Wenn heute in Deutschland von der Stadt Greifswald die Rede ist, verbinden die meisten damit höchstens die hiesige Universität. Die gab es zwar auch zu DDR-Zeiten, damals war es aber noch eine zweite Einrichtung, die viele DDR-Bürger mit der Stadt am Bodden assoziierten: Das Greifswalder Kernkraftwerk. Die Energiefabrik, die sich eigentlich in Lubmin, knapp 25 km entfernt von Greifswalds Stadtzentrum, befand, deckte in den 80er Jahren etwa 10% des Strombedarfs der DDR und war das größte Kernkraftwerk in den heutigen neuen Bundesländern.

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Vom Hafen aus realisiert man besonders gut die enorme Größe des Kraftwerks mit seiner endlos langen Maschinenhalle.

Dass das Kraftwerk seit Mitte der 90er Jahre zurückgebaut wird, wissen die meisten. Es ist in den Medien immer wieder ausführlich thematisiert worden, zum Beispiel hier und hier und hier. Auch dass es vor Ort ein Zwischenlager mit rätselhaften Zukunftaussichten gibt, ist vielen bekannt. Dass aber einer der insgesamt acht geplanten Reaktoren noch größtenteils existiert und besichtigt werden kann, ist indes auch im nahen Greifswald nicht unbedingt bekannt. Die bundeseigene Gesellschaft „Energiewerke Nord“ (EWN), die mit dem Rückbau des Kraftwerkes betraut ist, führt Besucher auf Anfrage durch den alten „Block 6“ – in der Regel zwei Mal täglich.

So alt ist Block 6 allerdings gar nicht: Er wurde in den achtziger Jahren gebaut, doch noch vor seiner Fertigstellung kam die Wende. Das Projekt wurde umgehend auf Eis gelegt – das Vertrauen in Reaktorbau nach sowjetischen Muster war spätestens seit der Tschernobyl-Katastrophe 1986 zerstört, zu gravierend war die Rückständigkeit der Sicherheitstechnik.

Auch die in Betrieb befindlichen Reaktoren 1 bis 4 wurden stillgelegt und seit 1995 abgebaut. Reaktor 5 allerdings, zu gut 90% fertiggestellt, blieb bisher in großen Teilen erhalten. Da er nie mit Brennstäben bestückt wurde, gibt es im gesamten Reaktorblock an keiner Stelle irgendwelche Strahlung, wie die EWN versichert.

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Ost-Charme am Eingang von Block 6

„Block 6 nur als Museum gebaut“

Der Rundgang durch den alten Block ist spannend und fast ein bisschen schauderhaft – das Flair der gigantischen Industrieruine, die das Kraftwerk heute darstellt, hat immer noch etwas bedrohliches. Auch wenn sich die EWN nach Kräften bemüht, dem alten Kraftwerk seinen Schrecken zu nehmen: So ganz geheuer ist es dem Besucher nicht, durch den „Block 6“ zu wandern; Wand an Wand mit dem alten „Block 5“ im selben Gebäude, der genau wie sein Zwilling zwar nie wirklich Strom produziert hat, aber mit Brennelementen bestückt war und dessen Technik deshalb mit radioaktiver Strahlung kontaminiert ist.

Das Schicksal der Blöcke 5 und 6 ist noch tragischer als das der Blöcke 1-4. Während diese etwa 10 Jahre lang Strom produzierten, war Block 5 für ein halbes Jahr im Probebetrieb – effektiv gelaufen ist er in diesem Rahmen nach Angaben der EWN nur gut 20 Betriebstage. Den sechsten Block habe man eigentlich nur gebaut, um ihn anschließend zum Museum zu machen, erzählt der Besucherführer halb im Scherz.

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Im Informationszentrum gibt's einen einstündigen Vortrag.

Vortrag vom Kernkraft-Befürworter

Die insgesamt knapp dreistündige Führung durch das Gebäude gliedert sich in einen einstündigen Vortrag und den anschließenden Rundgang. Der Vortrag über die Geschichte des Kraftwerks und vor allem über seinen Rückbau ist interessanter, als man zunächst befürchtet: Die Mitarbeiter der EWN sind ziemlich unverhohlen für Atomkraft und rücken nicht nur den Rückbau, sondern auch den vorherigen Betrieb des Kraftwerks in ein entsprechendes Licht.

Es auch einmal mit ausgewiesenen Atomkraft-Befürwortern zu tun zu haben, ist dabei durchaus lehrreich: Man lernt nicht nur die Argumente dieser Partei kennen, sondern kann auch beobachten, dass die Atomkraft-Befürworter dieselben Fehler wie ihre Gegner machen. Argumente, die sie nicht widerlegen können, blenden sie einfach aus, genauso, wie das Risiko der Atomtechnologie von diesem Personenkreis nicht dramatisiert, sondern eher verharmlost wird.

Dem hier schreibenden Voll-Laien erscheinen Inhalt und Darbietung des Vortrags aber durchaus sachlich und die Erkenntnis, dass die Wahrheit irgendwo in der Mitte liegt, sollte jedem denkenden Menschen schon vorher bekannt gewesen sein. Was der EWN-Mitarbeiter ebenfalls immer wieder betont: „Ob Sie dieses Risiko eingehen, ob Sie für Kernenergie sind, müssen Sie selbst entscheiden.“ Außerdem bestand große Bereitschaft, alle Fragen der Besucher umfassend zu beantworten.

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Kilometer von Rohren, tausende Armaturen: Die Menge der verbauten Technik ist enorm.

Rundgang: Begeisterung für die Technik

Der Rundgang durch den Reaktor widmet sich dann stärker der technischen Komponente der Atomkraft. Hier ist es von Vorteil, mit einem Atomkraft-Befürworter unterwegs zu sein, dessen persönliche Begeisterung für die Technik sich auf die Qualität der Erklärungen überträgt. Bedrückend sind dessen Antworten auf Nachfragen, was im Falle eines GAU passiert wäre: Bei den Blöcken 1 bis 4 wäre der unkontrollierbar gewesen, das heißt, die radioaktiv strahlende Masse hätte entweichen können. Bei den Blöcken 5 und 6 hätte zumindest die Möglichkeit bestanden, dass Sicherheits-Vorkerhungen das verhindert hätten. Allerdings hätte der GAU auch hier geheißen: „Wir hätten den Block zumachen müssen. Vielleicht ein bisschen Beton drüber und das wär’s dann gewesen.“ Aufräumen können hätte man nach einem GAU nicht. Das ist in westlichen AKWs aber nicht unbedingt anders.

Zu den größten Überraschungen gehörte, die geringe Größe des eigentlichen Druckbehälters mit dem Reaktor – sein Durchmesser beträgt nur wenige Meter. Das „Drumherum“ hat allerdings enorme Ausmaße. Außerdem überraschend war die verbaute West-Technik, gehörten doch Siemens und Krauss-Maffei zu den Lieferanten der technischen Komponenten.

Bei schönem Wetter und kleiner Besuchergruppe folgt nach dem Rundgang durch den Reaktor noch ein Besuch im alten Kontrollzentrum und eine Besteigung des Gebäudedaches, die dem Autor des Textes am Tag des Besuchs leider verwehrt blieben.

Wer Interesse an der Führung durch Block 6 des alten Kernkraftwerks hat, muss sich mit der EWN in Verbindung setzen und sich anmelden. Informationen dazu hält die Homepage des Unternehmens bereit.

Weitere Fotos:

Fotos: Hafenpanorama user „Harald“ via Wikimedia (GNU-Lizenz), restliche: Gabriel Kords