Die NPD legt in den Kommunalwahlen in M-V zu – und die Wissenschaft ist überfordert, der Journalismus manchmal auch.
Wenn man die Broschüre des Statistik-Amts zur jüngsten Kommunalwahl in Mecklenburg-Vorpommern von hinten aufschlägt, schaut man auf ein Land, dessen braune Flächen sich gegenüber der letzten Kommunalwahl 2004 umgekehrt haben: War die NPD 2004 lediglich in drei Kreisen und einer Stadt mit Kandidaten angetreten, so schaffte sie es dieses Mal bis auf drei Kreise und zwei Städte in allen anderen anzutreten. Mecklenburg-Vorpommern nach der Kommunalwahl 2009 ist braun. In Greifswald stellte die NPD keine Kandidaten auf, dafür aber im umliegenden Landkreis Ostvorpommern gleich neun. Insgesamt 75 Kandidaten der rechtsextremen Partei traten dieses Jahr landesweit zu den Kommunalwahlen an.
Das Kommunalwahlrecht kennt keine Fünf-Prozent-Hürde und begünstigt damit die kleineren Parteien, die auch mit wenig Stimmen einen Abgeordnetensitz erringen können. Ist zusätzlich die Wahlbeteiligung gering, steigen die Chancen nochmals. Und es dürfen auch schon 16-Jährige wählen. Gerade Jugendliche sind eine bevorzugte Zielgruppe der NPD.
Mit einem Gesamtstimmenanteil von 3,2 Prozent landesweit kann die NPD ab sofort 26 Parlamentarier in 13 Kreistage und Stadtparlamente entsenden, dazu kommen weitere Abgeordnete in Gemeindevertretungen. Gegenüber der Kommunalwahl von 2004 legte sie um 2,4 Prozentpunkte zu. In Ostvorpommern und Ludwigslust sitzen seit 2004 NPD-Abgeordnete im Kreistag, in beiden Kreisen konnte die Partei Prozentpunkte zulegen. Im Kreis Müritz und in Stralsund, wo sie ebenfalls seit 2004 in Parlamenten vertreten ist, verlor sie leicht.
So zieht beispielsweise Marianne Pastörs, Frau des NPD-Fraktionsvorsitzenden Udo Pastörs, gemeinsam mit dessen Wahlkreismitarbeiter Andreas Theißen in den Gemeinderat Lübtheen ein. In elf weiteren Gemeinden hat die NPD wohl Mandate erzielt; sie selbst präsentiert auf ihrer Homepage stolz 35 Abgeordnete in Gemeindevertretungen.
Zwischen Schock und Beschwichtigung
Nun sind angesichts dieser Zahlen alle möglichen Reaktionen denkbar, die von Erschrecken über Beschwichtigung bis zu Freude auf Seiten der NPD reichen. Die Amadeu-Antonio-Stiftung äußert sich gegenüber endstation-rechts.de „schockiert“ über die Wahlergebnisse. Die Leiterin des M-V-Landesbüros, Anne-Rose Wergin, analysiert, „dass sich gerade in den Hochburgen der rechtsextremen Szene die Zahl der NPD-Wähler gesteigert hat.“ Die grenznahe Region Uecker-Randow habe beispielsweise mit Abstand die erschreckendsten Wahlergebnisse, so Wergin, die Strategie der „national befreiten Zonen“ sei hier aufgegangen. Dem widerspricht Landeswahlleiter Klaus Hüttebräuker auf endstation-rechts.de. „Sowohl prozentual als auch absolut ist der Rückhalt der NPD in der Bevölkerung gegenüber den Landtagswahlen 2006 deutlich gesunken“, so Hüttebräuker. Das sei vor allem vor dem Hintergrund bemerkenswert, dass die Wahlbeteiligung bei der Kommunalwahl deutlich unter der der Landtagswahl 2006 gelegen habe – was von Wahlforschern eigentlich als Vorteil für die NPD gewertet worden sei. Es bleibt aber fraglich, inwieweit man Kommunal- und Landtagswahlen vergleichen und daraus solche Schlüsse ziehen kann, sowohl die Themen als auch die Kandidaten sind unterschiedlich.
Nun sind Rechtsextremismus und ihm nahe stehende Parteien beileibe kein neues Phänomen in der Bundesrepublik, sie sind seit Gründung der Bundesrepublik mal mehr, mal weniger präsent. Diese Strömungen fallen aus dem Mainstream der politischen Bewegungen dadurch heraus, dass sie die moderne Demokratie mit ihren Freiheits- und Gleichheitsvorstellungen grundsätzlich ablehnen und – wie im Fall der NPD – auch abschaffen wollen. Die Frage, wie „demokratisch“ die Demokratie mit ihren eigenen Feinden umgehen darf, ist in diesem Zusammenhang eine spannende Frage.
Wissenschaftliches Getöse
Die Politische Wissenschaft spielt jedenfalls beim Thema Rechtsextremismus keine sonderlich rühmliche Rolle. Es gibt zwar seit Jahr und Tag eine umfangreiche Forschung zum Thema und es ist auch einigermaßen klar, was der Gegenstand der Forschung ist, aber auf eine gemeinsame Definition des Phänomens Rechtsextremismus konnte man sich bisher nicht einigen. Es werden allerhand sozialwissenschaftliche Methoden bemüht, um Erklärungen zu liefern. Die Frage, welche Faktoren denn nun ausschlaggebend und welche vernachlässigbar seien, füllt Bücher. Und es wird gerne mal aus Berichten des Verfassungsschutzes zitiert, ohne dessen spezifischen Auftrag und Blickwinkel auf das Phänomen zu berücksichtigen.
Auch das Greifswalder Institut für Politik- und Kommunikationswissenschaft publiziert seit 2006 unter der Ägide des Politikprofessors Hubertus Buchstein in unregelmäßigen Abständen Literatur zum Thema. Der Professor für Politische Theorie begleitet eine Forschungsstelle Rechtsextremismus. Im Vorfeld der Landtagswahl 2006 erschien ein 200-Seiten-Werk über die Arbeit der NPD in den kommunalen Parlamenten, in dem mit allerhand methodischen Aufwand versucht wird, die Arbeit der Nationalen nachzuzeichnen. Wohl erstmals in der kommunalen Perspektive, wie die Autoren betonen.
Buchstein selber fiel im Vorfeld der Landtagswahl 2006 durch einige abstruse Medienäußerungen auf. Gegenüber dem NDR erklärte er, dass „die NPD in Mecklenburg-Vorpommern keine Kernwählerschaft hat.“ Zudem seien die Menschen so politikverdrossen, dass sie nicht einmal die NPD wählten. Gegenüber der taz wollte er später dann aber „keine Kiste Bier mehr darauf verwetten, dass die NPD nicht ins Landesparlament kommt.“ Im gleichen Interview meinte er, bezogen auf den Wahlkampfaufwand der NPD, es sei schon „grandios, was die hier alles auf die Reihe kriegen.“ Nach dem Einzug der Nationaldemokraten in das Schweriner Schloss bezeichnete er NPD-Wähler gegenüber dem Focus als eine „Schicht von Modernisierungsverlierern mit der völlig falschen Erwartung, dass die Politik ihnen schnelle Lösungen ihrer Probleme serviert.“ Ob diese Art Medienäußerungen eines Vertreters der politischen Wissenschaft förderlich ist, bleibt trotz aller anderen Bemühungen Buchsteins doch fraglich.
Der Journalismus ist oft unvorbereitet
Auch Journalisten tun sich schwer mit den Rechtsextremen – und das nicht erst seit deren Einzug in den Dresdner Landtag im September 2004 oder in den Schweriner Landtag im September 2006. Selbst vermeintlich gestandene Fernsehmoderatoren gerieten ins Schlingern und mussten erkennen, dass NPD-Parlamentarier anders gestrickt sind als deren Pendants bei den etablierten Parteien. Einzig dem ehemaligen Bild-Chefredakteur Claus Strunz gelang es gemeinsam mit Peter Glotz in seiner Talkshow, den NPD-Funktionär Udo Voigt zu entlarven, indem er ihn ausreden ließ und beharrlich nachfragte.
Handfestere Erfahrungen machte beispielsweise die freie Fernsehjournalistin Andrea Röpke bei ihren Recherchen über die inzwischen verbotene „Heimattreue Deutsche Jugend“. Sie wurde schon mal mit dem Auto bedrängt oder ihrem Kameramann wurde die Kamera von der Schulter gerissen. Erst kürzlich geriet die NPD in die Schlagzeilen, als sie bei ihrem Bundesparteitag Anfang April im Rathaus Berlin-Reinickendorf von Journalisten Namen und Privatadresse verlangte, ansonsten erhielten diese keinen Zugang zu der Veranstaltung.
Berichte über die rechtsextreme Szene verlangen Journalisten also einiges ab, oftmals verweigern, minimieren oder pauschalisieren Redaktionen die Berichterstattung über die NPD. Manchmal mit dem Hinweis, man wolle nicht auch noch Propaganda für deren Politik machen. Die Greifswalder Lokalausgabe der OZ war sich allerdings im Nachgang des Arndt-Beschlusses der Vollversammlung nicht zu schade, den Leserbrief eines vermutlich ehemaligen NPD-Funktionärs abzudrucken.
Ein bemerkenswertes Buch mit vielen O-Tönen
Umso erstaunlicher ist in diesem Zusammenhang das jüngste Buch der beiden Journalisten Christoph Ruf und Olaf Sundermeyer. Beide sind studierte Redakteure – Ruf bei Spiegel Online, Sundermeyer Mitarbeiter der FAZ – und beide sind seit Jahren auf Recherche in der rechtsextremen Szene. Sie legen mit ihrem Buch „In der NPD – Reisen in die national befreite Zone“ eine gelungene Innenansicht der aufstrebenden Partei vor. Und beherrschen dabei ihr Journalistenhandwerk gut, nähern sich dem Milieu „ohne Berührungsängste, aber auch ohne jede Form der Kumpanei“, wie sie schreiben. Was sicher nicht immer ganz einfach ist.
Was sie zutage fördern, ist eine diffuse Parallelgesellschaft. Das Buch wirkt etwas unstrukturiert, was weniger an den Autoren als vielmehr an der heterogenen rechten Szene selbst liegt. Wo es passend erschien, wählten die Autoren verschiedene Stilformen, mal Bericht, mal Interview, mal Reportage. Sie erreichen eine hohe Authentizität und Dichte durch viele O-Töne der Befragten.
Ruf und Sundermeyer analysieren die notorische Finanznot der Partei, besuchen den Klamottendesigner von „Thor Steinar“ und interviewen Jürgen Gansel, Chefideologe der NPD und Erfinder des Begriffs „Dresdner Bombenholocaust“. Sie porträtieren den einflussreichen, sächsischen NPD-Funktionär Holger Apfel und reden mit den Chefs der Jungen Nationaldemokraten in der sächsischen Provinz. Und sie mischen sich auch auf dem Rechtsrock-Konzert irgendwo in Thüringen in das Milieu und tingeln mit dem NPD-Landratskandidaten Andreas Storr durch sächsische Dörfer.
Der diffuse Befund darf aber keinesfalls darüber hinwegtäuschen, dass die NPD-Kader und Sympathisanten fest entschlossen sind, die bestehende Gesellschaftsordnung nach ihren Vorstellungen umzukrempeln. Es fehlt oft nur an Mitgliedern und Sympathisanten. Als Ergänzung zu der gelegentlich etwas trockenen Forschungsliteratur ist das Buch auf jeden Fall zu empfehlen, liefert es doch einen guten Einblick in die Gefühlslage der NPD und ihrer Mitglieder. Und auch die aktuellen Entwicklungen in der rechten Szene, beispielsweise das Überlaufen des hohen NPD-Funktionärs Andreas Molau zur DVU, werden durch das Buch erhellt.
Das Buch „In der NPD – Reisen in die national befreite Zone“ von Christop Ruf und Olaf Sundermeyer ist im C.H. Beck Verlag München erschienen und kostet 12,50 Euro.
- Forschungsstelle Rechtsextremismus am Institut für Politik und Kommunikationswissenschaft
- endstation-rechts.de
- „Europas Radikale Rechte und der Zweite Weltkrieg“ – Tagung im Krupp-Kolleg vom 8. bis 10. Juli
- Buchvorstellung „In der NPD – Reisen in die national befreite Zone“ mit Autor Olaf Sundermeyer und Prof. Hubertus Buchstein im Koeppenhaus am 15. Juli, 20 Uhr
Bildnachweise:
Grafik: Broschüre des Landesamts für Statistik, Landeswahlleiter M-V zur Kommunalwahl 2009; Buchstein: Ulrich Kötter/moritz-Archiv; Cover: (C) C. H. Beck Verlag München, Artikel-Titel: Tobias Mittmann via jugendfotos.de
Weil du die gesamte Entwicklung nach 1917 scheinbar verschlafen hast. Wertkritische Betrachtungen sind z.B. keine Neuerfindung des Postmarxismus sondern finden sich bereits in anarchistischen Schriften der 20er Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Auch deine Aussage, dass der Begriff der Ware keine Bedeutung hat, ist blanke lenistische Ideologie und entbehrt jeder Grundlage.
Die Spaltung in Anarchisten und Marxisten geschah sicher in der Zeit der ersten Internationale und hatte auch was mit Rolle des Staates gerade in dem von dir zitierten Manifest zu tun, fundamentiert wurde sie aber erst durch Lenin und auf der Gegenseite darauf hin von Rudolf Rocker.
Kurz zur 2. Anmerkung: Ich würde das mal einen klassischen innerlinken Machtkampf bezeichnen. Relativiert das vielleicht die Russische Revolution und ihre Errungenschaften? Letztlich wurde die Ukraine von den Weißen befreit und Sowjetrepublik. (Kurze, knackige Überblicksdarstellung findet sich hier: http://www.heise.de/tp/r4/artikel/29/29735/1.html )
Die politischen Konflikte zwischen Narodniki/AnarchistInnen auf der einen und den MarxistInnen auf der anderen Seite gab es schon vor 1917, aber sie sind nach 1917 entsprechend aufgebrochen, was eben mit ganz unterschiedlichen Anschauungen bzgl. Aktionsformen, Übergang zum Sozialismus und Klassenstandpunkt zu tun hat(te). Die einen wollten (wie übrigens auch Machno) zurück zur romantischen Dorfgemeinschaft und zur Subsistenzwirtschaft, die MarxistInnen hingegen die notwendige Industrialisierung durchführen, um den gesellschaftlichen Fortschritt zu mehren. Das eine war quasi ein Schritt zurück, das andere ein Schritt nach vorne – da ist es schwer, eine gemeinsame Grundlage zu finden. Daß Lenin aber stets im Gespräch mit den AnarchistInnen und SozialrevolutionärInnen blieb (siehe seine intensiven Gespräche mit Machno), zeigt ja, daß er diese nicht primär als GegnerInnen sah, sondern eher als verirrte GenossInnen, die unbewußt der Konterrevolution in die Hände spielten. – Aber solch eine Diskussion läßt sich sicher andernorts besser führen als hier in der webmoritz-Kommentarspalte.
Zur ersten Anmerkung: Der frühe Marx hing noch einer idealistischen Weltanschauung (Junghegelianer, Anhänger Feuerbachs) an. Das änderte sich 1843/44 mit dem Studium politischer Ökonomie und der Aneignung materialistischen Denkens. – Soweit also zum frühen/jungen Marx.
"Das Elend der Philosophie" und die Auseinandersetzung mit dem utopischen Frühsozialismus erfolgte hingegen erst 1847. 1846 hatten Marx und Engels Kommunistische Korrespondenzkomitees gegründet, 1848 erfolgte für den Bund der Kommunisten das "Kommunistische Manifest" als Programm. Alle übrigen Werke bauen auf den 3 Grundsäulen des "Manifests" auf, die da zusammengefaßt lauten: Historisch-dialektischer Materialismus.
Sowohl des "Manifest" als auch die Kritik der Politischen Ökonomie (1859) sind heute weiterhin aktuell. In ersterem wird die Geschichte der Klassengesellschaft und die Standpunkte der MarxistInnen dargelegt – im anderen werden die Grundlagen der Politischen Ökonomie des Kapitalismus herausgearbeitet, die Marx dann im Kapital Band I aufgreift und weiterführt. Beides gehört zusammen. Eine ökonomische Analyse ohne Klassenanalyse wäre aus marxistischer Sicht absurd – und derartiges hat Marx auch nie betrieben. Deswegen befindet sich die "Kritische Theorie" (Frankfurter Schule) auch tendenziell auf einem Holzweg, wenn sie von der Rolle der Klassen in der Geschichte nichts mehr wissen will. Die Frankfurter Schule kann vielleicht auch als idealistischer Bruch mit der materialistischen Weltanschauung betrachtet werden, wo einzelne Fragmente der Marx'schen Theorie eklektisch herausgeklaubt wurden. Der Blick jedenfalls hat sich in der Frankfurter Schule (nach den Erfahrungen des NS-Systems) weg vom Proletariat hin zum Subjektivismus verschoben.
Ein ganz interessanter Text dazu findet sich hier: http://theoriepraxislokal.org/rev+s/brakem.php
Er zeigt, daß die Protagonisten der Frankfurter Schule insgeheim doch immer noch eine gewisse Verbundenheit mit dem Proletariat verspürten – was jedoch an ihren Publikationen und Praxen nicht wirklich ersichtlich ist.
Was sind denn die Errungenschaften? Dass mensch sich heute entschuldigen muss, bevor das Wort Kommunis gebraucht werden darf, dass es vorher definiert werden muss? Dass zig tausend unschuldige Menschen sinnlos niedergemetzelt wurden, weil sie sie den Kniefall vor der bolschewistischen Partei verweigert haben? Dass der Weg, der einen Stalin erst möglich gemacht hat, mit Gewehren frei geschossen wurde?
Sozialismus ist nichts ohne die Zielsetzung einer freien Gesellschaft, bei Marx ging es um eine Übergangszeit des absterbenden Staates, bei Lenin ging es um die Installation eines starken Staates, der alles überwacht, Andersdenkende tötet oder in den Gulag verschleppt.
Der berühmte Spruch Rosa Luxemburgs "Freiheit ist immer die Freiheit des Andersdenkenden" war an Lenin gerichtet, weil eben nicht nur AnarchistInnen das sinnlose Morden und die ganzen Verwerfungen des lenistischen Systems kritisiert haben, sondern auch KommunistInnen und MarxistInnen. Lenins Diktatur der Partei hat vor niemandem und nichts halt gemacht. Sorry aber da gibt es keine Gemeinsamkeiten. Die orthodoxen leninistischen Pseudomarxisten haben bis heute nichts aus der Geschichte gelernt, was spätestens deutlich wird, schaut mensch sich Websammlungen von MLDP, DKP oder Stalinwerke an.
Oh bitte verschone mich mit solch billiger Partei-Polemik. Deine Geschichte der Klassengesellschaft ist auf dem Stand von 1848. Zeige mir die Klasse, von der du meinst, dass sie ein revolutionäres Potential hat. Es gab sie nie und es wird sie auch nie geben, weil sich dies nicht an Klassen festmachen lässt, weil es gerade kein homogenes Klassenbewußtsein gibt. Spätestens mit der Einführung von Aktiengesellschaften wurden die Grenzen des Proletariats verschoben, so hast du in den USA beispielsweise Renten-und Pensionsfonds, die nicht minderheitsbezogen sind und unterm Strich nichts anderes sind als die Vergesellschaftungen. Sorry die alten Definitionen taugen nicht mehr für die heutige Zeit, mit den hochspezialisierten und individualisierten Produktionsabläufen. Es bringt nichts, sich ein Feindbild zu suchen und dann Andere dagegen aufzuhetzen, das führt nur wieder in leninistische Sackgassen. Es mag Übereinstimmungen bzgl. Zielvorstellung einer freien Gesellschaft geben, der Weg dahin ist offenbar 2009 genauso unterschiedlich wie 1917.
Wenn Du in der Einganspassage des "Manifest" schaust, wirst Du sehen, daß sich auch 1848 die Leute schon entschuldigen sollten, daß sie KommunistInnen sind, daß auch damals schon unzähliger Nonsense über den Marxismus verbreitet wurde: "Ein Gespenst geht um in Europa – das Gespenst des Kommunismus. Alle Mächte des alten Europa haben sich zu einer heiligen Hetzjagd gegen dies Gespenst verbündet, der Papst und der Zar, Metternich und Guizot, französische Radikale und deutsche Polizisten."
Klar, ohne russische Revolution und ohne Marxismus hätte es wahrscheinlich auch keinen Politiker Stalin gegeben. Aber was willst Du damit sagen?? Ohne Feuerbach und Hegel hätte es wohl auch die sozialistischen Autoren Marx und Engels nicht gegeben. Wäre in Jerusalem nicht ein religiöser Führer von den Römern hingerichtet worden, gäbe es heute wohl keinen deutschen Papst … – Eine willkürliche Aneinanderkettung von Kausalitäten, die nicht wirklich viel aussagt.
Der berühmte Luxemburg-Satz, den Du übrigens sehr verkürzt widergibst, wurde von Rosa Luxemburg im Herbst 1918 geschrieben (in "Die russische Revolution"), wo Luxemburg eine harsche Kritik an den Menschewiki und deutschen SozialdemokratInnen, aber auch am deutschen Proletariat übt, die die russische Revolution (bis dahin) im Stich gelassen hatten. Sie lobt darin explizit die Prinzipienfestigkeit und Tapferkeit der russischen Bolschewiki, die die Ehre des internationalen Proletariats wieder aufgerichtet haben, nachdem die 2. Internationale im August 1914 derart versagt hatte (Schulterschluß mit den nationalen Bourgeoisien). Luxemburg übt dreifach Kritik an den Bolschewiki: 1. Kritik an der Lösung der Bodenfrage (also Kritik an der Aufteilung von Grund und Boden), 2. Kritik am Recht auf nationale Selbstbestimmung, 3. Kritik an einem (aus ihrer Sicht) falschen theoretischen Verständnis der Bolschewiki zur Demokratie (aus ihrer Sicht müssen Massen mehr Raum erhalten, selber politische Erfahrungen zu sammeln). Es ging bei ihrer Kritik also nicht etwa um "das sinnlose Morden", wie Du suggerierst, sondern um eine theoretische Auseinandersetzung um die Frage, ob die Massen in einer Revolution erst selber Erfahrungen sammeln müssen, um für ein aktives Eintreten für Revolution und Sozialismus gewonnen zu werden.
Siehe auch: http://www.rosalux.de/cms/fileadmin/rls_uploads/d…
Was Du als "Lenins Diktatur" bezeichnest, war demokratischer Zentralismus einer sozialistischen Partei, deren ZK in konkreten Einzelfragen damals oftmals sehr heterogene Ansichten vertrat. Wenn Du Dir z.B. die wirklich entscheidende Frage anschaust, ob der Diktatfrieden von Brest-Litowsk angenommen werden sollte, gab es sage und schreibe 3 Abstimmungen im ZK, weil die Positionen dort weit auseinandergingen und in zwei Abstimmungen keine klare Mehrheit für eine der Alternativen zustandekam. Letztlich haben sich Lenin und Trotzky mit ihrer Position der Annahme des Diktatfriedens durchgesetzt, weil sie davon ausgingen, daß das Deutsche Reich in spätestens einem Jahr kapitulieren würde – was ja auch eintrat.
Warum MLPD oder DKP "Pseudomarxisten" sein sollen, solltest Du auch konkret darlegen. Einfach nur bestimmte Gruppen zu diffamieren, ersetzt keine Argumente.
Ich habe auch kein Interesse an billiger Polemik.
"Die Geschichte aller bisherigen Gesellschaft ist die Geschichte von Klassenkämpfen." ("Kommunistisches Manifest). Seit dem Ende der gentilen Gesellschaft, also mit der Herausbildung der gesellschaftlichen Arbeit (und einhergehend der Ware) entsteht die Klassengesellschaft. Zuerst eine Sklavenhaltergesellschaft, dann Feudalismus, das Emporkommen der Bourgeosie, letztlich die Klassenherrschaft des Proletariats (und damit die Aufhebung des privaten Besitzes der Produktionsmittel). Das hat konkret mit der Sprengkraft der Produktivkräfte zu tun, die gesellschaftliche Verhältnisse, die ihre Stufe der Produktivität zu sehr einzwängen, aufsprengen. Es lohnt sich, Engels Werk "Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats" zu lesen.
Und wie sieht es 2009 aus? – Wir leben in einer kapitalistischen Gesellschaft, wo ein Teil der Bevölkerung (nämlich die Bourgeoisie) die Produktionsmittel besitzt, das Gros der Bevölkerung aber nur ihre Ware Arbeitskraft hat, die sie auf dem Markt verkaufen muß. JedeR UnternehmerIn ist (aufgrund der Konkurrenz und der Gefahr ihres eigenen Untergangs) gezwungen, Profit zu erzielen. Die einzige Ware, die Mehrwert schaffen kann, ist und bleibt die menschliche Arbeitskraft; also wird diese ausgebeutet und der Mehrwert fließt an den/die UnternehmerIn; dieser Profit kann (und muß) entsprechend als Kapital wieder produktiv angelegt werden. – Die Produktivkräfte entwickeln sich dabei im Laufe der Zeit enorm weiter.
Diejenigen, die nur ihre Arbeitskraft verkaufen können, werden von Marx als Proletariat bezeichnet. Sie allein schaffen durch ihre Arbeit den gesellschaftlichen Reichtum, der allerdings von den UnternehmerInnen privatisiert wird. Das ist ein antagonistischer (also nicht aufhebbarer) Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit. Und deswegen ist das Proletariat die einzige Klasse, die a) ein Interesse, b) die Möglichkeit und c) die Kraft hat, die bürgerliche Klassenherrschaft zu stürzen und die Produktionsmittel zu sozialisieren.
Marx ohne Klassenanalyse wird es nicht geben. Das ist wie ein Fahrrad ohne Räder – zwar nett anzuschauen, aber ziemlich nutz- und sinnlos.
Hier hast du eine längere Form, damit wird dies vielleicht deutlicher:
"Freiheit nur für die Anhänger der Regierung, nur für die Mitglieder einer Partei – mögen sie noch so zahlreich sein – ist keine Freiheit. Freiheit ist immer Freiheit des Andersdenkenden."
und ja der Spruch war eine klare Absage an die Diktatur der Partei der Bolschewiki. Es ging also in keiner Weise um das Sammeln von Erfahrung.
Demokratischer Zentralismus ist eine Diktatur:
* Weisungsbefugnis von oben nach unten
* Rechenschaftslegung von unten nach oben
(siehe politisches Wörterbuch der DDR)
Tja, wer sich Potemkin'sche Dörfer aufbaut, kann diese natürlich auch leicht einreißen. 🙂
Ich extrahiere mal aus Wikipedia, das wohl nicht im Verdacht steht, eine irgendwie marxistisch beeinflußte Seite zu sein:
"Das Prinzip des „Demokratischen Zentralismus“ wurde von Lenin in seinem Buch „Was tun?“ (1901/1902) entwickelt, in dem er sich an der SPD in Deutschland orientierte. Lenin forderte in diesem Buch
1. einerseits eine Zentralisierung des Parteiapparats, das heißt, jede niedrigere Instanz der Partei sollte der höheren untergeordnet sein (die höhere Instanz ist gegenüber der niedrigeren weisungsberechtigt),
2. andererseits die Rechenschaftspflicht aller Leitungen gegenüber ihren Wählern und die Absetzbarkeit von Leitungen durch ihre Wähler,
3. eine strenge Parteidisziplin, also auf allen Ebenen die Unterordnung der Minderheit unter die Mehrheit.
Der leninistische Parteiaufbau wurde in der Schrift „Ein Schritt vorwärts, zwei Schritte zurück“ (1904) weiter präzisiert. Darin schreibt Lenin, der Aufbau der Partei sei in gewisser Weise bürokratisch, da sie faktisch von oben nach unten aufgebaut sei.
Als demokratisch wird diese Art von Zentralismus deshalb bezeichnet, weil die höheren Gremien einer Partei von unteren Gremien gewählt werden und diesen rechenschaftspflichtig sind und somit eine breite Entscheidung der gesamten Parteimitgliedschaft repräsentieren, während niedrige Gremien nur einen Teil der Mitglieder repräsentieren. Durch die jederzeitige Wähl- und Abwählbarkeit soll Machtmissbrauch vorgebeugt werden.
Diese Kontrolle wurde jedoch durch andere Prinzipien beeinträchtigt: zwar räumte Lenin dem Einzelnen die Freiheit ein, Kritik zu üben, doch waren Fraktionsbildungen verboten, was der amtierenden Parteiführung in Diskussionen einen Vorteil gegenüber jedweder Opposition verschaffte und schließlich zur Auswahl der zu wählenden Kandidaten durch die Parteiführung führte."
Die Randnotiz von Luxemburg lautet: "„Freiheit nur für die Anhänger der Regierung, nur für Mitglieder einer Partei – mögen sie noch so zahlreich sein – ist keine Freiheit. Freiheit ist immer nur Freiheit des anders Denkenden. Nicht wegen des Fanatismus der ‚Gerechtigkeit‘, sondern weil all das Belehrende, Heilsame und Reinigende der politischen Freiheit an diesem Wesen hängt und seine Wirkung versagt, wenn die ‚Freiheit‘ zum Privilegium wird.“ [siehe: http://www.marxists.org/deutsch/archiv/luxemburg/… – Mein Tip: Immer den Originaltext lesen, nicht nur Sekundärliteratur!
Ihr Text endet übrigens mit folgenden Worten:
"Dies ist das Wesentliche und Bleibende der Bolschewiki-Politik. In diesem Sinne bleibt ihnen das unsterbliche geschichtliche Verdienst, mit der Eroberung der politischen Gewalt und der praktischen Problemstellung der Verwirklichung des Sozialismus dem internationalen Proletariat vorangegangen zu sein und die Auseinandersetzung zwischen Kapital und Arbeit in der ganzen Welt mächtig vorangetrieben zu haben. In Rußland konnte das Problem nur gestellt werden. Es konnte nicht in Rußland gelöst werden. Und in diesem Sinne gehört die Zukunft überall dem „Bolschewismus“."
Vermutlich verstehst du unter Klassengesellschaft dies, was ich mit einer 2000-Jahre alten Kultur umschrieben habe, das führt mich aber zu einem Punkt, an dem ich Zivilisationskritik üben würde und nicht versuche, konstruierte Personenzusammenhänge gegenüber zu stellen.
Bei meiner Herangehensweise bietet sich beispielsweise auch die Möglichkeit, das Beispiel der Kolonisation Amerikas als Einstiegspunkt zu nehmen und die Unterdrückung der Indigo-Kulturen zu thematisieren.
Zu deiner Herangehensweise, einer gesetzmäßig ontologischen Konstruktion der Gesellschaft, musst du den Widerspruch des Zusammenbruchs des Ostblocks erklären, der sich dann unweigerlich ergibt. Ich empfehle dir Pohrts Text "Vernunft und Geschichte bei Marx", der dies weiter aufbröselt…
Dem zweiten Abschnitt stimme ich bis "…privatisiert wird." zu, ab dort stört mich die Fixierung auf die Klasse.
"Zu deiner Herangehensweise, einer gesetzmäßig ontologischen Konstruktion der Gesellschaft, musst du den Widerspruch des Zusammenbruchs des Ostblocks erklären, der sich dann unweigerlich ergibt." – Schon mal was von dialektischen Prozessen gehört?
Wir leben ja nicht in einer Welt der Determinismen oder der Metaphysik, sondern in einer Gesellschaft, die auf dialektischen Prinzipien beruht. Die Gentilgesellschaft hat sich ja auch nicht aufgelöst, weil da jemand einen "Masterplan" hatte oder das gesetzmäßig am Tag X passieren mußte. Auch für die revolutionäre Machteroberung der Bourgeoisie gab es keinen D-Day oder ein vorab geplantes Szenario – das war ein dialektischer Prozeß, der sich über einen längeren Zeitraum hinzog und sich dann z.B. 1789 in Frankreich entlud. Und zwar nicht aus einer "großen Idee" heraus, sondern weil die gesellschaftlichen Produktionsverhältnisse den Anforderungen der Produktivkräfte nicht mehr entsprachen.
Und daß es in den Klassenauseinandersetzungen auch immer wieder Rückschläge gibt, zeigt ja die Geschichte: 1871 Niederschlagung der Commune, 1919 Niederschlagung der Räterepubliken in Ungarn und Deutschland, 1991/92 Auflösung Sowjetunion etc. pp. Wichtig ist es, die Gründe für die Niederlagen zu analysieren, um daraus für den nächsten Anlauf Lehren zu ziehen.
PS: Ich vermute, Dich stört wohl weniger die "Fixierung auf die Klasse", sondern überhaupt der Bezug auf Klassenverhältnisse.
Ich weiß nicht, ob es was bringt, wenn wir an der Stelle weiter diskutieren. Da du du ja auch den Anspruch einer freien Gesellschaft hast, wirst du sicher zustimmen, dass Bevormundung in jedem Fall die Freiheit beschneidet und der einzige Zweck einer Regierung ist die Bevormundung, für was anderes ist sie nicht gut. Also warum können wir uns nicht auf freie Vereinbarungen einigen, Seit Spehrs Schrift "Gleicher als Andere" hat sich ja selbst die Rosa-Luxemburg-Stiftung diesen anarchistischen Grundsatz zu eigen gemacht…
Warum sollten wir dahinter zurück bleiben? Das Zauberwort heißt Selbstbestimmung. Also keiner hat Mitentscheidungsrecht, wovon er nicht selbst betroffen ist. Keiner kann aber auch einen betroffenen von einer Entscheidung ausschließen. Ansonsten plädiere ich für den Grundsatz einer Entscheidungsminimierung.
Zu deinem PS: Ich würde sagen beides, weil ich in gewisser Weise dekonstruktivistisch an die Sache heran gehe, d.h. alles was gesellschaftlich konstruiert ist, ist variabel und kann im Zweifelsfall gleich Null gesetzt werden…
Und Klassen sind im Prinzip konstruiert und ihnen haftet zusätzlich der Makel an, dass sie nicht wirklich existent sind, sondern eine Abstraktion erfordern.
"der einzige Zweck einer Regierung ist die Bevormundung". – Harter Tobak, da stimme ich Dir natürlich nicht zu! Zweck einer Regierung (wie jeder Exekutive) ist es, Entscheidungen umzusetzen. Der Staat (denn die Regierung ist exekutiver Teil des Staates) ist "in der Regel Staat der mächtigsten, ökonomisch herrschenden Klasse, die vermittels seiner auch politisch herrschende Klasse wird." (MEW 21) – Der Staat ist also nicht "Bevormundung", sondern Durchsetzung der Interessen der herrschenden Klasse gegenüber der/den unterdrückten Klasse/n. Dementsprechend ändert sich der Charakter eines Staates auch, wenn die herrschende Klasse wechselt.
Utopismus a la "freie Vereinbarung" oder eine Herrschaftskritik im Sinne von Christoph Spehr mag zwar ganz nett klingen, aber ist letztlich nichts anderes als Liberalismus. Sprich: Alle sind frei, Verträge (Vereinbarungen) abzuschließen und diese wieder zu verlassen; beim Verlassen dann auch ihren Anteil mitzunehmen. – Anders als beim Liberalismus soll es aber nicht einmal mehr einen Staat geben, der die Einhaltung der Verträge sichert.
Als gesellschaftlichen Fortschritt würde ich das nicht gerade bezeichnen.
Ich denke wir sollten uns mal persönlich bei einem Bierchen treffen, dann schauen wir weiter. Ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass du dem Leninismus abschwörst…
Du weißt sicher, wo du mich kontaktieren kannst…
Ich bilde mich ja gerne weiter. In welchen anarchistischen Schriften zur Politischen Ökonomie findet mensch denn wertktitische ansätze? Bitte um kurze Literaturhinweise.
Es ist schon schade wie sich das alles hier entwickelt hat!