Am vergangenen Donnerstag fand im Hörssal 5 des Auditorium Maximum eine Podiumsdiskussion zum Thema Grundeinkommen statt. In einer etwas improvisiert wirkenden Runde diskutierten Susanne Wiest (Bundestagsdirektkandidatin Grundeinkommen), Peter Ritter (Landesvorsitzender und Direktkandidat von „Die Linke“), Marcus Unbenannt (stellv. Kreisvorsitzender SPD Greifswald), Anne Klatt (Direktkandidatin Bündnis 90/Die Grünen), Tristan Varbelow (Kreisvorsitzender Piratenpartei) und Sebastian Jabbusch (Piratenpartei und Moderation).
Im Vorfeld hatte es um die Veranstaltung einige Unruhe gegeben, denn die Organisatoren waren tatkräftig von AStA-Referent Sven Zeitler (Politische Bildung) unterstützt worden, der Allgemeine Studierendenausschuss auch zunächst als Veranstalter genannt worden.
Kurz vor dem Verteilen entsprechender Flyer verkündete die AStA-Vorsitzende Solvejg Jenssen dann, dass der AStA nicht Mitveranstalter sei, Sven lediglich als Privatperson mit organisiere. Eine politische Diskussionsrunde, noch dazu eher einseitig besetzt, kurz vor den Bundestagswahlen sah sie als offizielle Veranstaltung der Studierendenvertretung ungeeignet. Die Flyer wurden wieder eingestampft, der durch den AStA organisierte Raum (der anders wohl kaum zu bekommen gewesen wäre) allerdings dennoch genutzt.
Zur allgemeinen Information wurde direkt vor der eigentlichen Diskussionsrunde der Film „Grundeinkommen“ von Daniel Häni (Unternehmer, „Kulturraumschaffender“) und Enno Schmidt (Institut für neue Medien) gezeigt.
Der Beitrag sollte die gut 25 Anwesenden in das Thema einführen und eine Diskussionsgrundlage schaffen. Der gut anderthalbstündige Film wurde jedoch im Nachhinein von Kritikern des Grundeinkommens als „pure Propaganda“ bezeichnet.
Nach einer kurzen Pause begann das eigentliche Gespräch, das sehr bewusst unter starker Einbeziehung des Publikums stattfand. Mangels eines Moderators wurde Sebastian Jabbusch wenige Minuten vorher zur Übernahme dieses Parts gedrängt, das tat der Diskussion nicht immer gut. Insgesamt wirkte die Gesprächsrunde unvorbereitet und fahrig. Die Zusammensetzung des Podiums führte zudem zu einer gewissen Einseitigkeit. FDP- und CDU-Vertreter waren der Debatte von vornherein fern geblieben.
Peter Ritter (Die Linke) zog einen Vergleich zum Grundsicherungskonzept der Linken, dass ein erster Schritt in Richtung Grundeinkommen sein könne, eine abschließende Meinung zu dem Konzept habe er sich jedoch nicht gebildet. Nach dem er vorsichtig einige Kritikpunkte geäußert hatte, zog er sich bald weit aus der Diskussion zurück, wohlmerkend, dass er als langjähriger Landtagsabgeordneter und Landesvorsitzender die jugendlich-idealistische Runde ein wenig zu sprengen drohte.
So blieb Marcus Unbenannt (SPD) der einzige auf dem Podium, der die Idee stark kritisierte – sehr zum Missfallen vieler Anwesender. Er wurde mit seinen Anmerkungen oftmals abgewürgt. Als er eine stark vereinfachte Modelrechnung zur Finanzierung aufstellen wollte, störten Publikum, Diskutanten und der Moderator (sic!) seine Ausführungen durch Zwischenrufe und brachten den unbequemen Kritiker damit (zumindest kurzfristig) zum Schweigen.
Eher unauffällig in der Diskussion blieben Anne Klatt und Tristan Varbelow, die verschiedene Vorzüge des Konzepts erläuterten, eine eindeutige Positionierung aber vermieden. So tauschte man im Laufe des Abends vor allem Pro-Argumente aus. Die Angriffs- und damit Knackpunkte wurden dagegen schnell abgetan. Über die Finanzierung beispielsweise müsse man sich unterhalten, wenn grundsätzlich geklärt sei, ob man ein bedingungsloses Grundeinkommen wolle, so Susanne Wiest. Das auf einer Konsumsteuer basierende Konzept ihrer populär gewordenen Online-Petition, führte sie selber ad absurdum, in dem sie erklärte, kein wirkliches Modell für das Grundeinkommen zu haben, sondern lediglich die Idee anstoßen zu wollen. Auch gesamtwirtschaftliche Auswirkungen des Modells wurden nicht näher diskutiert. Nach knapp zwei Stunden beendete der Moderator eine oftmals einseitig und fahrig organisiert wirkende Veranstaltung.
Bildquellen
Foto – Carsten Schönebeck
Bild Startseite – southtyrolean via flickr
Merkwürdig: Waren wir wirklich auf derselben Veranstaltung??? Wenn ich den Artikel so lese, erkenne ich die Veranstaltung jedenfalls darin nicht wieder. Daß der ganze Abend ziemlich improvisiert war, kann ich nur zustimmen. Das hätte auch professioneller gemacht werden können, allerding wurde in den Tagen zuvor ja auch massiv gegen die Veranstaltung geschossen (u.a. seitens des AStA in persona Solvejg). Die Diskussion war sehr lebhaft und es konnten sehr gut Pro und Contra dargestellt worden – und das weitgehend ohne dröges Wahlkampfblabla.
Daß FDP und CDU nicht an einer entsprechenden Diskussionrunde interessiert waren, ist schon peinlich für die beiden Parteien, zumal ja die CDU ein eigenes Grundeinkommensmodell in die öffentliche Debatte eingebracht hatte. Aber vielleicht ist dieses Althaus-Modell ja mittlerweile genauso Geschichte wie sein Namenspatron. Und die FDP hätte ja mit ihrem aktuellen Flattax-Modell ein neoliberales Contra setzen können, wahrscheinlich mit einem entsprechend schweren Standing in der Diskussion.
Hier noch mal mein Kommentar vom Grünen Blog…
Ich fand die Debatte insgesamt sehr gut, hätte aber gehoft, dass mehr Leute zum Film gekommen wären. Ich hatte den schon vorher im Internet gesehen, hatte aber das Gefühl, dass viele Leute aus dem Bauch heraus über das komplizierte Thema diskutierten. Anne Klatts Einstellung gefiel mir besser als die von Susanne Wiest (vor allem im Bereich “Wie soll das finanziert werden”). Herr Unbenannt war mir zu platt. Mir fehlte die soziale Perspektive. Wenn die eigene Wählerschaft zur Linke läuft (wobei ich Herrn Ritter irgendwie seltsam still fand). Die Eingriffe der Moderation waren manchmal etwas forsch. Mir gefiel dies aber, da die Debatte sich schon sicher noch länger hingezogen hätte und wichtige Fehlannahmen klar gestellt wurden. Der Vertreter der Piratenpartei war sympartisch aber zu still. Die Partei ist wohl noch auf der Suche nach ihrem sozialen Profil. Immerhin hat man das gleich zu Beginn eingeräumt.
Ergänzung zum Artikel hier: Kann es sein, dass der Autor seine Meinung in den Artikel einfließen ließ?
Dass die CDU und die FDP der Einladung der Veranstalter nicht folgten ist bitter – aber vor allem für die Parteien, nicht für den Veranstalter.
Was ich immer noch nicht verstehe ist, warum sich die Asta Vorsitzende sich so komish verhielt. Podiumsdiskussionen gabs doch schon immer vom Asta aus ?
Wo flösse denn dann die Meinung des Autors in den Artikel ein?
Du meinst von Genosse zu Genosse? Die SPD-Seilschaft steht wie ein Mann…
Warum FDP-Solveig sich merkwürdig verhält ist in keiner Weise verwunderlich.
Die Antwort auf diesen Post im Grünen Blog, der im Original noch den Vorwurf der neoliberalen Argumentation an mich enthielt, ist weiter unten bereits freundlicherweise von wayne_inter gepostet worden. Zu der dort ausgeführten Begründung, warum ich mich meist eng in der kapitalistisch-ökonomischen Betrachtungsweise bewegt habe, würde ich noch zwei weitere Gründe hinzufügen wollen: Einerseits war die explizit linke Kritik von Jan Steyer in einer Weise dargestellt worden, die ich bestenfalls hätte wiederholen können. Anderseits ist eben der Bereich der ökonomischen Grundlagen des Modells der, auf dem wir einen Dissenz haben. Es ist ja nicht so, dass ich Frau Wiests gute Absichten in Zweifel ziehe oder sie für eine Undercover-Agentin der FDP halte. Und auch der Grundgedanke, dass den Menschen ein Recht auf eine würdige Existenz durch ihr Mensch-Sein zukommt und nicht durch Arbeit oder sonst etwas verdient werden muss, ist nicht strittig. Mein Eindruck ist eher, dass Unkenntnis über ökonomische Zusammenhänge dazu führt, dass hier aus edlen Motiven ein gefährlicher Weg begangen wird. Und ich halte es eben für ertragreicher, sich über die Dinge auseinanderzusetzen, die strittig sind.
Die Veranstaltung war als Diskussionsrunde angedacht. Deswegen sehe ich es nicht als schlimm an, dass die Diskussion unstrukturiert war. Übrigens wurde das auch im Vornherein so beschlossen.
Im Sinne einer offenen, überparteilichen Runde von Personen mit individuellen/eigenen Meinungen haben wir zwar so gut es ging informiert und eingeladen, allerdings nicht auf Rückmeldung bestanden.
In diesem Zusammenhang fand ich auch Sebastians Moderation total in Ordnung und möchte mich noch mal bei ihm bedanken, dass er kurzfritig eingesprungen ist.
Ich möchte noch ganz kurz auf zwei Zitate aus dem Artikel eingehen:
"So blieb Marcus Unbenannt (SPD) der einzige auf dem Podium, der die Idee stark kritisierte"
Sowohl Peter Ritter als auch Marcus Unbenannt sprachen sich für die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens aus. Allerdings hielten sie es für nicht realisierbar.
"So tauschte man im Laufe des Abends vor allem Pro-Argumente aus. "
Mein Eindruck war eher, dass viele der anwesenden Personen unter Umständen die Grundidee befürworten, es aber für nicht realisierbar halten. Dadurch war die Argumentation meiner Meinung nach ziemlich ausgeglichen. Das BGE wurde im Laufe des Abends sowohl von "rechter" als auch von "linker" Seite kritisiert.
Eine rechte Kritik am BGE ("Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen!"), wie sie in mehreren Kommentarbeiträgen auf dem Webmoritz zu lesen war, war auf der Veranstaltung gar nicht vertreten. (Ich vermute zudem, daß niemand diese Art von "Kritik" und die dahinterstehende Ideologie vermißt haben wird.) Die geäußerte Kritik an dem Abend am BGE war daher durchweg eine linke Kritik.
Vielleicht hätte auf der Veranstaltung stärker herausgearbeitet werden sollen, daß dem BGE-Konzept ein liberales Denkmodell zugrundeliegt. Danach soll die ArbeiterInnenklasse die Hauptlast der Finanzierungskosten tragen, während die höheren Einkommen steuerlich sogar massiv entlastet werden.
Die (absurde) Idee eines konsumsteuerfinanzierten BGE wurde an dem Abend jedenfalls u.a. von Marcus Unbenannt argumentativ sehr überzeugend widerlegt.
Was das Vermissen einer "rechten" Kritik angeht: Ja und nein. Dass die Webmoritz-Kommentartrolls nicht anwesend waren oder sich zumindest nicht geäußert haben, war der Diskussion sicher nicht abträglich. Aber die ethische Argumentation, dass eine Gesellschaft auf Leistung und Gegenleistung beruhen sollte und Ansprüchen des einzelnen an die Gesellschaft auch Ansprüche der Gesellschaft an den einzelnen gegenüberstehen sollten, hat ja (auch wenn ich diesen Punkt persönlich eher so wie die BGE-befürworter sehe) mehr Meriten, als man das bei manch einem Webmoritz-Kommentar im Vorfeld erkennen konnte. Das fänd ich schon spannend, mal mit nem Philosophen oder Historiker zu diskutieren, wie sich dieser "Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen"-Grundsatz entwickelt hat und ob es dazu in der Geschichte auch praktizierte Alternativen gab.
Lieber ret marut, deine marxistisch-leninistische Weltanschauung in allen Ehren, aber niemand aus dem bürgerlichen Lager hat hier die Position "wer nicht arbeitet soll auch nicht essen" vertreten. Gemeint war, dass dem Bedürftigen geholfen wird und nicht dem Faulenzer. Dahinter steht keine "Ideologie", sondern gesunder Menschenverstand. Der Staat (und damit wir alle als die Finanzierer unseres Gemeinwesens) ist nicht dazu da, Nichtstun und Rumsitzen zu finanzieren. Er muss die Starken fördern und den Schwachen helfen. Wer nichts leisten WILL, der sollte kein "bedingungsloses Grundeinkommen" ohne jegliche Gegenleistung und/oder ohne jegliche Bedürftigkeit erhalten.
quod erat demonstrandum.
Mal abgesehen davon, dass wir das ja heute schon tun: Warum nicht?
Ich fand Anne Klatt sehr überzeugend. Sie hat auf zahlreiche Probleme des bedingungslosen Grundeinkommens hingewiesen, ohne jedoch andere Leute direkt anzugreifen. Das sind muss man erst mal können. "Unauffällig" war höchstens Herr Ritter, wobei das ja irgendwo auch in Ordnung war. Er hat seinen Standpunkt auch deutlich gemacht.
Das mit der Organisation im Vorfeld war tatsächlich alles sehr kurzfristig…. Trotzdem finde ich es sehr gut, dass sich Sven so ins Zeug gelegt hat ! Die 40-50 Gäste haben gezeigt, dass das Thema Interesse fand. Die Veranstaltung soll im Oktober, wenn die Studenten wieder da sind, am besten noch einmal wiederholt werden.
Hoffentlich dann mit klarem Votum des AStAs…
Mal ehrlich Herr Jabbusch. Ich war da und habe durchgezählt. Es waren nicht mehr als 30 Personen, inlusive Teilnehmern und Presse.
Zitat des Abends kam von Susanne Wiest:
"Ich bin Direktkandidatin für das Grundeinkommen." Mutig von ihr, so einen Satz zu sagen, ohne ein wenigstens ansatzweise fertiges Konzept vorweise zu können.
Ich möchte mal die wagen Schätzungen (25, < 30, 40-50) der Teilnehmer_innenzahl beenden. Es waren soweit ich mich nicht verzählt habe genau 35 Personen anwesend.
Ich fand Anne Klatt sehr überzeugend. Sie hat auf zahlreiche Probleme des bedingungslosen Grundeinkommens hingewiesen, ohne jedoch andere Leute direkt anzugreifen. Das sind muss man erst mal können. "Unauffällig" war höchstens Herr Ritter, wobei das ja irgendwo auch in Ordnung war. Er hat seinen Standpunkt auch deutlich gemacht.
Das mit der Organisation im Vorfeld war tatsächlich alles sehr kurzfristig…. Trotzdem finde ich es sehr gut, dass sich Sven so ins Zeug gelegt hat ! Die 40-50 Gäste haben gezeigt, dass das Thema Interesse fand. Die Veranstaltung soll im Oktober, wenn die Studenten wieder da sind, noch einmal wiederholt werden.
Hoffentlich dann mit klarem Votum des AStAs…
Marcus Unbenannt äussert sich auf dem Blog der Grünen zu seiner Position zum BGE wie folgt:
"Ich kritisiere das BGE nicht von rechts, sondern von links, was auch der Grund dafür ist, dass ich im Verlaufe des Abends fast durchgängig der gleichen Auffassung wie Herr Ritter und Jan Steyer war (und ich denke, das gilt auch umgekehrt), die ja beide nicht gerade als Neoliberale gelten. Ich halte vielmehr das BGE für ein zumindest mit dem Neoliberalismus gut anschlussfähiges Konzept, weil es auf Individualisierung und Entkollektivierung setzt. Und deshalb ist es auch kein Zufall, wenn Neoliberale wie Althaus oder Straubhaar die Idee des BGE unterstützen. Dass ich mich in meinen Beirägen eng in den Grenzen der (kapitalistischen) Volkswirtschaftslehre bewegt habe, liegt schlicht daran, dass ich versucht habe, Frau Wiests Vorschlag ernst zu nehmen. Und Frau Wiest und andere behaupten ja, ein solches System in einer kapitalistischen Marktwirtschaft verankern zu können und ich habe mich bemüht, sytemimmanent aufzuzeigen, warum das scheitern muss. Wie heißt es so schön bei Brecht: “Und der reiche Mann sagt bleich: ‘Wärst du nicht arm, wär ich nicht reich.’" Wer Armut bekämpfen will, muss Reichtum begrenzen. Letztes will das BGE nicht, deshalb wird es ersteres nicht können."
Ich konnte zwar leider nicht an der Veranstaltung teilnehmen, habe aber in den letzten Tagen intensiv zum Thema recherchiert und viele Diskussionen zu dem Thema geführt. Nachdem ich ein Wahl von Susanne Wiest anfangs in Betracht gezogen habe, schließe ich dies mittlerweile aus. Vor allem aufgrund der schwachen Konzepte für die Finanzier- und Einführbarkeit des BGE. Den Film kann man deswegen als "pure Propaganda" bezeichnen, muss man aber nicht, da er gesellschaftliche Probleme und einige ihrer Ursachen gut analysiert sowie gute Impulse beinhaltet. Die soziale, mentale und ökologische Krise in der wir uns befinden, kann m.M. nach nur durch radikales Umdenken und Veränderung gewohnter Verhaltensweisen gelöst werden und nicht dadurch alle paar Jahre zur Urne zu schreiten.
Die Diskussion um das BGE ist auf jeden Fall wesentlich interessanter, als das heutige Wahlkampf-Scheinduell im Fernsehen. Eine intensive Auseinandersetzung und kritische Reflektion politischer Themen kann ich nur weiterempfehlen als "Alternative zur lähmenden Harmlosigkeit sämtlicher gängigen Diskurse, die sich zu fragen scheinen, wie man Arbeitsplätze auf der Titanic sichert, anstatt ihrem Untergang entgegenzuwirken."
Denken hilft
Marcus Unbenannt äussert sich auf dem Blog der Grünen zu seiner Position, die er während der Veranstaltung zum BGEvertreten hat, wie folgt:
"Ich kritisiere das BGE nicht von rechts, sondern von links, was auch der Grund dafür ist, dass ich im Verlaufe des Abends fast durchgängig der gleichen Auffassung wie Herr Ritter und Jan Steyer war (und ich denke, das gilt auch umgekehrt), die ja beide nicht gerade als Neoliberale gelten. Ich halte vielmehr das BGE für ein zumindest mit dem Neoliberalismus gut anschlussfähiges Konzept, weil es auf Individualisierung und Entkollektivierung setzt. Und deshalb ist es auch kein Zufall, wenn Neoliberale wie Althaus oder Straubhaar die Idee des BGE unterstützen. Dass ich mich in meinen Beirägen eng in den Grenzen der (kapitalistischen) Volkswirtschaftslehre bewegt habe, liegt schlicht daran, dass ich versucht habe, Frau Wiests Vorschlag ernst zu nehmen. Und Frau Wiest und andere behaupten ja, ein solches System in einer kapitalistischen Marktwirtschaft verankern zu können und ich habe mich bemüht, sytemimmanent aufzuzeigen, warum das scheitern muss. Wie heißt es so schön bei Brecht: “Und der reiche Mann sagt bleich: ‘Wärst du nicht arm, wär ich nicht reich.’" Wer Armut bekämpfen will, muss Reichtum begrenzen. Letztes will das BGE nicht, deshalb wird es ersteres nicht können."
Ich konnte zwar leider nicht an der Veranstaltung teilnehmen, habe aber in den letzten Tagen intensiv zum Thema recherchiert und viele spannende Diskussionen geführt. Nachdem ich ein Wahl von Susanne Wiest anfangs in Betracht gezogen habe, schließe ich dies mittlerweile aus. Vor allem aufgrund der schwachen Konzepte für die Finanzier- und Einführbarkeit des BGE. Den Film kann man deswegen als "pure Propaganda" bezeichnen, muss man aber nicht, da er gesellschaftliche Probleme und einige ihrer Ursachen gut analysiert sowie gute Impulse beinhaltet (und somit sehenswert bleibt). Die soziale, mentale und ökologische Krise in der wir uns befinden, kann m.M. nach nur durch radikales Umdenken und Veränderung gewohnter Verhaltensweisen gelöst werden und nicht dadurch alle paar Jahre zur Urne zu schreiten.
Die Diskussion um das BGE ist auf jeden Fall wesentlich interessanter, als das heutige Wahlkampf-Scheinduell im Fernsehen. Eine intensive Auseinandersetzung und kritische Reflektion politischer Themen kann ich nur weiterempfehlen als "Alternative zur lähmenden Harmlosigkeit sämtlicher gängigen Diskurse, die sich zu fragen scheinen, wie man Arbeitsplätze auf der Titanic sichert, anstatt ihrem Untergang entgegenzuwirken."
Denken hilft
Da mich ja hier glücklicherweise kein Moderator abwürgen kann, will ich doch mal die Möglichkeit nutzen, meine "völlig unseriöse" Modellrechnung unters Volk zu bringen:
Das Modell von Frau Wiest (https://epetitionen.bundestag.de/index.php?action… sieht vor, dass jedem Erwachsenen 1.500 und jedem Kind 1.000 Euro* bedingungsloses Grundeinkommen pro Monat gezahlt werden. Das bedeutet in einer Gesellschaft mit 65 Mio. Erwachsenen und 15 Mio. Kindern (das ist jetzt stark gerundet, wers genau wissen will: destatis.de) ein Transfervolumen von 112,5 Mrd. Euro pro Monat, ergo 1,35 Billionen Euro pro Jahr. Bevor jetzt Verteidiger und Kritiker das Hyperventilieren anfangen, will ich einmal das gegenwärtige Transfervolumen des Staates dagegengestellen. Das ist leichter gesagt als getan, da unser gegenwärtiges Transfersystem ja bekanntermaßen recht kompliziert ist. Faul wie ich bin, nehme ich einen groben Näherungswert, in dem ich die Staatsquote (47%) mit dem Bruttoinlandsprodukt (2,5 Bio. €) multipliziere. Das ergibt knapp 1,2 Billionen Euro pro Jahr. Das ist, wie gesagt, nur ein grober Schätzwert, der noch dazu alle Staatstätigkeit umfasst, also auch Straßenbau, Militär und weitere Dinge, die wir in einem BGE-Modell zu den 1,35 Bio. noch dazunehmen müssten. Aber es ging mir mit diesem Vergleichja auch nur darum, zu zeigen, dass das Transfervolumen des BGE zwar mächtig gewaltig wäre, aber im Vergleich zu unserem heutigen Staat auch keine so spektakuläre Veranstaltung ist. Das Transfervolumen steigt also, aber nicht dramatisch. Was ist also mein Problem? Dazu zitiere ich einmal aus der Petitionsbegründung: "Alle bestehenden Transferleistungen, Subventionen und Steuern einstellen und als einzige(!) Steuer eine hohe Konsumsteuer einführen." Einen Betrag, der größer als die gesamte gegenwärtige Staatstätigkeit der BRD ist, möchte Frau Wiest aus einer einzigen Steuerquelle einnehmen. Und das ist kein Randaspekt ihres Vorschlages. Wer die Petitionsbegründung liest, wird dort nichts vom Ende der Arbeitsgesellschaft finden, nichts von Kulturimpuls und nichts von Menschenrechten, aber viel, genauergesagt nur, von Steuervereinfachung. Ein solches Ein-Steuer-Modell gibt es in keiner entwickelten Volkswirtschaft und das aus gutem Grund: Es ist zwar angenehm einfach und möglicherweise günstig zu verwalten, aber auch sehr krisenanfällig. Wenn in unserem heutigen System die Gewerkschaften moderate Lohnabschlüsse machen und sich damit die Lohnsteuer schwächer entwickelt, ist damit erst einmal nur ein Teil der Steuereinnahmen betroffen, und das ganze kann mitunter durch gegenläufige Entwicklungen bei anderen Steuern ausgeglichen werden. Wenn in Frau Wiests Modell der Konsum einbricht (oder die Konsumsteuerhinterziehung ausbricht), dann wackelt sofort die ganze Republik. Von daher sind bei aller nachvollziehbaren Sehnsucht nach Simplizität Ein-Steuer-Modelle eine riskante Veranstaltung.
Aber selbst wenn wir das einmal beiseite lassen, muss Frau Wiest immer noch monatlich 112,5 Mrd. € an Konsumsteuern aufbringen. Bei einem angenommenen Steuersatz von 100% (der steht zwar nicht in der Petition, wird aber von vielen BGE-Verfechtern unterstellt, wurde im Film so genannt und Frau Wiest hat dem in der Diskussion zumindest nicht widersprechen) müssten dazu 225 Mrd. € an Waren und Dienstleistungen konsumiert werden – pro Monat. Unterstellt, dass alle Einkommen vollständig im Inland konsumiert werden, können die Kinder davon schon einmal 15 Mrd. € (15 Mio. Kinder x 1.000 €) leisten. Unterstellen wir einmal, dass sich die Erwerbstätigkeit nicht verändert**, kommen 25 Mio. nicht Erwerbstätige Erwachsene dazu, die 37,5 Mrd. € konsumieren können. Das sind zusammen 52,5 Mrd €, bleiben 172,5 Mrd. €, die von den verbliebenen 40 Mio. Erwerbstätigen zunächst verdient und dann konsumiert werden müssen. Das sind etwas über 4.300 € pro Person. Davon entstammen 1.500 € aus dem BGE, die verbleibenden 2.800 müssen durch Erwerbsarbeit erbracht werden. Im Durchschnitt, versteht sich. Das entspricht ziemlich genau dem derzeitigen durchschnittlichen Brutto(ich betone, brutto! Da sind also die Steuern, deren Abschaffung ja eigentlich zu niedrigeren Arbeitskosten führen sollte)-Durchschnittsverdienst eines vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmers in Deutschland von 3127 € (destatis.de). Fassen wir also zusammen: Das ganze funktioniert nur, wenn:
1. Die wegfallenden Steuern nahezu vollständig den ArbeitnehmerInnen zugute kommen, so dass sie zukünftig Arbeitseinkommen in Höhe heutiger Bruttolöhne haben, UND
2. Die ArbeitnehmerInnen ihre Einkommen vollständig (!), offiziell (!) im Inland (!) konsumieren, es also weder in relevantem Umfang Spartätigkeit noch Schwarzarbeit noch Konsumtourismus in die europäischen Nachbarländer (Insbesondere letzteres dürfte nur mit Schutzzöllen oder Mauerbau zu unterbinden sein) gibt, UND
3. Übrige Staatstätigkeit in relevantem Umfang, also so Kleinigkeiten wie das Schulwesen, Militär oder der Bau und Unterhalt öffentlicher Infrastruktur auf anderem Wege finanziert oder aufgegeben wird.
Damit ich nicht falsch verstanden werde: Das ist möglich. Es ist auch möglich, dass uns unser OB in diesem Jahr zu Weihnachten eine Palme auf den Marktplatz stellt (soll ja Beziehungen nach Brasilien haben). Was davon wahrscheinlicher ist, sei der Fantasie eines jeden einzelnen überlassen.
* Das Kinder nur Zwei Drittel des BGE-Satzes bekommen sollen, ist mir erst bei nochmaligem Lesen der Petitionsbegründung aufgefallen. Das reduziert das Transfervolumen natürlich etwas. Ich finde das aber modellimmanent etwas unlogisch. Wenn es nicht um Bedürftigkeit, sondern um einen Anspruch aus dem Mensch-Sein heraus gehen soll, warum kriegen Kinder dann weniger? Sind die nur Zwei Drittel Mensch? Und wenn wir da auf einmal gelten lassen sollen, dass Kinder pauschal weniger zu einem würdigen Leben brauchen, warum kriegen Ältere mit erhöhten Pflegebedarfen und schlechteren Zuverdienstmöglichkeiten dann nicht mehr?
** Ich habe mich bemüht, dort, wo Annahmen gemacht werden müssen, die für das BGE günstigste zu wählen. Wenn z.B. die Erwerbstätigkeit abnimmt, wie von den Verfechtern prognostiziert, erschwert das natürlich die Lage erheblich. Gleiches gilt für Konsumtourismus und Schwarzarbeit, die ja bekanntlich bei höheren Verbrauchssteuern zuzunehmen pflegen.
hey Leute, hier fehlt der erste Post. Heute nacht war der noch da.
EDIT: offenbar ist bei der Übertragung etwas schief gelaufen, von daher versuche ich einmal, den ersten Teil verkürzt zu rekonstruieren.
Augehend von Frau Wiests Modell, in dem jeder Erwachsene 1500 und jedes Kind (zu der Sache mit den Kindern siehe das erste Sternchen im Post oben) 1000 EUR pro Monat bekommen soll komme ich bei 65 Mio. Erwachsenen und 15 Mio. Kindern (grobe Näherung, exakte Zahlen gibts, auch für die ökonomischen Indikatoren, bei destatis.de) auf einen Finanzierungsbedarf von 112,4 Mrd. € pro Monat, das sind 1,35 Bio. € pro Jahr. Klingt viel, ist aber im Vergleich zur heutigen Staatstätigkeit gar nicht soo spektakulär. Wenn ich die gegenwärtige Staatsquote (46%) mit dem BIP (ca. 2,5 Bio. €) multipliziere, lande ich bei einem Staatsanteil, von 1,15 Bio. € pro Jahr. Mit dem BGE ist also – nachvollziehbarerweise ein deutlicher Anstieg der Staatsquote verbunden, es ist aber auch nicht so, dass das alle Skalen sprengen würde. Das Problem liegt eher darin, dass Frau Wiest diesen enormen Betrag mit einer einzigen Steuer aufbringen will, das ist auch der entscheidende Teil ihres Vorschlages, wenn man sich die Petitionsbegründung mal anschaut. Das ist schon an sich eine hochriskante Angelegenheit und dann soll es zu allem Überfluss auch noch eine Konsumsteuer sein. Zu welchen Problemen das führt, das ist dann in dem direkt hierüber stehenden zweiten Teil aufgeführt.
So, dass ist jetzt sehr kurz, weil ich keine Zeit hab, die Recherche von gestern abend noch mal zu machen. Aber ich denke, der Punkt kommt rüber.
http://www.grundeinkommen.de/26/03/2008/das-finan…
Sehr guter Text. Wäre klasse gewesen, wenn der im Vorfeld der Veranstaltung schon mal, quasi als Vorbereitungslektüre, an die Veranstaltungsbeteiligten gegamgen wäre. Dann hätten wir uns zumindest die Diskussion über die magische Preisstabilität sparen können: "Wird das Grundeinkommen über Verbrauchssteuern finanziert, dann wird die zusätzliche Belastung zwar in Form höherer Preise spürbar, dem steht jedoch der Bezug des Grundeinkommens gegenüber." Schön, dass das dann auch geklärt wäre.
tendentiös? – tendenziös!
Vom Standpunkt des Kapitals aus kann allein eine derartige Zuteilung von Zahlungsmitteln die Herrschaftsverhältnisse der kapitalistischen Warengesellschaft aufrechterhalten. Mit dem bedingungslosen Grundeinkommen besteht die Bevölkerung weiter aus individuellen Warenkonsumenten, die sich in einer totalen Abhängigkeit befinden. Selbstorganisierung, kooperative Selbstversorgung, gemeinschaftliche Aneignung und Nutzung von Produktionsmitteln, kurz, emanzipative Überwindung der kapitalistischen Herrschaftsverhältnisse werden verhindert. Der “halbtote Kapitalismus” entlohnt den individuellen Konsum wie eine produktive Tätigkeit: Die Individuen werden dafür bezahlt, dass sie sich durch den Konsum fremdbestimmter Waren selbst so produzieren, wie die gesellschaftlichen Ordnungsmächte sie haben wollen. Die Waren kaufen und bestimmen ihre Konsumenten. Der Konsument wird zu einer sich selbst produzierenden Ware. Bewahrt wird nicht der Kapitalismus, sondern allein sein Herrschaftssystem, dessen Instrumente die Waren-, Lohn- und Marktbeziehungen wahren, die als leere Hülsen formal den Tod des Kapitalismus überleben. Nicht die Wertverwertung, sondern allein die Beherrschbarkeit der “Bürger” wird zum Zweck der Produktion (André Gorz 1983: 61-64).
Kompetter Artikel: http://www.streifzuege.org/2007/seid-realistisch-…
wirklich interessanter Text. Danke
wirklich interessanter Text. Danke für den Link.
gern geschehen
Mal ein Wort zur Organisation von Veranstaltungen politischen Charakters seitens des AStA:
Es war noch niemals so, dass der AStA keine Veranstaltungen dieser Art veranstalten oder unterstützen durfte – Es ist sogar dezidiert eine seiner Aufgaben. Es ist dem AStA laut Landeshochschulgesetz lediglich verboten sich allgemeinpolitisch konkret zu positionieren – etwa einen Wahlaufruf zur Wahl der Piratenpartei zu lancieren o. Ä. Aber in diesem Rahmen ging es um eine Veranstaltung, in der mehrere Parteien zu Wort kommen konnten und kontrovers über ein Thema diskutierten. Wie professionell das ablief sei einmal dahingestellt. Es ist jedoch von Grunde auf falsch, den AStA, der ein politisches Gremium ist, zu entpolitisieren. Der Referent für politische Bildung hat sein Amt genau richtig wahrgenommen, denn ihm obliegt die Verantwortung zur politischen Meinungsbildung an der Hochschule beizutragen. Nicht umsonst haben wir vor 2 Jahren das Amt, das damals noch Co-Referat für hochschulpolitische Bildung hieß, wieder umbenannt. Zu den Aufgaben des Referenten sei hier nochmals der Ausschreibungstext zitiert:
"Der Referent für politische Bildung erweitert das Bildungsangebot der Universität um Veranstaltungen, die die politische Bildung und das staatsbürgerliche Verantwortungsbewusstsein der Studierenden fördern. Zu diesem Zweck führt er themenorientierte Veranstaltungen (z.B. Workshops, Lesungen, Vorträge und Diskussionsrunden) durch. […]" (Quelle: http://asta-greifswald.de/index.php?option=com_co…
Mal ein Wort zur Organisation von Veranstaltungen politischen Charakters seitens des AStA:
Es war noch niemals so, dass der AStA keine Veranstaltungen dieser Art veranstalten oder unterstützen durfte – Es ist sogar dezidiert eine seiner Aufgaben. Es ist dem AStA laut Landeshochschulgesetz lediglich verboten sich allgemeinpolitisch konkret zu positionieren – etwa einen Wahlaufruf zur Wahl der Piratenpartei zu lancieren o. Ä. Aber in diesem Rahmen ging es um eine Veranstaltung, in der mehrere Parteien zu Wort kommen konnten und kontrovers über ein Thema diskutierten. Wie professionell das ablief sei einmal dahingestellt. Es ist jedoch von Grunde auf falsch, den AStA, der ein politisches Gremium ist, zu entpolitisieren. Der Referent für politische Bildung hat sein Amt genau richtig wahrgenommen, denn ihm obliegt die Verantwortung zur politischen Meinungsbildung an der Hochschule beizutragen. Nicht umsonst haben wir vor 2 Jahren das Amt, das damals noch Co-Referat für hochschulpolitische Bildung hieß, wieder umbenannt. Zu den Aufgaben des Referenten sei hier nochmals der Ausschreibungstext zitiert:
"Der Referent für politische Bildung erweitert das Bildungsangebot der Universität um Veranstaltungen, die die politische Bildung und das staatsbürgerliche Verantwortungsbewusstsein der Studierenden fördern. Zu diesem Zweck führt er themenorientierte Veranstaltungen (z.B. Workshops, Lesungen, Vorträge und Diskussionsrunden) durch. […]" (Quelle: http://asta-greifswald.de/index.php?option=com_co…