20 Jahre danach: Besuch im Kernkraftwerk Lubmin

Wenn heute in Deutschland von der Stadt Greifswald die Rede ist, verbinden die meisten damit höchstens die hiesige Universität. Die gab es zwar auch zu DDR-Zeiten, damals war es aber noch eine zweite Einrichtung, die viele DDR-Bürger mit der Stadt am Bodden assoziierten: Das Greifswalder Kernkraftwerk. Die Energiefabrik, die sich eigentlich in Lubmin, knapp 25 km entfernt von Greifswalds Stadtzentrum, befand, deckte in den 80er Jahren etwa 10% des Strombedarfs der DDR und war das größte Kernkraftwerk in den heutigen neuen Bundesländern.

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Vom Hafen aus realisiert man besonders gut die enorme Größe des Kraftwerks mit seiner endlos langen Maschinenhalle.

Dass das Kraftwerk seit Mitte der 90er Jahre zurückgebaut wird, wissen die meisten. Es ist in den Medien immer wieder ausführlich thematisiert worden, zum Beispiel hier und hier und hier. Auch dass es vor Ort ein Zwischenlager mit rätselhaften Zukunftaussichten gibt, ist vielen bekannt. Dass aber einer der insgesamt acht geplanten Reaktoren noch größtenteils existiert und besichtigt werden kann, ist indes auch im nahen Greifswald nicht unbedingt bekannt. Die bundeseigene Gesellschaft „Energiewerke Nord“ (EWN), die mit dem Rückbau des Kraftwerkes betraut ist, führt Besucher auf Anfrage durch den alten „Block 6“ – in der Regel zwei Mal täglich.

So alt ist Block 6 allerdings gar nicht: Er wurde in den achtziger Jahren gebaut, doch noch vor seiner Fertigstellung kam die Wende. Das Projekt wurde umgehend auf Eis gelegt – das Vertrauen in Reaktorbau nach sowjetischen Muster war spätestens seit der Tschernobyl-Katastrophe 1986 zerstört, zu gravierend war die Rückständigkeit der Sicherheitstechnik. (mehr …)

Minister Gabriel: Gegen das Kohlekraftwerk – oder doch nicht?

Bundesumweltminister Sigmar Gabriel hat sich während eines Besuchs in Mecklenburg-Vorpommern gegen das geplante Kohlekraftwerk in Lubmin ausgesprochen. Agenturmeldungen zufolge sagte Gabriel am Rande einer Segeltour um Rügen: „Den Standort Lubmin halte ich für hochproblematisch.“ Der Minister kritisierte vor allem, dass der dänische Konzern Dong Energy in Lubmin ein Kohlekraftwerk ohne Kraft-Wärme-Kopplung plane, was in seinem Heimatland verboten sei. In Deutschland ist das allerdings prinzipiell gesetzmäßig.

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Bundesumweltminister Sigmar Gabriel

Der Verzicht auf Kraft-Wärme-Kopplung bedeutet, dass die im Kraftwerk produzierte Wärme nicht angemessen verwertet wird. Das könnte zum Beispiel durch Fernwärmeversorgung angrenzender Städte und Dörfer oder durch industrielle Großabnehmer von Wärme passieren. Im vergangenen Oktober hatte der dänische Konzern kurzfristig Planungen für eine Fernwärmeversorgung Greifswalds durch das neue Kraftwerk von Lubmin aus vorgestellt. Diese hatten erst für Verwunderung gesorgt und waren anschließend stillschweigend wieder begraben worden.

Die Äußerungen von Sigmar Gabriel sind aber nicht als eindeutige Absage an den Standort Lubmin und auch nicht als vollständige Absage an Kohlekraft zu verstehen. Weder sagte Gabriel, das Kraftwerk dürfe nicht gebaut werden, noch ließ er es aus, darauf hinzuweisen, dass er die Kohlekraft und auch den Neubau von solchen Kraftwerken derzeit noch für unverzichtbar hält.

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Fotomontage des geplanten Kraftwerks auf der Betreiber-Homepage.

Letztgenannte Äußerungen stehen in direkter Nachfolge eines Briefes, den Gabriel vor wenigen Tagen als Antwort auf ein Protestschreiben von Gegnern neuer Kohlekraftwerke geschrieben hatte und dessen vollständiger Wortlaut auf Greifswalder Blogs hier und hier nachgelesen werden kann. Einen Auszug zitieren wir:

„Sie sehen bei diesen Zielen keinen Platz für neue Kohlekraftwerke, sondern fordern stattdessen, dass neben den erneuerbaren Energien nur noch Gaskraftwerke mit Kraft-Wärme-Koppelung erlaubt sein sollen. Diese Einschätzung teile ich so nicht. Denn nach meiner festen Überzeugung werden wir für eine Übergangsphase noch einige neue Kohlekraftwerke brauchen, und zwar aus zwei Gründen:

Zum einen ist die Erzeugung von Strom in Gaskraftwerken deutlich teurer als in Kohlekraftwerken. Deshalb können Gaskraftwerke im Markt die alten, ineffizienten Kohlekraftwerke nicht verdrängen. Für den schrittweisen Übergang zu einer höheren Energieeffizienz und einem höheren Anteil erneuerbarer Energien sind daher hoch effiziente und regelbare Kohlekraftwerke eine wichtige Brückentechnologie. Wichtig ist dabei, dass hoch effiziente neue Kraftwerke (möglichst mit Kraft-Wärme-Kopplung) ineffiziente alte Kraftwerke ersetzen. So stellen wir sicher, dass unsere ambitionierten Klimaziele nicht gefährdet sind.

Zum anderen gibt der Emissionshandel einen strengen Rahmen vor: […]“

Bei einer Bewertung von Gabriels neuen Äußerungen muss überdies beachtet werden, dass er sich derzeit auf einer Sommerreise befindet und zudem die Bundestagswahlen bevorstehen. Es gilt also einerseits zu berücksichtigen, dass Gabriel derzeit vor allem Wahlkampf macht und dass naturgemäß noch nicht feststeht, ob er über diese Legislaturperiode hinaus Bundesumweltminister bleiben wird.

Bilder: User Marcello Casal via Wikimedia (Porträt); Screenshot der Betreiber-Homepage

Interview mit Solvejg Jenssen: „Haben uns zusammengerauft“

Den AStA-Vorsitz übernahm vor einigen Wochen komissarisch Solvejg Jenssen, nachdem Scarlett Faisst sehr plötzlich zurückgetreten war. Sie wird das Amt über die gesamte vorlesungsfreie Zeit innehaben und steht damit für eine lange Zeit an der Spitze des AStA, der in der vorlesungsfreien Zeit auch noch erweiterte Kompetenzen hat. Grund genug für den webMoritz, nachzufragen, wie die Lage ist.

webMoritz: Zwei Wochen in deinem zusätzlichen Amt als AStA-Vorsitzende: Wie hast du dich mittlerweile zurechtgefunden?

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Solvejg Jenssen

Solvejg Jenssen: Es geht inzwischen. Am Anfang war es sehr viel und sehr schwierig. Inzwischen haben wir, also Pedro und ich, uns gut in die Rollen eingefunden. Wir können so den groben Arbeitsablauf bewältigen. Momentan geht das problemlos.

webMoritz: Man spricht von der AStA-Vorsitzenden oft bildlich als Regierungschefin der Studierendenschaft, siehst du das auch so?

Solvejg: Das ist natürlich ein bisschen übertrieben. Und wenn man das kommissarisch macht, ist es sehr übertrieben. Ich sehe mich mehr in der Rolle, dass ich übergangsweise den Laden am Laufen halten soll. Es geht darum, das nötigste zu machen und die wichtigsten Themen wie die Erstsemesterwoche und den Verwaltungskostenbeitrag über die vorlesungsfreie Zeit zu behandeln.

webMoritz: Wie stark ist deine Arbeitsbelastung derzeit?

Solvejg: Schon sehr stark. Da stürzt viel auf einen ein, die ganzen Umstrukturierungen, neue Referenten, die Rücktritte. Die Koordination kostet viel Zeit. Es ist aber machbar. Für Studium und Lehre haben wir ja gottseidank eine zweite Referentin. Da macht Paula jetzt den Löwenanteil.

webMoritz: Hat sich in dieser Situation die neue AStA-Struktur mit ihren vielen Referenten bewährt?

Solvejg: Momentan schon. Gerade in meinem Referat ist es zurzeit Gold wert. Andere Doppelreferate sind ja gar nicht entsprechend besetzt. Generell ist es aber gut, dass wir so viele sind; so konnten wir die Rücktritte noch ganz gut verschmerzen.

webMoritz: Wirst du dich nach der vorlesungsfreien Zeit für den Vorsitz bewerben? (mehr …)

Schweinegrippe in Greifswald: Don’t panic!

In den vergangenen Tagen sind in Greifswald die ersten Fälle von Schweingerippe diagnostiziert worden. Den Anfang machte am Wochenende eine Kommilitonin, die von einer Studienreise nach Dublin zurückkehrte, wie die städtische Pressestelle mitteilte. Mit dem Schweinegrippe-Virus „H1N1“ soll sie sich allerdings bereits vor ihrer Studienreise im Urlaub in Spanien infiziert haben. Die Studentin wurde stationär ins Uniklinikum aufgenommen. Ihre näheren Angehörigen und die Mitreisenden sollen sich in diesen Tagen noch beobachten, ob sie bei sich Symptome einer Grippe ausmachen können.

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Wäre an M-Vs Stränden derzeit eine übertriebene Maßnahme: Der Erreger ist kaum gefährlicher als die übliche Grippe.

Auch gestern gab es einen Verdachtsfall: Wie die Ostsee-Zeitung berichtet, fing das Gesundheitsamt einen Reisebus mit Greifswalder Schülern, die aus London zurückkehrten, ab. Eine Fahrtteilnehmerin hatte über Grippesymptome geklagt. Die Schüler wurden allerdings nicht in Quarantäne genommen, sondern lediglich mit einem Merkblatt über die Krankheit informiert.

Dass die Schweinegrippe nun auch Greifswald erreicht hat, ist allerdings nicht weiter ungewöhnlich, denn derzeit werden bundesweit hunderte neue Fälle täglich diagnostiziert – und zwar verteilt über alle Landesteile. Die Verbreitung des Virus wird sich also kaum noch aufhalten lassen, was aber nicht weiter schlimm ist, wie Fachleute betonen.

Fachleute: Keine Aufregung!

Inzwischen zeichnet sich aber immer deutlicher ab, dass die seit Monaten andauernde Aufregung über die Krankheit, die auch immer wieder von den Medien geschürt wird, in ihrer Intensität nicht unbedingt gerechtfertigt ist. Die Krankheit werde derzeit zwar durch den regen internationalen Urlaubsverkehr gefördert, sagen Virlogen, ihre Auswirkungen seien aber kaum anders als die einer „normalen“ Grippe-Erkrankung. Die wird allerdings häufig unterschätzt: Jährlich sterben auch in Deutschland tausende Menschen an einer Grippeerkrankung – allerindgs sind diese meist noch anderweitig gesundheitlich geschwächt.

Es ist interessant zu beobachten, dass diese Tatsache bis heute in zahlreichen Artikeln in Online-Magazinen nicht oder nur kaum berücksichtigt wird: Wer derzeit (Stand: 29.7., 20 Uhr) das Wort „Schweingerippe“ in den Nachrichten sucht, stößt auf zahlreiche Artikel, die sich ausschließlich mit der Ausbreitung des Erregers beschäftigen.

Wegen der geunkenen Gefahreneinschätzung werden Schweinegrippe-Patienten bereits seit längerem nicht mehr in Quarantäne behandelt. In der Regel reicht es, für einige Tage das Bett zu hüten und engen Kontakt mit anderen Menschen zu meiden.

Der Fleischervorstadt-Blogger Jockel Schmidt weist auf seinem Blog im Einklang mit zahlreichen Fachleuten auf eine zentrale Präventionsmaßnahme hin: Das Händewaschen. Diese häufig unterschätzte Universalwaffe gegen Krankheitserreger sollte allerdings nicht nur im Rahmen der Schweinegrippe-Prävention eingesetzt werden, sondern ganz allgemein beherzigt werden.

Genau wie Jockel verlinken wir daher abschließend auf diesen Spot der Aktion „Wir gegen Viren“ vom Robert-Koch-Institut:

Link: Merklbatt mit Informationen zur Schweinegrippe (Uni-Klink HGW via MVticker)

Bild: User „Paulcastoral“ via flickr

Arndt-Debatte im Ikuwo: Sachlich, aber etwas weichgespült

Am vergangenen Donnerstag lud die Initiative „Uni ohne Arndt“ gemeinsam mit dem Greifswalder AStA und der Amadeu-Antonio-Stiftung zu einer Podiumsdiskussion im IkuWo ein.

Mit Professor Herzig (Geschichte der frühen Neuzeit) und Professor Buchholz (Pommersche Geschichte und Landeskunde) saßen zwei ausgewiesen Arndt-Kritiker auf dem Podium, Prof. Stamm-Kuhlmann (Allgemeine Geschichte der neusten Zeit) gilt derweil als Arndt-Skeptiker, der eine klare Aussage zur Namensdebatte bisher aber unterließ. Mit Ankündigung verspätet traf dann noch Professor Bach (Romanistik) etwa 45 Minuten nach Beginn der Veranstaltung ein. Er hatte vor einigen Wochen in der Ostseezeitung den Namenspatron der Universität gegen Antisemitismus-Vorwürfe verteidigt und dafür viel öffentliches Lob, aber auch Kritik geerntet. Moderiert wurde die Veranstaltung durch den Studenten Marcus Unbenannt (Fraktionsgeschäftsführer der SPD in der Greifswalder Bürgerschaft).

Buchholz: „sehr unglückliche lokale Berichterstattung“

Im Gespräch mit dem webMoritz begrüßte Professor Buchholz die Möglichkeit des Austausches von Informationen, den die Veranstaltung ermögliche und griff dabei die lokalen Medien an:

„Wir haben dazu (Anm. d. Red.: Debatte um den Namenspatron) bisher eine sehr unglückliche lokale Berichterstattung gehabt, in der nicht über Arndt und nicht über die Initiative berichtet wurde. Information wurde dort mehr unterdrückt. (…) Wie sind mit dem Thema auch 2001 auf der lokalen Ebene ganz unsachlich untergebuttert worden. (…) Es macht auch keinen Sinn, der Ostseezeitung Interviews zu geben. Ich bin auch diesmal dort völlig gegensätzlich zitiert worden. Das war damals auch so.“

Wie erwartet, war die Veranstaltung gut besucht und etwa 150 Interessierte waren ins IKuWo gekommen um sich zu informieren. Glück gehabt: Die Veranstalter hatten im Vorfeld befürchtet, nicht genügend Plätze zu haben.

Fachkundig und eloquent tauschten sich die Diskutanten über die verschiedensten Aspekte des Namenspatrons aus: Arndt als „Propagandachef der Befreiungskriege“, als Abgeordneter der Nationalversammlung, als Dichter und Denker, als Hetzer gegen Juden und Franzosen, als Befreier der Bauern, als Held der pommerschen Bevölkerung etc. (mehr …)