Auf der Kreisvollversammlung der „Jungen SozialistInnen in der SPD“ (Jusos) wurde Stephan Schumann am 12. Dezember 2009  zum neuen Vorsitzenden des Kreisverbandes gewählt. Der 21-Jährige ist gebürtiger Dresdner und studiert in Greifswald seit dem Wintersemester 2007. SPD- und damit auch Juso-Mitglied ist er seit 2005.
Der bisherige Vorsitzende Eric Hartmann trat nicht noch einmal an. Der einzige Nachfolgekandidat Stephan Schumann selbst hatte in der Woche zuvor den Mitgliedern des Kreisverbandes auf einer eigenen Veranstaltung die Möglichkeit gegeben, ihn mit Fragen zu seiner Kandidatur anzusprechen. Er selber war wegen eines wichtigen Jubiläums in der Familie am Samstag nicht in Greifswald und wurde in Abwesenheit gewählt.

webMoritz Muss man dich jetzt „großer Vorsitzender“ nennen?
Stephan Schumann (lacht) Natürlich nicht. Mir liegt zwar auch sehr viel an Selbstironie, aber ich bitte darum, dass mich niemand so auf der Straße anspricht. Es könnten Menschen denken, dass ich das gerne hören oder es ernst nehmen würde.

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Der neue und der alte Juso-Vorsitzende: Stephan Schumann (l.) und Eric Hartmann verzweifeln im StuPa

webMoritz War das Jahr 2009 im StuPa ein Debakel für die Jusos?
Stephan In Hinsicht auf das StuPa war es das definitiv. Wir sind mit einem relativ guten Wahlergebnis gestartet und haben anfangs im StuPa sehr gute Arbeit gemacht. Als sich der Streit zwischen AStA und StuPa entspann, habe ich festgestellt, dass man mit Worten dort nicht mehr weiterkommt. Wir haben versucht, zwischen den Parteien zu vermitteln aber alle Richtungen hatten kein Verständnis mehr für einander. Daraus haben einige von uns einen entscheidenden Schluss gezogen und die Arbeit im StuPa niedergelegt.
Ich finde, das war eine gute Entscheidung, denn wir konnten unsere Kraft und Zeit danach gewinnbringender einsetzen. Und Erik von Malottki und David Stoffel sind ja im Parlament verblieben. Was die konstruktive Zusammenarbeit zwischen Parlament und AStA anbelangt, scheint sich dort die Situation mittlerweile verändert zu haben.

webMoritz Was ist eure Konsequenz aus diesen Ereignissen?
Stephan Wir  wollen uns aus den Grabenkämpfen im kommenden Jahr heraushalten. Für 2010 haben wir uns am Samstag ein Arbeitsprogramm für die Genossen im StuPa 2010 gegeben, was weiter vorangetrieben werden soll. Diese Ziele sind unter anderem die kritische Begleitung des Bologna-Prozesses, die Verbesserung der Partizipation durch die Studierenden, sowohl durch die Vollversammlung als auch bessere Feedback-Möglichkeiten an uns,  eine Intensivierung der Arbeit gegen Rechtsextremismus und ein Einsatz für den Erhalt der Lehrerinnenbildung in Greifswald. Letzteres auch innerhalb unserer Partei.
Ansonsten kann ich nur darauf verweisen, dass Paul Greve als Sprecher der Hochschulgruppe wiedergewählt wurde und da sicher ein guter Ansprechpartner ist.

„Von der Vielfalt der Mitglieder und der breiten inhaltlichen Aufstellung her gesehen sind wir noch eine Volkspartei. Das ist der SDS nicht.“

webMoritz Woher stammt die starke Fixierung der Jusos auf das StuPa und nicht den Senat, der ja das wichtigere Gremium ist?
Stephan Weil unsere Genossen im Senat gute Arbeit machen und es ihnen weniger schwer fällt, unsere Ansichten und Positionen dort zur Sprache zu bringen. Ansonsten sind wir eben noch ein verhältnismäßig kleiner Kreisverband. Unsere aktiven Mitglieder sind alle vielfältig eingebunden und derzeit geben die Verhältnisse nicht mehr her. Auch die Arbeitsatmosphäre im Senat ist eine andere. Im Studierendenparlament geht es oft um eine Konfrontation und immer um die Ausrichtung der Studierendenschaft. Und es wäre falsch, dem RCDS und den Liberalen das StuPa von vornherein zu überlassen, in dem wir uns auf den Senat konzentrieren.

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Stephan Schumann

webMoritz Was ist nun aus deiner Sicht die drängendste Aufgabe?
Stephan Normalisierung. Wir haben mit rund zwei Dutzend aktiven Mitgliedern hier den zweitgrößten Kreisverband in Mecklenburg-Vorpommern aufgebaut. Inaktive Mitglieder gibt es zwar noch ein Vielfaches mehr und wir stehen so im Landesvergleich ganz gut da. Aber im Bundesvergleich sind wir eigentlich erschreckend wenige.
Unsere Arbeit fluktuiert außerdem immer noch sehr stark. Das Arbeitspensum müssen wir, in abgespeckter Form, über die vorlesungsfreie Zeit vorantreiben, denn die Politik bleibt in dieser Zeit nicht stehen.
Und nach einem aktionslastigen Jahr mit vielen Wahlkämpfen müssen wir nun wieder mehr Veranstaltungen anbieten und mehr Mitglieder gewinnen. In unserem aktiven Kreis sind bisher nur Studierende, das soll sich ändern.

„Was die Leute jedoch meistens intuitiv mit dem Begriff Sozialismus verbinden, findet man bei uns kaum.“

webMoritz Warum sind auch so wenige Studierende parteipolitisch organisiert?
Stephan Ich bekomme von vielen Menschen gesagt: „Wir haben keine Zeit.“ Dieses Argument lasse ich für Engagement gelten, aber nicht für die Mitgliedschaft. Von vielen haben ich auch gehört: „In einer Partei muss man ja mit dem konform gehen, was die Partei sagt.“ Dieses Argument ist einfach falsch und alle Parteimitglieder bei uns wissen das auch. Trotzdem kann man Menschen schwer vom Gegenteil überzeugen, denn hier gibt es eine problematische Grundeinstellung. Ich hoffe, wir werden noch erleben, wie sich das ändert.

webMoritz Hat sich die Selbstfindungsphase der SPD auch bei den Jusos bemerkbar gemacht?
Stephan Ganz klar. Die SPD Greifswald hat den Antrag „SPD erneuern“ beschlossen und das haben die Jusos forciert. Die Jusos nehmen aktiv an dieser Debatte teil und treiben sie voran. Vor allem werden wir auch forcieren, dass Parteigremien immer parteiöffentlich und transparent sind.

webMoritz Wo ist denn der Unterschied zwischen euch und dem SDS, dem Sozialistisch-demokratischen Studierendenverband?
Stephan Wir sind inhaltlich breiter aufgestellt. Wir haben definitiv Mitglieder, welche dem SDS sehr nahe sind. Wir haben aber auch Mitglieder, die deutlich weiter in der Mitte des politischen Spektrums stehen. Von der Vielfalt der Mitglieder und der breiten inhaltlichen Aufstellung her gesehen sind wir noch eine Volkspartei. Das ist der SDS nicht. Wir wollen uns nicht über das definieren, was links oder rechts von uns ist. Wir sind die Jusos und wenn andere uns inhaltlich zustimmen, freut uns das.

„Man darf sich nicht zu sehr auf Stimmungen am Wahlkampfstand verlassen.“

webMoritz Hier in M-V heißen die Jusos „junge SozialistInnen“. Sind alle Jusos Sozialisten?
Stephan Die Frage ist, welche Art von Sozialismus gemeint ist.  Wir Jusos stehen für einen demokratischen Sozialismus, aber auch nicht alle.  Beschlossenes Ziel der Jusos ist, das linke Korrektiv der SPD zu sein. Dafür muss man heute nicht mehr Sozialistin sein. Was die Leute jedoch meistens intuitiv mit dem Begriff Sozialismus verbinden, findet man bei uns kaum.

webMoritz Ihr steht für einen demokratischen Sozialismus, der SDS nennt sich sozialistisch-demokratisch. Nochmals, wo ist da der Unterschied?
Stephan Ich könnte jetzt erklären, was der demokratische Sozialismus bedeutet, aber das würde hier zu weit führen. Was der SDS mit „sozialistisch“ meint, weiß ich nicht. Bei mir kommt viel Kapitalismuskritik an. Das ist auch gut so, aber bei Elfenbeinturmdebatten darf es nicht bleiben.

webMoritz Wo siehst du noch die größten inhaltlichen Unterschiede?
Stephan In den bildungspolitischen Fragen gibt es viele Übereinstimmungen, aber in den Mitteln häufig einen Unterschied. Bei uns gab es eine lange und differenzierte Debatte zur Hörsaalbesetzung. Das lief darauf hinaus, dass wir uns beteiligt haben. Aber erst nach einem längeren Nachdenkprozess und längeren Gesprächen. Wir versuchen, Politik zu gestalten. Für die Bürgerschaftswahl stand keine SDSlerin auf den Listen der sogenannten Linken.
Und obwohl die Jugendorganisationen erfahrungsgemäß wenig Einfluss auf die Außenpolitik haben, haben wir hier große inhaltliche Unterschiede.

Stephan Was haben die Jusos aus ihrer Niederlage bei den Bürgerschaftswahlen gelernt?
webMoritz Man darf sich nicht zu sehr auf Stimmungen am Wahlkampfstand verlassen. Noch vor den ersten Ergebnissen hätte ich erwartet, dass die SPD ihren Schnitt mindestens hält. Mit so einem starken Absturz auch bei den Bürgerschaftswahlen hab ich nicht gerechnet. Für die Jusos ist mein Schluss, dass wir nicht genug Studierende mobilisiert haben und deutlich kampagnenfähiger werden müssen. Unsere Breitenwirkung war zu schwach. Als Niederlage würde ich das Ergebnis jedoch nicht unbedingt bezeichnen. Wir haben gut auf uns aufmerksam gemacht und haben viele neue Leute für unsere Arbeit gewinnen können. Das war für uns wichtig.

webMoritz Als Raucher eiferst du Helmut Schmidt ja stark nach. Ist er für dich auch sonst ein Vorbild?
Stephan Er ist ein Vorbild in Hinsicht auf Rhetorik, seine Selbstdisziplin und seinen Humor. Er ist eine höchst beeindruckende Persönlichkeit mit viel Ausstrahlung, aber davon gibt es auch noch mehr auf diesem Planeten.

Das Interview führten Gabriel Kords und Arik Platzek.

Foto: privat