Ein Kommentar von Arik Platzek

„Erfahrung ist zwar ein Licht, aber eher ein Rücklicht als ein Scheinwerfer.“ Meint der angeblich im Jahr 1942 geborene Erhard Blanck. Wer er wirklich war, weiß Google nicht. Dass ein schmales Google-Suchergebnis mehr von Vor- als Nachteil ist, wird vielen Studenten immer klarer. Dass der mysteriöse Autor auch nicht ganz Unrecht hatte, wurde in der Diskussion um die nächste Vollversammlung auf der außerordentlichen Sitzung des StuPa am 20.5. überaus klar.

Natürlich, man muss nicht viel darüber streiten: Wer den Wert von Erfahrungen und langwierig erworbenen Kenntnissen grundsätzlich nicht schätzt, fördert prinzipiell vor allem die Rück- als die Weiterentwicklung der jeweils betroffenen Sache. Egal, ob es sich nun darum handelt, einen köstlichen Kuchen, ein erfolgreiches Raumfahrtprogramm oder ein gelungenes Examen in die Welt zu setzen – Erfahrung ist äußerst hilfreich und meist unabdingbar.

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Zum Verzweifeln: die Parlamentarier Stephan Schumann und Eric Hartmann (v.l.n.r.)

Manchmal ist es allerdings auch anders herum, wie sich in schöner Regelmäßigkeit bestätigt. Schön ist dabei aber stets nur die Regelmäßigkeit und selten deren Folge. Und grausig sind die Folgen dann, wenn sie sich zum Leidweisen grundlegender Institutionen einer demokratischen Studierendenschaft auswirken. So wurde es manchem auf der außerordentlichen Sitzung des StuPa am 20. Mai 2009 bewusst. Denn frühere Debatten  um die eigene Geschäftsordung fielen ungleich kontroverser und leidenschaftlicher aus als die Diskussion über die anstehende Vollversammlung, die auf dieser Sitzung Thema war.

Politische Erleuchtung

Die Greifswalder Studenten kennen es vielleicht besonders gut: Der Erwerb einer Fahrradlampe kann schwierig sein. Auf der Suche nach einer geeigneten Leuchte begegnet man mit roten, weißen oder auch grünen Dioden bestückten Produkten, die sich laut Beschreibung jeweils als geeignete Sicherheitsmaßnahme für den vorderen oder hinteren Teil des Gefährts anbieten. Dass ein Rücklicht am besten rot und ein Scheinwerfer naturgemäß weiß sein soll, ist scheinbar eine Glaubensfrage. Dass vor allem die erfahrenen Stupisten des Parlaments bei Fragen zur Vollversammlung Rücklichter sind und die politischen Scheinwerfer eher rot oder grün leuchten, war auf der außerordentlichen Sitzung des StuPa am 20.5. weniger eine Glaubensfrage, sondern eher Gewissheit.

Aber auch hier gibt es wieder Ausnahmen, denn sogar da war nicht jede rote Leuchte auch immer ein Scheinwerfer. Christian Bäz (Juso HG) bemängelte nebst anderen mindestens ebenso erfahrenen Rücklichtern den Kostenaufwand für die geplante Vollversammlung.

Obwohl für Vollversammlungen, die wirksame Beschlüsse fassen können, mindestens fünf Prozent der Studierendenschaft abstimmen müssen, sollen für die Durchführung dieser urdemokratischen Institution nicht annähernd fünf Prozent der Studierendenschaftsbeiträge aufgewendet werden müssen. Beleuchtet seine vorhandene Erfahrung nämlich das Dunkel der vergangenen Vollversammlungen, ist so etwas niemals bisher geschehen. Inwiefern das als Argument gelten kann, bleibt unklar.

Sterbehilfe für die Vollversammlung

Aber das sind Argumentationsmuster, denen man auch schon bei Fragen zur AStA-Strukturreform begegnete. Die amtierende AStA-Vorsitzende nahm angesichts dieser Reform dann schließlich auch folgende Worte in den Mund: „Es hätte uns schlimmer treffen können.“ Betrachtet man insbesondere unsere routinierten Parlamentarier in ihrer Haltung zur Vollversammlung, muss man viel drastischer als die Vorsitzende urteilen.

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Christian Bäz (JHG)

Und während dieser überaus wichtige Teil der Körperschaft demokratischer Studenten namens Vollversammlung so hoffnungslos komatös erscheint, dass nahe Verwandte eines etwa menschlichen Pendants Sterbehilfe berechtigerweise ernsthaft in Erwägung zögen, tun sich auch hier angesichts des nahen Endes bei den vermeintlich nahen Angehörigen – den studentischen Parlamentariern – weitere Abgründe auf.

Und so fragte eben jener hochschulpolitisch erfahrene Christian Bäz den verantwortlichen Referenten Fabian Freiberger, mit welchem von ihm vorgeschlagenen Thema denn eine beschlussfähige Vollversammlung erreicht werden solle. Man muss es mehrmals lesen, um es glauben zu können: Eine vermeintliche Leuchte unter den Stupisten fragte den seit einem dreiviertel Jahr amtierenden AStA-Referenten für Hochschulpolitik nach dem entscheidenden Rat, wie dank ihm eine beschlussfähige Vollversammlung zustande kommen soll. Alle anderen Rücklichter fanden die Frage toll, der Rest des höchsten Gremiums der Studierendenschaft schaute erwartungsvoll in Freibergers Gesicht und kein ernstzunehmender Laut des Widerspruchs aus den parlamentarischen Reihen regte sich.

Politischer Unsinn als guter Ansatz

Während der AStA natürlicherweise mit der Durchführung der Vollversammlung betraut werden muss, dämmerte derweil den wenigsten anwesenden Mitgliedern des Parlaments so richtig, dass zur Interessenvertretung eigentlich vor allem sie selber in der Pflicht sind – auch auf einer Vollversammlung. Dass eine moralische Anwesenheitspflicht für jeden Stupisten auf der Vollversammlung bestehen muss, ist ihnen schwer vermittelbar. Auch die studentischen Vertreter des höchsten akademischen Gremiums, dem Senat, pflichten dem stillschweigend bei – und blieben vergangenen Vollversammlungen meistens am liebsten fern. Warum auch nicht, bei so wenigen Teilnehmern und so faden Themen.

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Moritz-Mathis Felder (GHG)

Immerhin Moritz-Mathis Felder von der Grünen Hochschulgruppe (GHG) unternahm den zaghaften Vorstoß, die eigene politische Verantwortung für eine viele hundert Teilnehmer anziehende Themensetzung und Werbung für die kommende Vollversammlung zu betonen. So unsicher, wie dieser absolut richtungsweisende Grundsatz vorgetragen wurde, hatte hier wohl um 2.30 Uhr ein weniger blindes Huhn das beste Korn in der verödeten Landschaft demokratischer Mitbestimmung gefunden. Als ein ähnlich guter Vorstoß in die richtige Richtung konnte der Antrag der GHG vom 28. April gelten, nach der sich die Parlamentarier zur Mensa-Werbung für die Vollversammlung verpflichten sollten. Das war zwar politisch Unsinn, weil rechtlich wirkungslos – aber immerhin gut gemeint.

Impulse für das Parlament

Bisher hat kein Parlamentarier richtig erkannt, wie wichtig und nützlich die Vollversammlung für die eigene Arbeit sein kann. Die GHG möchte einen Nachhaltigkeitsbeauftragten durchsetzen: Warum stellt die GHG keinen solchen Antrag zur VV und rührt ordentlich die Werbetrommel, um sich möglichst viel Unterstützung für zukünftige Parlamentsdebatten zu holen? Das Hopo-Referat im AStA wurde in der neuen Struktur dafür um 20 Stunden monatlich gekürzt. Auch die Jusos sehen sich nicht vorrangig in der Pflicht, EMA zu „ihrem“ Thema auf der VV zu machen – und dafür mehr als nur die paar eher zufällig anwesenden Studenten zur Beschlussgrundlage machen zu müssen. Stattdessen soll der AStA hier die politische Arbeit machen. Nicht die amtierenden 29 Stupisten sollen durch die Vorlesungen tingeln, um Studenten zu Meinungsbildern auf der VV aufzufordern – die paar meist frisch gewählten AStA-Referenten sollen es tun.

Noch im Dezember vor der letzten StuPa-Wahl versprachen viele Parlamentarier, allen voran LHG und RCDS, die Studenten dort abholen zu wollen, wo sie sind (moritz 74: „Stupisten rufen ‚Leben!'“). Heute sind die Studenten immer noch in den Vorlesungen. Dort abholen will man sie aber scheinbar nicht mehr, man lässt nun wieder holen. Aber es steht ja auch grad keine Wahl an.

Dass die Vollversammlung immer in der Mitte bis zum Ende des Semesters stattfindet, drückt die Wertschätzung dieser Institution durch das StuPa weiter aus. Statt die Vollversammlung einen der ersten Eindrücke der Hochschuldemokratie im neu beginnenden Semester sein zu lassen, der noch vom alten AStA langfristig vorbereitet werden kann, beschloss man die Veranstaltung der VV bisher häufig sehr spät und am liebsten möglichst nah am Sommerurlaub oder den Weihnachtsferien.

Dass man als Neu-Parlamentarier nichts von Beschlüssen vorhergehender Vollversammlungen wissen müsse, gilt ohnehin schon als weithin akzeptiertes Kavaliersdelikt. Und der routinierte Alt-Parlamentarier lässt sich seine Souveränität verständlicherweise nicht durch Abstimmungen eines kleinen Häufchens hochschulpolitischer Dilettanten vermiesen. Und die Sitzungsroutine schon gar nicht durch irgendwelche Verpflichtungen zur Interessenvertretung, die man bisher doch erfolgreich anderen aufbürden konnte.

Viel Schatten wenig Licht

Während viele rote und grüne Lichterlein des Parlaments in die richtige Richtung zeigen – nämlich einer ernsthaften Wahrnehmung der Bedeutung einer gut besuchten Vollversammlung – wirken auch sie immer noch nicht als die besten Scheinwerfer für den richtigen Weg zu mehr politischer Teilhabe. Die erfahrenen Stupisten können die vor uns liegende Zukunft in dieser Hinsicht scheinbar schon lange nicht mehr erhellen.

Insgesamt bleibt es weiterhin dunkel um die Frage, wie man Studenten auf die Vollversammlung holt – und sich damit die eigene Legitimation fundamentiert. Aus Ratlosigkeit wollen manche die eigene legislative Kompetenz ganz abgeben. Um sich dann zu freuen, dass ein paar Hundert weitgehend Ahnungslose endlich das entscheiden, was weit über tausend (ebenso weitgehend ahnungslose) Studenten eigentlich ihnen selber im hoffnungsvollen Vertrauen auf ein besseres Wissen zur wohlüberlegten Entscheidung überlassen haben.

Bei solch Kopfschmerzen bereitenden Lichterspielen im StuPa hofft man nur noch auf eins: Dass endlich der Vorhang fällt und die Show vorbei ist.

Bilder:

Verzweifelte Jusos, Christian Bäz – Gabriel Kords

Moritz-Mathis Felder – Wahlmoritz 2009