sehr hohe Werte“.

NPD mit breiter Anerkennung

Das zweite große Thema der Studie: Die rechtsextreme NPD. Laut der Studie halten 34 Prozent der Einwohner Anklams – und damit fünf mal so viele wie im Bundesdurchschnitt – diese für eine ganz normale Partei. Zudem stimmten 17,5 Prozent der befragten Anklamer der Aussage zu, die NPD helfe, Probleme vor Ort zu lösen. In Anklam hatte sie bei der Wiederholung der Kommunalwahl am 27. September 2009 die SPD überholt. Sie erzielte mit ihrem Landtagsabgeordneten Michael Andrejewski 7,4 Prozent und erhielt damit 0,1 % Prozent mehr als die Sozialdemokraten. Ostvorpommern gilt als eine der Hochburgen der NPD.

Ideensammlung im Anschluss an die Präsentation: Wie soll das Leben in Anklam künftig aussehen?

Dennoch sieht Borstel positive Anhaltspunkt. „Die Tendenz zur Normalisierung des Rechtsextremismus in Anklam kann noch gebrochen werden. Das Potenzial dafür ist da.“ Denn immerhin fast 59 Prozent der Befragten könnten sich vorstellen, sich gegen Rechtsextremismus zu engagieren. 66 Prozent halten es für sinnvoll, dies vor Ort zu tun. In der sich an die Ergebnispräsentation anschließenden Diskussion machten mehrere Teilnehmer deutlich, dass sich die örtlichen Politiker in der Stadtvertretung noch deutlicher von der NPD abgrenzen müssten.

Der lokal aktive Verein „Demokratisches Ostvorpommern“ nutzte die Vorstellung der Sozialraumanalyse, um die Ergebnisse und mögliche noch zu entwickelnden Projekte zu diskutieren. Annette Freier und Tina Rath hatten zu diesem Zweck Pinnwände aufgestellt, die sie in zwei Kategorien mit unterschiedlichen Fragestellungen eingeteilt hatten: „Wie soll das gemeinsame Leben in Anklam zukünftig aussehen“ und „Was kann dazu vor Ort getan werden? Wünsche, Ideen und Anregungen“. Sie sammelten die Vorschläge der Anwesenden. „Wir geben gerne Hilfestellung und Anregungen“, sagte Freier, die allen Anwesenden die Unterstützung des Vereins anbot. „Wir dürfen das Thema nicht mehr stiefmütterlich behandeln. Es wird auch in der Verwaltung ein Umdenken geben“, mit diesen Worten schloss Anklams Bürgermeister Galander (IfA) die Veranstaltung.

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