Im Rahmen unserer Serie „Greifswalder rund um den Globus“ erscheinen in loser Abfolge Berichte von Kommilitonen, die Teile ihres Studiums im Ausland verbracht haben. Dieses Mal berichtet Gerardo Petrino über sein Pflegepraktikum an einem rumänischen Krankenhaus.

Im zusammenwachsenden Europa und in einer globalisierten Welt ist ein beruflicher Austausch über die Grenzen hinweg notwendig. So war es für mich im vorklinischen Medizinstudium im Rahmen der zu absolvierenden Pflegepraktika sehr interessant, die pflegerische Betreuung kranker Menschen in einem anderen Land mit den Umständen in Deutschland zu vergleichen. Als Greifswalder Medizinstudent absolvierte ich in der Vorklinik nach einer Vermittlung durch den Malteser-Auslandsdienst ein dreißigtägiges Pflegepraktikum im „Spitalul Judetean de Urgenta Alba“, dem Bezirkskrankenhaus in Alba Iulia, einer 70.000 Einwohner großen Stadt in Transilvanien.

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Das "Spitalul Judetean de Urgenta Alba" in Alba Iulia, Rumänien

Mein Ansprechpartner beim Malteser-Auslandsdienst und ein Kommilitone der Universität Münster, der ebenfalls ein Praktikum im selben Hospital machen sollte, vermittelten auch bei Flug und Unterkunft, sodass schon im Vorfeld alles wesentliche organisiert war. Inzwischen muss man sich ja auch nicht weiter um Visum und anderweitige Formulare kümmern, da beide Länder zur EU gehören. Einen Hin- und Rückflug gab es günstig bei der ungarischen Billigflug-Gesellschaft „Wizzair“ und eine Unterkunft konnte ich nach Vermittlung privat anmieten.

Als ich aufbrach, fragte ich mich, inwieweit ich mit meinen Englisch-Kenntnissen weiter kommen würde. Leider hatte ich keine Zeit gefunden, mein Rumänisch vorzubereiten. Und welche Überraschung: Nicht nur, dass viele Leute Englisch sprachen – so auch ein großer Teil des Klinikspersonals und die meisten jungen Menschen in der Stadt – nein, so mancher Rumäne war sogar schon mal in Deutschland und kann die Sprache von dort oder hat sie in Intensivkursen gelernt.

Rumänien: Affinität zu Deutschen und Italienern

Vor dem zweiten Weltkrieg gab es in Rumänien viele so genannte „Rumänendeutsche“, vornehmlich Sachsen, die in Transilvanien lebten. Zwar sind in den Nachkriegsjahren viele Rumänendeutsche nach Deutschland zurück gegangen, aber es sind so manche kulturelle Eindrücke bei den Rumänen geblieben. Der Teil Rumäniens, in dem ich war, der von den Sachsen „Siebenbürgen“ genannt wurde, und eigentlich Transylvanien heißt, ist im Vergleich zum weniger strukturierten Süden und Osten wirtschaftlich dominierend – nicht zuletzt aufgrund der „fleißigen Sachsen“, wie die Rumänendeutsche vor Ort genannt werden. So ist es also kein Wunder, dass deutsche Kultur immer noch präsent ist und gelobt wird.

Auch meine Italienisch-Kenntnisse haben mir geholfen. Nicht nur, dass das Italienische und das Rumänische sprachlich sehr verwandt sind, da sie gemeinsam aus dem Lateinischen entspringen und sich viele Wörter entsprechen. Die Rumänen haben einen engen Kontakt und einen regen Austausch mit Italien: Man geht gerne nach Italien um dort zu arbeiten. Gleichzeitig gibt es in Rumänien auch einige italienische Kleinunternehmer, die im Zuge der wachsenden Strukturierung durch die Europäische Union geschäftliche Perspektiven sehen.

Im Ganzen sind die Rumänen in ihrer Wesensart sehr südländisch, sprechen und scherzen viel miteinander und beziehen jeden Fremden neugierig und aufgeschlossen mit ein. Anders als Italiener oder Spanier sind sie aber weniger aufbrausend und eher ruhigen Gemüts. Die Rumänen bedauern ein wenig, dass man in Italien häufig Probleme mit rumänischen Sinti und Roma hat, was das Verhältnis zwischen den Nationen belastet.

Unterschiede: Weniger „Wegwerfprodukte“

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Notaufnahme in tristem Grau-in-Grau

Nun zur medizinischen Seite. Was waren die beruflichen Erfahrungen? Welche Unterschiede fallen im Bezirks-Krankenhaus von Alba Iulia im Vergleich zu den Standards, die man in Kliniken in der Bundesrepublik gewohnt ist sofort ins Auge?

Das Krankenhaus ist mit mehr als 830 Betten ausgestattet und beschäftigt rund 200 Ärzte, 500 Pflegekräfte, 250 Hilfspflegekräfte und 150 Kräfte für Haustechnik und Hilfsarbeiten. Vor allem an den „Wegwerfprodukten“, die in Deutschland massenweise täglich verbraucht werden, spart man. So werden alle Sorten von Einwegtüchern gemieden und stattdessen waschbare Tücher verwendet. So gibt es etwa im OP kaum Einwegkittel, sondern lediglich Stoffkittel, die nach Benutzung gewaschen werden. Verbandskompressen werden von den Schwestern aus großen einlagigen Kompressen-Materialien täglich per Hand in Größe der Verbandskompressen gefaltet. Auch dreiecksförmige Tupfer werden aus solchen Materialien massenweise gefaltet und anschließend sterilisiert.

In den Patientenräumen und auch sonst überall im Krankenhaus wird an Desinfektionsmittel gespart. Es wird nicht nach jeden Patientenkontakt desinfiziert, wie bei uns üblich, sondern lediglich an den Einstichstellen, wenn man Injektionen vornimmt. Verbandswechsel geht man aber natürlich mit sterilen Arbeitsschritten an. Auch Bei OPs werden alle hygienischen und sterilen Maßnahmen vorgenommen, wie man sie in der BRD kennt, lediglich mit vielen wiederverwertbaren Tüchern.

Handschuhe sieht man vor allem im OP, aber selten im Bereich der Patientenzimmer. Auch bei Blutabnahmen zieht man sich nicht immer Handschuhe an. Wenn man Flaschen mit Desinfektionsmitteln sieht, dann sind es oft ehemalige handelsübliche Seifenspender für Spülmittel oder Handwaschseife, die gereinigt, wiederverwendet und  regelmäßig mit Desinfektionsmitteln aufgefüllt werden. Einmachgläser, die ursprünglich Lebensmittel enthielten, dienen ebenfalls zur Aufbewahrung verschiedener Dinge. Verbrauchte Infusionsbeutel verwendet man als Drainagebeutel, die von den Schwestern im Patientenzimmern regelmäßig gewechselt werden.

Nicht überall wird improvisiert

Doch es herrscht nicht überall Improvisation. Für die OPs ist man selbst in den rustikal anmutenden Räumlichkeiten mit allen notwendigen modernen Instrumenten ausgerüstet. Das Operationsbesteck ist oft „Made in Germany“. Auch die Laboratorien sind mit allen modernen Analysegeräten ausgestattet, die durch das Gesundheitsministerium in Westeuropa eingekauft wurden. Die Notaufnahme stellt alle modernen Gerätschaften bereit, wie etwa automatische Blutdruckmessgeräte, Defibrillatoren und sogar eine Video-Verbindung des Notfallraumes mit umliegenden Universitätsstädten ist vorhanden. Manchmal kann es eben vorkommen, dass man während des Notfalls einen anderweitigen fachmännischen Rat braucht.

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Die Ausstattung in der Notaufnahme entspricht durchaus westeuropäischen Standards

Die Notaufnahme wurde erst vor wenigen Jahren aufgerüstet, nachdem man dafür auf internationale Kredite zurückgreifen konnte. Und nun funkelt und blinkt hier alles, wie es in Westeuropa meistens Standard ist. Auch zahlreiche Hilfsprojekte haben bei der besseren Ausstattung des Hospitals geholfen, etwa der Malteser-Auslandsdienst, der seit dem Umsturz der diktatorischen Regierung unter Ceausescu die Region mit Medikamenten und medizinischen Materialien unterstützt hat.

Der Klinik-Arzt ist trotz der vielen Improvisationen in seinem Umfeld ein professioneller und funktioneller Fachmann, wie er auch in der Bundesrepublik anzutreffen ist. Die hierarchischen Strukturen sind hier allerdings ausgeprägter und ein Arzt macht seine Arbeit,  sorgt sich aber nicht unbedingt um die sozialen Belange der Patienten; diese kommen sehr kurz. Aber das ist bei unter Zeitdruck stehenden deutschen Ärzten nicht unbedingt anders. Andererseits muss sich aber ein rumänischer Medizinstudent auch nicht mit der Medizinischen Psychologie und der Medizinischen Soziologie im Verlauf seiner Ausbildung befassen, wie ich mir von einem Medizinstudenten habe sagen lassen. Die Mediziner-Ausbildung ist in Rumänien sehr auf das Organische konzentriert.

Patienten haben keine Bezugsperson

Weiterhin ist, was die sozialen Umstände im Krankenhaus betrifft, ein rumänischer Patient gegenüber einem deutschen Patienten durch das Pflegepersonal ebenfalls benachteiligt. Das Pflegepersonal in Deutschland führt am Patienten Behandlungen durch, übernimmt dessen körperliche Pflege und sorgt mit der Essensausgabe für das leibliche Wohl. Überdies ist das Essen meist durch einen Catering-Service auf die Wünsche des Patienten abgestimmt. Ein deutscher Patient wird also von einem Team rundum versorgt und bekommt entsprechende soziale Betreuung von diesem einen Team.

Anders der rumänische Patient: Für die medizinischen Behandlungen wie Infusionen, Verbandswechsel, Blutabnahme und Medikamentenvergabe sorgt der „Assistent medical“. Dann ist aber Schluss und der Assistent kümmert sich zu einem großen Teil am Tag um reichlich Papierarbeit und Dokumentation und entzieht sich dadurch dem Patienten.

Die Körperpflege und Bettenpflege wird von „Infermieri“ besorgt, extra Personal, das überdies auch für die Hygiene der Räume zuständig ist, also für Müllentsorgung und allgemeine Reinigung der Station.

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Die Malteser haben die Rumänen mit vielen Projekten unterstützt.

Die Essensausgabe geschieht durch das Küchenpersonal. Es gibt täglich zwei verschiedene Gerichte, eines für Diabetiker und Cholesterin-diätisch. Diese zwei Gerichte wiederholen sich alle zwei Tage und werden in der hospitaleigenen Küche zubereitet und in großen Gefäßen auf die Station gebracht, wo sie portioniert und verteilt werden. Auf den Patienten kann sozial nicht eingegangen werden, da er ständig mit anderem Personal konfrontiert wird. Entsprechend zurückhaltend sind die meisten Patienten auch, wenn sich keine direkten Ansprechpartner ergeben.

Dafür sind die familiären Strukturen hier in Rumänien andere. Ist ein Patient stationär oder gar bettlägerig, ist meistens für viele, viele Stunden am Tag ein Familienangehöriger anwesend, schon ab dem frühen Morgen. Selbst, wenn es nichts zu sagen gibt oder die pflegerischen Umstände schwierig sind, ist man einfach da und sitzt mit einem Stuhl beim Kranken, schenkt ihm seine Gesellschaft. Das ist in Deutschland kein ganz fremder Anblick, kommt aber bei Weitem nicht so häufig vor wie in Rumänien.

Ärzte verstanden Sinn des Pflegepraktikums zunächst nicht

Eine wichtige Sache, die mich in meiner ersten Woche des Praktikums sehr beschäftigt hatte, war die Tatsache, dass Medizinstudenten ohne große Kenntnisse in die täglichen Aufgaben der „Medical Assistants“ mit einbezogen wurden. Praktikanten durften ohne Bedenken seitens des Krankenhauspersonals die Applikationen und Blutentnahmen erlernen. Jede Injektion ist rein rechtlich eine Körperverletzung, die nur bei Einverständnis des Patienten vorgenommen werden kann, und solche Tätigkeiten werden im deutschen Medizinstudium erst mit der Famulatur erlernt. Ich sträubte mich hier und da, ohne eine fundierte theoretische Einführung in die Techniken eine Applikation oder Blutabnahme durchzuführen, was man nicht verstand. Diese Unterschiede traten vermutlich vor allem auf, weil man während eines Medizinstudiums in Rumänien  keine Pflegepraktika ausüben muss. Ein rumänischer Medizinstudent gilt, wenn er seine Praktika im Krankenhaus absolviert, im Grunde gleich als Famulus. Vollkommenes Unverständnis hatte ich, als ich an einem Tag in der Notaufnahme dazu angehalten wurde, eine zehn Zentimeter klaffende Wunde zu nähen, ohne nach meinen Erfahrungen und Kenntnissen in diesem Bereich gefragt zu werden. Ich hatte mich vorher nicht einmal gedanklich damit auseinandergesetzt und nun lud man mich wiederholt dazu ein, die Wunde zu nähen, notfalls unter Führung meiner Hand. Das ging nun gar nicht! Schließlich handelte es sich um ein Pflegepraktikum und ich musste darauf hinweisen, dass die deutsche Ausbildung für Mediziner gänzlich anders gestaltet ist als die rumänische.

Man hatte anfangs kein Verständnis dafür, dass ich als Medizinstudent pflegerische Tätigkeiten ausüben wollte. Und so schaute man mich erst mit großen Augen an, akzeptierte dann aber die anderweitigen deutschen Umstände für Medizinstudenten. Alsbald verstand man den Sinn eines solchen Praktikums dann auch und schätzte es, dass ein solches Pflegepraktikum der Sensibilisierung eines angehenden Mediziners für die Bedürfnisse eines Patienten dient.

Um der Ausübung pflegerischer Tätigkeiten wegen musste ich dann auch genauer nachfragen, da das Landesprüfungsamt Mecklenburg-Vorpommern für die Bescheinigung des Pflegepraktikums im Ausland einen kleinen Tätigkeitsbericht von der Schwesternleitung verlangt. Diese Regelung bezüglich der Bescheinigung ist nicht in allen Bundesländern gleich und jeder Pflegepraktikant sollte sich eingehend informieren!

Fotos: Gerardo Petrino

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