Im Rahmen unserer Serie “Greifswalder rund um den Globus” erscheinen in loser Abfolge Berichte von Kommilitonen, die Teile ihres Studiums im Ausland verbracht haben. Dieses Mal berichtet Anne Klatt, Noch-Stupistin und Bürgerschaftsmitglied für die Grünen von ihrer Reise nach Tansania.

Tansania ist gewissermaßen eine unbekannte Prominente. Bei den wenigsten Menschen lichtete sich der gestörte Gesichtsausdruck, als ich ihnen ihre Frage nach meinem Reiseziel schlicht mit „Tansania“ beantwortete. Erst nachdem ich Serengeti, Kilimandscharo oder Sansibar, die sich allesamt auf tansanischem Territorium befinden, nachschob, hellten sich die Mienen verstehend auf, als hätten sie eine alte Schulkameradin wiedererkannt.

Mich hat es halb zufällig, halb geplant am Beginn des Greifswalder Winters Mitte November gemeinsam mit meinem Freund in dieses Land geweht. In den fünf Wochen dort ist für mich Vieles von dem, was für uns hier als Schlagzeilen, Kalenderbilder oder Spendenaufrufe der Hilfsorganisationen existiert, fassbare Realität geworden: Auf einmal bist du mitten drin in der immer noch so genannten „dritten Welt“. Wo der Viehbesitz den Status und die Rente sichert. Wo die Menschen von dem leben, was sie mit einer buckligen Hacke auf ihren Feldern erarbeiten. Wo das Warten auf die viel zu späte kleine Regenzeit große Sorgenfalten in die Gesichter schreibt. Und wo einen immer wieder die Kolonialgeschichte anspringt – sei es  durch die von Deutschen errichtete und noch immer genutzte Eisenbahnlinie, durch die eingemauerten Glasscherben auf den Schutzwällen der riesigen Liegenschaften der Kirche, durch die vielen (exzellenten!) tansanischen Biersorten oder durch die lateinischen Buchstaben und einige Wörter („Shule“, „bia“) des Swahili. Und auf diese Reise will ich euch jetzt mal eben ein Stück mitnehmen…

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„Feucht“-Savanne in Abendsonne, Mikumi Nationalpark

Begrüßungsknuff-Resistenz ist Pflicht, Berührungsängste bitte zu Hause lassen

So vorsichtig und allmählich wie jemand, der mit der Tür ins Haus fällt, wurde ich mit der afrikanischen Mentalität konfrontiert: Von meinem Aufenthalt in Nepal noch immer an die verschlossene, distanzierte und sehr empfindsame Seele der Asiaten gewöhnt, bot mir die herzliche, direkte und offene Art der Tansanier das komplette Kontrastprogramm. Da kann man schon mal bei der ersten Begegnung einen freundschaftlichen Begrüßungsknuff auf den Arm kassieren und während ich meinen Teller in der Cafeteria belud, wurden meine Haare von vier Küchenfrauenhänden inspiziert in der Hoffnung, dass sie das Geheimnis ihrer unfassbaren Farbe preisgäben. An allen Ecken und Enden wird sich herumgelümmelt oder völlig von Hemmungen befreit gelacht. Oder beides. Gestelzt oder graziös sind Adjektive, die hier nicht hergehören.

Eine Ausnahme ist der Gang der Frauen. Zwar gibt es viele, die so heftig schlürfen, als ob sie Langlaufskier mit ihren Schlappen fahren würden, aber eben auch die vielen, die anmutig schreiten. Die kerzengerade Körperhaltung mit ausgefahrenem Steiß ist wohl eine anatomische Antwort auf die unfassbar schweren Lasten, die auf ihren Köpfen zu schweben scheinen und unsereiner keine zehn Zentimeter zu heben vermag.

Eine zweite Ausnahme ist die Kleiderordnung, mit der sie es im Gegensatz zu mir sehr ernst nehmen. Falten und Flecken zeugen von Armut – ein Holzkohle getriebenes Bügeleisen sorgt für die erforderliche Akuratesse. Die Schüler mit ihren strahlend weißen Hemden und den exakt gebügelten Faltenröcken bzw. -hosen ihrer Schuluniformen könnten jederzeit in eine Dallmayr-Prodomo-Spitzenkaffee-Werbung schlüpfen.

Mein Unvermögen, mit den Menschen auf Swahili zu kommunizieren, ist ein dicker Brocken auf dem Weg der Völkerverständigung. Zwar ist Englisch als Relikt der Kolonialzeit immer noch in Amtsbüchern zu finden, aber nicht in den Köpfen der Tansanier.  Jeder noch so klägliche Versuch, sich an die richtigen Swahili-Wörter zu erinnern, wird allerdings erfreut honoriert – meist in Form eines glücklich klingenden Redeschwalls, von dem ich natürlich kein Wort verstehe. Oder sie schmeißen sich fast weg vor Lachen. Das ist so ansteckend, dass ich froh bin, sie mit meinem grottigen Swahili zu erheitern.

„Ihr im Norden…!“ oder: Kopenhagen in Afrika

Eigentlich sollte derzeit die kleine Regenzeit den Böden und Flüssen wieder Saft und Kraft geben und die Bauern warten schon länger darauf, endlich mit dem Pflanzen zu beginnen. Aber die Böden sind staubtrocken, zum Teil aufgerissen wie Bäckerbrötchen und einige Flüsse nackte Erosionsrinnen, die die Kraft ihrer Erschaffung nur erahnen lassen. Prognosen zufolge ist die Eiskappe des Kilamandscharo, die viele Flüsse in Afrika speist, bis 2020 vollständig abgeschmolzen. Im Meatu District weiter nördlich sollten um diese Zeit die Baumwollpflänzchen schon zwei, drei Handbreit groß sein – doch bis auf wenige Ausnahmen sind sie noch nicht mal gekeimt. Ich begreife, was es heißt, Existenzangst vor dem Klimawandel zu haben.

Dementsprechend überwältigend ist die Aufmerksamkeit für die Kopenhagener Klimaverhandlungen: Stündlich berichten tansanische Reporter über das Geschacher. Einem tansanischen Arzt, der uns in Moshi zu einem Kaffee aus dem eigenen Garten einlädt, platzt bei diesem Thema der Kragen: „Ihr in den entwickelten Ländern zerstört unsere Lebensgrundlage, seid noch nicht mal bereit, künftig die Emissionen einzudämmen und wollt uns vorschreiben, dass wir nicht die gleichen Emissionen wie ihr ausstoßen dürfen?!?“ Wir schauen betreten daher und schrumpfen um geschätzte 2,5 cm.

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Trockenriss mit Hüllenfragment eines Tausendfüssler, vermutlich ein Opfer der Flammen

Als nachts endlich die ersehnten Regengüsse fallen, kullert mir ein dicker Stein vom Herzen. Am nächsten Tag spaziere ich hoffnungsvoll, begleitet von einem Geschwader aus neugierigen Kindern, auf die Felder, um mich an den saftigen Böden zu erfreuen. Der abgefallene Stein springt triumphierend sofort wieder auf seinen Platz am Herz zurück: die Erde hat offenbar gar nicht gemerkt, dass es geregnet hat. Sämtliche Flüssigkeit wurde von den breiten Rissen vollständig verschlungen oder hat sich schon wieder auf die Rückreise in den Himmel gemacht. Denn die Sonne brennt heute unbarmherziger denn je.

Landnichtbesitz als sozialistisches Erbe

Trotz höchstens punktuellem Sonnenkontakt nähert sich die Farbe meines Gesichts der meiner Haare – man könnte es “terra” nennen. Das harmoniert dann wunderbar mit dem Staub, der morgens aufgewirbelt wird, wenn der Boden von Haus, Hof und Straße akribisch – vornehmlich vom Y-Chromosom-tragenden Teil der Bevölkerung – gebürstet wird. Deren räumliche Abgrenzung voneinander ist eher symbolischer Natur. Eine gemeine Mitteleuropäerin könnte daher den Eindruck haben, die Menschen hätten ihre Häuser auf der Straße gebaut und der Seitenstreifen sei der Garten. Dieser Gedanke wäre auch gar nicht so ganz weit von der Realität entfernt, denn es ist tatsächlich jedem gestattet, durch die “Vorgärten” zu trampeln, wovon auch entsprechende Pfade zeugen.

Ein Taxifahrer erzählte uns, dass privater Landbesitz ein Ding der Unmöglichkeit sei. Wie wir später erfuhren, sieht man das in der Praxis ein bisschen lockerer. Bei ererbtem Land sprechen die Bauern durchaus von ihrem Land und die Regierung respektiert es als deren Eigentum. Die Engländer hatten die völlige Unmöglichkeit des Landerwerbs jenseits von Erbschaft in eine auf 99 Jahre beschränkte Möglichkeit umgewandelt. Nachdem sich die Tansanier 1961 aus deren Klauen  befreit hatten, reduzierten sie die maximale Pachtdauer auf 33 Jahre. Theoretisch kann die Regierung nach Ablauf dieses Ultimatums das Land zurückfordern, was aber nur in den seltensten Fällen geschieht. Dennoch bietet diese Rechtsunsicherheit einen wunderbaren Schutz gegen ausländische Investoren, die in anderen Ländern schon viele Probleme für die Landlosen verursacht haben, indem sie ihnen die Lebensgrundlage z.B. für Biomasse-Plantagen, im wahrsten Sinne des Wortes entzogen haben.

Graswurzelpolitik

Abgesehen von wenigen Zentren kann man selten von vom Umland abgrenzbaren Dörfern oder Städten sprechen. Ein Kontinuum von Lehmhüttchen entlang der wenigen Verkehrswege, mal dichter, mal weiter versprenkelt, trifft es eher. Das spiegelt sich auch in der politischen Organisation wieder: Die lokale Instanz ist eine „Zelle“ aus 10 Haushalten (nyumba kumi), die alle fünf Jahre ein Oberhaupt wählen. Dieser “cell leader“ (kiongozi wa shina) schlichtet Streitfälle, trifft politische  Entscheidungen und grübelt mit anderen Zellkernen über die Probleme der Region, wie z.B. sinkende Wasserspiegel.

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Löwenkater

Die Massai: Blut & Milch statt Kaffee & Tee für die Scherzkekse

Wer mal sehen will, was man so alles mit Ohrläppchen machen kann, der sollte zu den Massai gehen: Da werden 2-3 cm breite Silberbänder (platt liegend!) durch die Läppchen durchgezogen! Und wenn zu große Holz- oder Metallteile die Löcher ausgeleiert haben, kann man sie lässig über das ganze Ohr stülpen – das sieht dann so aus, als hätte man sich den Merk-Knoten nicht ins Taschentuch, sondern eben ins biologische Hörgerät gemacht.

Überhaupt: meine romantisch-kitschige Vorstellung von anmutigen, stolzen und ein ganz bisschen arroganten Massai-Kriegern musste ich völlig über den Haufen schmeißen: Sie sind mit herrlichem Humor und ebenso herrlich schiefen Zähnen ausgestattet, was für meinen Respekt nicht gerade förderlich ist. Zum Glück haben sie Humor! Zum Beispiel haben wir uns köstlich mit ihnen gemeinsam über ihre Angewohnheit amüsiert, die Hirtenstöcke als Hinternstütze zu verwenden, um bequemer zu stehen.

Was die Ernährung anbelangt, tut sich jedoch eine große Kluft zwischen uns auf: Pflanzliches gilt als ungenießbar und insbesondere die Männer ernähren sich ausschließlich von Milch, Blut und Fleisch ihrer eigenen Tiere (Rinder, Schafe, Ziegen). Wildtiere rühren sie nicht an, solange diese die Krallen von ihrem Vieh lassen. Davor werden sich Löwen jedoch hüten: Es gehört zur traditionellen Mannwerdung, dass der Kandidat eigenhändig einen der dicken Kater erlegt. Das hat sich herumgesprochen und obwohl die Massai den in Schutzgebieten lebenden Löwen kein Häarchen krümmen dürfen, suchen diese noch immer schnellstens das Weite, sobald sie einen roten Massai-Unhang erblicken. Die Massai sind im wahrsten Sinne des Wortes „ein rotes Tuch“ für Löwen.

Aber nicht nur den Löwen – den englischen Kolonialherren, weißen Trohäenjägern und Naturschützern waren sie ebenso ein Dorn im Auge und wurden konsequenterweise vielerorts von ihren Stammesland vertrieben. Die postkoloniale Politik der Tansanier war moderater und wollte zum Beispiel in der Serengeti eine eingeschränkte Nutzung durch Massai zulassen, was aber unter anderem durch lautes Aufjaulen des deutschen Naturschützers Bernhard Grzimek verhindert wurde („Die Serengeti darf nicht sterben“- Filme und Bücher).

Heute wirken die Massai in den Schutzgebieten ein bisschen wie zur falschen Zeit am falschen Fleck: Sie leben ihr Leben im Großen und Ganzen so, wie sie es immer getan haben (Vieh, Vieh, Vieh, Lehmhütten mit Kuhfladen isoliert, sechs Lagen Tücher statt Hose und Pullover), aber sie werden auf Schritt und Tritt von der Regierung bewacht und Touristen fahren staunend im  Landrover vorbei. Einige machen sich das zu Nutzen, verkaufen Schmuck, bieten sich gegen Entgelt als Fotomotiv an oder stellen sich als lebendiges Museumsdorf zur Verfügung. Auf mich wirken sie  nicht verbittert oder hoffnungslos, sondern scheinen diese Art der Einkommensgenerierung pragmatisch als das Beste, was sie in dieser Situation tun können, hinzunehmen. Wenn die Touristen ein bisschen Sinn für Humor haben und nicht so steif sind, scheinen sie den Kontakt durchaus zu genießen. Kleinigkeiten, wie beispielsweise auf die Frage nach dem Alter nicht einfach brav zu antworten, sondern die gewitzten Herren mal raten zu lassen, haben beiden Seiten viel Spaß bereitet.

Insgesamt habe ich aber keinen Zweifel daran, dass sie von Touristen und Staat lieber in Ruhe gelassen werden und einfach ihre Kühe betutteln wollen, so wie einige bei uns ihr Auto täglich voller Inbrunst umhegen. Ich bin also hin- und hergerissen zwischen dem Gefühl, ihre Privatsphäre zu begaffen, meiner Neugier und ihrer Gastfreundlichkeit.

Diese sich in mir wälzenden Gedanken wurden auf der Weiterfahrt in ihr traditionelles Land, das heutige Ngorogoro-Schutzgebiet, von der Wucht der Artenvielfalt weggewalzt: In trauter Eintracht drängeln sich viele, viele Löwen, Gnus, Pelikane, Flamingos, Zebras, Hippos, Elefanten, Nashörner, die witzigen Warzenschweine usw. usf. in dem Krater. Und wenn eine Löwendame alles andere als scheu, sondern elegant auf das eigene Auto zu schlendert und gegen den Autoreifen pinkelt, kommt man sich vor, wie in einem schlecht gemachten Abenteuerfilm. Wenn wir Massai wären, hätte sie sich das bestimmt nicht getraut!

Löwin: Schlabbert erst firedlich, schlendert dann langsam zum Bus - und pinkelt diesen dann an.

Löwin: Schlabbert erst firedlich, schlendert dann langsam zum Bus - und pinkelt diesen dann an.

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Der Leberwurstbaum.

Abschließend noch eine kleine Ode an den Leberwurstbaum – Ja, er heißt tatsächlich so und wenn man ihn sieht, weiß man auch warum: Wie dicke Würschtchen hängen die Früchte an langen Schnüren, so als hätte sie jemand auf den Baum zum Darren gefädelt.

Fotos: Anne Klatt, Grafik: Jakob Pallus