Katerstimmung dürfte am heutigen Montag bei den meisten Parteien und Wählerbündnissen in Greifswald herrschen. Kommunal- und Europawahlen sind abgeschlossen, die anstrengenden Wahlkampfwochen sind zu Ende.
Doch richtig unverhohlene Freude wollte am gestrigen Abend bei fast niemandem aufkommen, und dass nicht nur, weil die Auszählung der Stimmen am Sonntagabend bis in die tiefe Nacht dauerte. Gänzlich im Bundestrend liegend, zersplitterte die Parteienlandschaft in der Greifswalder Bürgerschaft. Klare Mehrheiten sucht man vergebens.
Auch das Personalkarussel drehte sich ordentlich: Knapp die Hälfte der Mandate (20 von 43) wurde neu vergeben. Elf Mitglieder der Bürgerschaft verloren ihr Mandat, neun traten nicht mehr an.
Besonders auffällig ist dabei der Wechsel bei der SPD: Allein der Fraktionsvorsitzende Dr. Kerath behielt sein Mandat. Die Sozialdemokraten lieferten wohl das enttäuschendste Wahlergebnis (13,3%/ 6 Sitze). Wahlkampfleiter Marcus Unbenannt erklärte gegenüber dem webMoritz: „Mit Gustav Seils und Hinrich Kuessner sind zwei Kandidaten nicht mehr angetreten, die in den vergangenen Jahren viele Stimmen für die SPD geholt haben. Das Ergebnis zeigt, wie schwierig es ist, solch erfahrene Leute zu ersetzen.“ Dass die Strategie der SPD, einen stark an den Studenten orientierten Wahlkampf zu führen, gescheitert sei, wollte er so noch nicht bestätigen: „Wir werden uns in den nächsten Tagen zusammensetzen, wenn wir alle Zahlen haben. Erwartet haben wir uns aber sicher mehr.“
Kaum fröhlicher gestimmt war man bei der CDU, die nur noch auf 30,1 Prozent der Wählerstimmen kam. Rechnet man den 2004 als Einzelbewerber angetretenen Bernd Uhlig mit ein, der jetzt auf der CDU-Liste kandidierte (und nicht wiedergewählt wurde), verlor die Partei 7,1 Prozent und vier Sitze. Franz-Robert Liskow, der nach einer Zitterpartie bis zum Ende in die neue Bürgerschaft gewählt wurde, sagte uns: „Enttäuscht bin ich schon, dass wir so viel verloren haben. Den größten Anteil wohl an die Bürgerliste, die ja auch eher den konservativen Flügel bedient. Ein Grund dafür, war möglicherweise die Berichterstattung der Medien in den letzten Wochen. Das war natürlich nicht gerade positiv für die CDU.“ Zur Wahlbeteiligung, die mit 39,8 Prozent knapp über dem Wert von vor fünf Jahren lag, zeigte er sich vorsichtig zufrieden: „Ich schiebe es ein bisschen aufs Wetter, das hat uns sicher 3-4 Prozent Beteiligung gekostet. In den letzten Stunden sind ja dann aber doch noch einige zur Wahl gegangen. Unter den gegebenen Umständen sehe ich die Wahlbeteiligung schon wieder als gut an.“
Das sah Michael Steiger von den Grünen ganz anders: „Ich behaupte: Eine Wahlbeteiligung unter 50 Prozent ist immer eine Katastrophe. Alle, die jetzt in die Bürgerschaft ziehen, müssen sich da ernsthaft Gedanken machen, wie man das Engagement der Bürger wieder steigern kann.“ Bei den Grünen war die Stimmung insgesamt erstaunlich verhalten, trotz des objektiv guten Ergebnisses (10,7 % / 5 Sitze) . Froh zeigte man sich über das Gesamtergebnis der Kommunalwahl. Steiger ergänzte: „Fünf Sitze haben wir in etwa erwartet. Das wichtigste aber ist, glaube ich, dass die CDU gelernt hat, dass es so wie die letzten vier Jahre nicht weitergeht. Sie müssen jetzt auf die anderen Fraktionen in der Bürgerschaft zugehen. Darauf bin ich sehr gespannt.“
Auch bei der Bürgerliste (10,1 % bzw. 4 Sitze) sah man den Erfolg eher nüchtern: „Wir haben unser Minimalziel erreicht und freuen uns jetzt darauf, uns in der neuen Bürgerschaft einzubringen. Über die Wahlbeteiligung bin ich allerdings sehr enttäuscht.“, erklärte uns Dr. Thomas Meyer, Spitzenkandidat der Wählergemeinschaft.
Besonders zufrieden hingegen war man bei der FDP über die erreichten 8,6 % (entsprechen vier Sitzen): „Wir hatten vielleicht auf ein bis zwei Prozent mehr gehofft, aber mit dem Ergebnis sind wir schon sehr zufrieden. Auch die Wahlbeteiligung war überraschend gut. Natürlich ist noch Potential nach oben, aber unter den Verhältnissen hier und heute kann man auch damit zufrieden sein.“, sagte der studentische Kandidat David Wulff, der jedoch selbst nicht in die Bürgerschaft einzog.
Auch bei der Linken schien man gut gelaunt über die errungenen 10 Sitze (22,3 %). Birgit Socher sagte uns: „Wir freuen uns sehr über diese Steigerung, gerade auch, weil wir bis heute nicht einschätzen konnten, wie wir liegen. Man weiß ja nie genau, wie die Kandidaten und das Programm bei der Bevölkerung ankommen.“ Gespannt sei sie, wie die Bürgerschaftsarbeit sich nach dieser Wahl verändere. „Ich hoffe, dass zukünftig alle Fraktionen themenorientiert miteinander arbeiten werden, befürchte aber, dass sich schnell wieder eine Kooperation bilden wird, die alle Entscheidungen ohne Debatte und Auseinandersetzung durchbringen will.“
Peter Multhauf (ebenfalls von der Linken) erklärte uns, er wolle den Fraktionen vorschlagen, in der neuen Legislatur jeweils einen Sitz abzugeben. Mit dem gesparten Geld könne man das KiTa-Angebot in Greifswald deutlich verbessern. Allerdings stieß er mit dieser Idee auf wenig Gegenliebe bei den anderen Fraktionen.
Michael Steiger (Grüne) erklärte uns: „Das Geld für die KiTas muss und kann aus anderen Töpfen kommen. Gerade bei der geringen Wahlbeteiligung ist es wichtig, dass die Fraktionen auch Gelder zur Verfügung haben mit denen sie für bürgerliches Engagement werben können.“ Drastischer drückte es Franz-Robert Liskow (CDU)aus: „Wir alle kennen die Anträge von Herrn Multhauf, ich bin kein Freund davon. Der Wähler hat entschieden und so sollte die neue Bürgerschaft auch aussehen.“ Etwas spöttisch gab Thomas Meyer (Bürgerliste) einen Gegenvorschlag kund: „Natürlich halte ich die Idee nicht für gut. Aber, wenn die PDS all ihre Sitze abgeben würde und das Geld in KiTas stecken würde, wäre ich sehr zufrieden.“
Bilder:
Michael Steiger – Wahlkampffoto Bündnis 90/Die Grünen
Foto fröhliche FDP – Florian Bonn
Fotos Dr. König, Bürgerschaftssaal und Endergebnis – Carsten Schönebeck
Foto Startseite – Ruedis Fotos via flickr
klickbare bilder dürfen auch gerne eine höhere auflösung haben 😉
Ein wahres Wort.
Wo ihr recht habt…, Asche auf meine Tomaten. Werde mich bemühen, dass morgen noch zu beheben.
Good morning, Dr. Thomas Meyer, auch wenn man´s nicht wahrhaben will, die PDS kann keine Stimmen mehr abgeben. Der Herr, zu dessen besondere politische Qualitäten ich schon an anderer Stelle kommentiert habe, solllte sich an die Linken wenden.
Man mag davon halten was man will, aber ich glaube nicht, dass Herr Meyer hier unabsichtlich Parteinamen vertauscht hat.
Herrn Hochschild hört man ja in der Bürgerschaft auch hin und wieder mal zu Herrn Multhauf sagen "Ihre Partei, die Linke, PDS oder SED". (Ohne folgenden Ordnungsruf …)