ZEIT CAMPUS und die Universität Greifswald veranstalten am 3. November eine Podiumsdebatte zur Abwanderung von Akademikern aus strukturschwachen Landstrichen.  Dieser Artikel von Arik Platzek erschien bereits am vergangenen Mittwoch in der Ostseezeitung und wurde uns dankenswerterweise zur Verfügung gestellt.

Über zehn Prozent der Bevölkerung hat Mecklenburg-Vorpommern in weniger als 20 Jahren verloren. Zwar steigt in Greifswald die Zahl der jungen Akademiker, aber die meisten verlassen wieder die Stadt. Nun wird darum gestritten, ob und warum sich das Bleiben lohnt.

„Wenn ich hier nicht meine Familie hätte, wäre ich auch schon weg.“ So lautet das Fazit der Geographie-Absolventin Eva L. (30). Sie findet aber: „Greifswald ist kinder- und familienfreundlich.“ Mit den Krippenplätzen für ihre Kinder (3 und 1 Jahr alt) hatte sie keine Probleme und auch Großstadtluft lockt sie nicht. Bis vor kurzem hat sie an der Uni gearbeitet, aber das Projekt ist beendet und ihre Stelle damit futsch. Die gebürtige Regensburgerin schließt mit den Worten: „Die Jobsituation ist leider echt ein Problem.“

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AStA-Referent Björn Reichel: "Hier gibt es nach dem Abschluss keine Perspektive."

Den Berliner Björn Reichel (25) zieht es ebenfalls aus Greifswald fort. „Hier gibt es nach dem Abschluss keine Perspektive auf eine vernünftige Arbeitsstelle. Aus purem Idealismus bleibt niemand hier“, meint der Jura-Student. Er ist Teilnehmer des ZEIT Campus Dialogs, der am 3. November 2009 um 18 Uhr in der Aula der Universität stattfindet und ist skeptisch gegenüber einem Erfolg bei der Werbung von Absolventen für die Region.

Björn Reichel betont, dass Mecklenburg-Vorpommern eine Konvergenzregion ist. Was bedeutet, dass es auf eine hohe EU-Förderung angewiesen sei, wie sie sonst fast nur osteuropäische Staaten erhalten. Seiner Überzeugung nach wird der Bevölkerungsschwund anhalten. „Wenn Menschen in Greifswald bleiben, dann nur wegen der Universität“, meint er und bezweifelt, ob die EU-Förderung genügend Früchte trägt. Auch die A20 sei ein wirtschaftlicher Fehlschlag, denn sie hat zwar Touristen aber keine Unternehmen ins Bundesland geholt: „Von ihr profitieren vor allem Pendler, die in Hamburg oder Berlin arbeiten.“ Als Ursachen für den Weggang sieht er den schlechten Arbeitsmarkt, fehlende Tarifangleichung und eine nachteilige Infrastruktur.

Anders die Studentin Juliane Hille: Die zweite studentische Teilnehmerin am ZEIT Campus Dialog hält die Gegenmeinung und will für den Nordosten kein schwarzes Zukunftsbild malen. „Die Region bietet unheimlich viele Chancen“, findet sie. Bei regenerativen Energietechnologien hätte Mecklenburg-Vorpommern viel Potential. Und auch im Rahmen der politischen Ost-Erweiterung sei Greifswald ein gutes Sprungbrett. Und meint: „Die Metropolen wie Berlin oder Hamburg mögen karrierefreundlich sein, aber Greifswald ist familienfreundlich.“ Juliane Hille schätzt auch, dass die Atmosphäre im Norden emanzipierter als im Südwesten Deutschlands sei: „Ich glaube, das kommt wohl aus der DDR.“

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AStA-Referentin Juliana Hille: "Greifswald ist für mich eine Kulturhauptstadt"

Um Absolventen hier zu halten, hält sie ein besseres Netzwerk mit Unternehmen und eine Kooperation mit Großstädten für erforderlich. Außerdem bräuchte es eine stärkere Ausrichtung der Universität auf Studierende mit Kind: „Man sollte sich immer für beides entscheiden können.“ Auch schon im Studium darf niemand das Gefühl bekommen, „außer studieren geht hier oben nichts“, und meint damit vor allem die Verknüpfung von Greifswald mit seinem Umland. Das städtische Kulturangebot beurteilt sie sehr positiv: „Gemessen an den vielen Angeboten pro Person ist Greifswald für mich eine Kulturhauptstadt.“

Prof. Michael Herbst, Prorektor der Universität und Begrüßungsredner des ZEIT Campus Dialogs, sieht aber auch Chancen für Greifswald, wenn Absolventen die Stadt verlassen: „Sie bringen den guten Ruf von Stadt und Universität ins Land hinaus und sorgen dafür, dass wiederum junge Leute ihr Studium in Greifswald absolvieren.“ Jemanden zum Hierbleiben zu bewegen, sei keine leichte Aufgabe. „Bleiben wird, wer Aussicht auf interessante berufliche Tätigkeiten bekommt und sieht, dass auch die anderen Faktoren stimmen. Bleiben wird, wer spürt, dass er hier etwas bewegen kann.“ Und wenn Absolventinnen und Absolventen das wollten, seien sie in Greifswald auch richtig. Ähnlich sieht es Juliane Hille: „Wichtig ist, dass jemand Verantwortung übernehmen möchte.“

Es gibt aber auch Schwierigkeiten, welche die Politik nicht lösen kann. Denn Greifswalds geringe Größe und ein dünn besiedeltes Bundesland führen zu Problemen, die eine Studentin im 7. Semester anspricht: „Hier gibt es zu wenig patente Männer. Die paar, mit denen man etwas anfangen könnte, sind gebunden oder nach ihrem Studium in Greifswald schon zu bekannt.“ Sie zieht es deshalb später in Gegenden, in denen einfach mehr Menschen leben.

Bilder:

Fotos Hille und Reichel – Arik Platzek

Ortsausgang (Startseite) – Gabriel Kords