„Welle: Erdball? Wer ist das?“ Diese Frage wurde angesichts der Plakate und Ankündigungen, die das Konzert Mitte März beworben hatten, öfter gestellt. In der Gothic-Szene und Teilen der Electro-Szene als eine der Größten gefeiert, konnte die Band vor Kurzem in Dresden vor 2.000 Leuten auftreten. Das Konzert in Greifswald fiel erwartungsgemäß etwas kleiner aus. Nur etwa 180 Fans fanden den Weg in den Mensaclub. Glücklicherweise ist dieser ohnehin ziemlich klein, sodass es trotz der geringen Zahl der Anwesenden nur wenig Platz gab. Für alle, die den Abend noch einmal Revue passieren lassen wollen, oder wissen möchten, was sie verpasst haben, hier nun ein ausführlicher Konzertbericht.
Operation: Zeitsturm?
„Operation: Zeitsturm“ – Dieser Schriftzug prangte auf den Konzertplakaten. „Operation: Zeitsturm“ – so der Name der Tour, so aber auch der Name des Films, auf dessen Erscheinen die Konzertreise einstimmen soll. Ein Film? Ganz recht, die Band, oder vielmehr Künstlergruppe, wie uns im Interview das Selbstverständnis von „Welle: Erdball“ erklärt wurde, macht neben der Musik auch Filme. Bisher hatte die Band lediglich kurze Clips zu ihren Liedern produziert, vor einigen Jahren wurde die Band aber vom Ehrgeiz gepackt und drehte einen abendfüllenden Spielfilm.
Eigentlich wollte man den Zuschauern den Streifen zeigen, die Band und der Veranstalter entschieden sich jedoch, statt des Filmes dem Publikum lieber ein längeres Konzert zu bieten. Für alle, die den Film noch nicht kennen, hier die Kurzfassung: Kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs entführen die Nazis einen genialen Wissenschaftler und dessen Tochter. Sie zwingen ihn, eine Zeitmaschine zu konstruieren, in der Hoffnung, mit ihrer Hilfe doch noch den Endsieg davonzutragen. Die Maschine versagt. Jahre später finden „Welle: Erdball“ längst vergessene Unterlagen des Forschers. Sie gehen den darin enthaltenen Hinweisen nach, um seine Tochter zu retten.
Wer Interesse an dem Film findet, kann ihn ab dem 23.4. käuflich erwerben. Im Gegensatz zu der Fassung, die bereits auf dem Wave-Gotik-Treffen (WGT) 2008 und der darauf folgenden Tour gezeigt wurde, ist die nun fertige Version komplett neu geschnitten. Einige Szenen sind entfallen, andere wurden komplett neu gedreht. Ein abendfüllender Videoclip mit Handlung sei dabei herausgekommen, so Sänger Honey. Auch verriet er uns, dass die Band bereits am zweiten Teil arbeite. „Operation: Atahualpa“ heiße der, sei ein waschechter Abenteuerfilm und feiere auf dem diesjährigen WGT Premiere.
Sie hören: Die deutsche Rundfunkstation „Welle:Erdball“
Obwohl (zumindest laut Ankündigung) die Besucher die Möglichkeit gehabt hätten, sich von den schauspielerischen Qualitäten der vier zu überzeugen, sind die meisten natürlich wegen der Musik gekommen.
Kurz nach 21.00 Uhr begann die Vorstellung. Sänger Honey begrüßte das Publikum mit den Worten Meine Damen und Herren! Sie hören die deutsche Rundfunkstation Welle: Erdball.“ Es dröhnte „Tanzpalast 2000“ aus den Boxen, und obwohl Honey sang „Es ist viel los im Mensaclub“ bewegten sich die etwa 180 Anwesenden nur zögerlich. Wahrscheinlich wollten die meisten erst einmal die Bühnendekoration begutachten. Plastique und Frl. Venus posierten auf der Bühne wie Schaufensterpuppen, fast bewegungslos, um nach kurzer Starre in eine andere Haltung zu wechseln. Hinter den beiden waren zwei große Boxen aufgebaut, die mit dem Bandlogo verziert waren. Zwar holten die Mädchen hin und wieder Utensilien hinter ihnen hervor, doch bleibt ihr eigentlicher Sinn zumindest dem Autor dieses Artikels verborgen.
Der nächste Song begann. Das Publikum zeigte nun schon deutlich mehr Regung als noch zu Anfang. Leider machte die Technik Probleme und so musste das Lied abgebrochen werden. Stattdessen hatte Sänger Honey folgenden Tipp für das Publikum parat: „Sie müssen nicht auf jeder Website ihre Schwanzlänge oder Schuhgröße angeben!“, wandte er sich an seine Hörer. Es folgte der Titel „Mensch aus Glas“, dessen Töne allein der Commodore C64 hervorbrachte, der Welle: Erdball schon seit Jahren als vollwertiges Mitglied begleitet. Plastique und Frl. Venus hielten nun Schilder in die Luft mit den Slogans „Kaufen“ und „Vermehre dich“ sowie „Konsumieren“ und „Schlaf weiter“.
Spätestens beim Kulthit „23“ kannte auch das Publikum kein Halten mehr. Von nun an feierte es jedes Lied sogar noch ein Stück mehr als das jeweils vorhergehende.
Nach „23“ gab es jedoch erneut ein Problem auf der Bühne. Plastique schien ein Mikrofon entstöpselt zu haben. Honey bemerkte scherzhaft „Wir haben auch die größte Bühne, die es gibt in ganz Norddeutschland.“ In der Tat mussten sich die vier Musiker doch stark zusammenquetschen, um mit ihren Utensilien Platz auf der kleinen Bühne zu haben, fand das Konzert doch auf der oberen Tanzfläche des Mensaclubs statt.
Bei „Ich bin aus Plastik“ trat Plastique nach vorne und zeigte ihre Sangeskünste. Während des Songs wickelte sie sich das Kabel ihres Mikrofons um den Hals, um sich bei der Zeile „Stirb mit mir den Plastiktod“ buchstäblich fast selbst zu erdrosseln. Darauf ein Knall – Konfetti regnete ins Publikum. Wieder hörte man „Sextelefon“-Rufe aus dem Publikum, doch Sänger Honey stimmte „Wir sind die Maschinen“ an, einen Titel vom Filmsoundtrack.
Einen Höhepunkt bildete auf jeden Fall das nächste Lied: „Der Telegraph“. Das Publikum feierte den Titel ausgelassen, weshalb Honey nach den letzten Tönen des Liedes die Zuschauer aufforderte, ihre Kräfte zu sparen.
„Ist hier irgendwo ’ne Drogenstation?“
Auch beim nächsten Lied blieb kaum jemand still stehen. Bei „Schweben, fliegen und fallen“ sah man sogar das Pommesgabel-Handzeichen in einer der ersten Reihen. Die Damen des Senders, nun vom gepunkteten Kleid ins Dirndl geschlüpft, bliesen Seifenblasen ins Publikum. Frenetischer Jubel begleitete das Lied, sodass man Sänger Honey die Rührung förmlich anmerkte. „Es ist unglaublich!“ und „Ist hier irgendwo ’ne Drogenstation?“, rief er ins Publikum.
„Mit jetzt wird Krach gemacht!“, leitete er das nächste Lied ein, und Krach sollte folgen. Ein riesiges Stahlfass schlug er zum Takt von „Arbeit adelt“ und es gab kein Halten mehr im Publikum. Auch das ruhigere „Deine Augen“ und „VW Käfer“ fanden großen Anklang bei den Zuschauern, die nun jeden Anflug von nordischer Zurückhaltung abgeschüttelt hatten.
Bevor das donnernde „Starfighter F-104G“ begann, gab Honey noch eine Anekdote zum Besten. Den ersten Auftritt in Greifswald sollte einer der prägendsten der Bandgeschichte werden. 1993 spielte die Band im Klex. Nachdem sie ihr Programm von etwa einer halben Stunde absolviert hatten, wurden sie unter Gewaltandrohung dazu gezwungen, ihre Setlist noch zweimal zu wiederholen, bis die Zuschauer endlich genug hatten. So schlimm sollte es an diesem Freitag nicht kommen. Als jedoch das Ende des Auftritts angkündigt wurde, waren die „Öh“- und „Buh“-Rufe aus dem Publikum nicht zu überhören.
Doch jeder kennt das Ritual, wie Honey wenig später bemerkte: Kurz herunter von der Bühne, „Zugabe“-Rufe, und weiter geht es.
Den ersten Song des Zugabenblockes leitete der Sänger wieder mit gesellschaftskritischen Worten ein. „Jede private Sendeanstalt ist ein perfektes Ziel für einen Molotowcocktail.“, so Honey, bevor er „Wo kommen all die Geister her“ anstimmte. Während Frl. Venus und Plastique wieder hinter der Schattenwand verschwunden waren, variierte Honey spontan den Text. So wurden aus den Geistern zuerst Gagas, dann Saleschs. Leider hatte die Band bei diesem Lied wieder ein kleines Problem, schien doch das Theremin nicht zu funktionieren, dessen Benutzung sicher ein Highlight gewesen wäre.
„Jetzt habe ich richtig Pipi im Auge“
Darauf begann das knallende „W.O.L.F.“, das Honey zu Folge zum allerersten Mal beim besagten erste Auftritt im Klex 1993 gespielt worden war. Um den Zuschauern eine kurze Pause zu gönnen, folgten „Die Moorsoldaten“. Honey musste gar nicht singen, das Publikum kannte den Text auswendig und sang das ganze Stück über lauthals mit. Sichtlich erfreut bot man den Anwesenden danach aber wieder einen Titel zum ausgelassenen Tanzen: „Monoton und minimal“. Das Publikum bedankte sich für diesen Hit, den neben dem Gesang ganz allein der Comodore übernahm, mit überbordendem Applaus. „Jetzt habe ich richtig Pipi im Auge“, freute sich Honey.
Nach ein paar weiteren Liedern schien aber endgültig Schluss zu sein. Der Veranstalter betrat die Bühne und kündigte schon die Aftershowparty an. Die Band vertieb ihn jedoch wieder von dort, um noch eine unerwartete Zugabe zu spielen. Bei „Elektrosmog“ fiel zwar wieder die Begleitung aus, bei „Nyntändo-Schock“ hingegen ging alles glatt und so bot man den Anwesenden noch einen gefeierten Abschluss. Nach etwas mehr als zwei Stunden Konzert verließen Welle: Erdball jetzt aber endgültig die Bühne und machten Platz für die Aftershowparty.
Northern Wasteland
Wie bereits in der Ankündigung zu diesem Spektakel bemerkt, liegt Greifswald, was Konzerte von Gothic-Bands anbelangt, im Niemandsland. Wenn überhaupt Bands den Nordosten besuchen, dann kommen sie nach Rostock. Die Macher der Gothicpartys „Grufgesänge“ und „Dark Theatre“ wollten Abhilfe schaffen und gründeten das Gemeinschaftsprojekt „Northern Wasteland“. Zuerst als großangelegte Party mit zwei Dancefloors konzipiert, reifte nach und nach die Idee, Konzerte auszurichten, heran. Welle: Erdball waren die ersten Gäste. Die etwa 180 verkauften Karten übertrafen die Erwartungen der Veranstalter sogar noch ein wenig. Angespornt von diesem Erfolg, soll nicht bei diesem einen Mal bleiben. Man will auf jeden Fall weiterhin hochkarätige Musiker nach Greifswald holen. Auf wen wir hoffen dürfen, wurde jedoch noch nicht verraten.
Fotos: Christoph Eisler