Wer in den letzten Tagen einmal etwas genauer im Internet unterwegs war, ist sicherlich über die Bundestagspetition Keine Indizierung und Sperrung von Internetseiten vom 22.04.2009 gestoßen und hat sich gefragt, was es genau damit auf sich hat, denn es gibt viele widersprüchliche Berichte. Im Internet selber scheint der Tenor zu herrschen, dass die Petition eine wichtige und unterstützenswerte Sache ist und nur außerhalb des Internets, insbesondere bei hochrangigen Politikern,  gilt die Meinung, dass der Erfolg der Petition eine schlimme Sache ist. Im Folgenden deswegen ein kleiner Überblick zur Orientierung.

Vorgeschichte

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Zensurzone Deutschland? Der Entwurf kommt aus dem Familienministerium von Ursula von der Leyen

Am 22. April verabschiedete das Bundeskabinett den „Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung der Kinderpornographie im Internet“, das vorsieht, dass Internetseiten mit Kinderpornografie gesperrt werden und der Surfer stattdessen ein Stoppschild zu sehen bekommt (webmoritz berichtete). Durch Zusammenarbeit mit den fünf größten Providern, denen Listen mit den zu sperrenden Seiten vom BKA übermittelt werden, soll diese Idee verwirklicht werden (Quelle).

Schnell wurde Kritik laut, unter anderem die folgenden Punkte (Quelle):

  • Die Bundesregierung geht fälschlicherweise von einer umsatzstarken Kinderpornografieindustrie aus, deren Vertriebswege hauptsächlich über das Internet stattfinden (Quelle).
  • Die zunächst vorgesehenen Sperren sind unwirksam (Quelle). Es ist allerdings möglich, dass diese in Zukunft verschärft werden und dies den „Einstieg in eine Zensur-Infrastruktur“ bedeutet.
  • Das BKA alleine verwaltet und erstellt die Sperrlisten, es erfolgt keine demokratische oder richterliche Kontrolle.
  • Die Unschuldsvermutung wird abgeschafft, denn derjenige, der die Seite aufgerufen hat muss nachweisen, dass es sich um ein Versehen oder eine automatische Weiterleitung gehandelt hat (Quelle).

Wer sich genauer mit den Begründungen befassen möchte, sei auf die Quellenartikel verwiesen, die ihrerseits weitere Links mit Hintergrundinformationen enthalten, z.B. einen Zeit-Artikel, der die Zahlen der Bundesregierung untersucht.

Die ePetition

Am 4. Mai, knapp zwei Wochen nach der Verabschiedung des Gesetzentwurfes, reichte Franziska Heine eine ePetition beim Bundestag ein:

Text der Petition
Wir fordern, daß der Deutsche Bundestag die Änderung des Telemediengesetzes nach dem Gesetzentwurf des Bundeskabinetts vom 22.4.09 ablehnt. Wir halten das geplante Vorgehen, Internetseiten vom BKA indizieren & von den Providern sperren zu lassen, für undurchsichtig & unkontrollierbar, da die „Sperrlisten“ weder einsehbar sind noch genau festgelegt ist, nach welchen Kriterien Webseiten auf die Liste gesetzt werden. Wir sehen darin eine Gefährdung des Grundrechtes auf Informationsfreiheit.
Begründung
Das vornehmliche Ziel – Kinder zu schützen und sowohl ihren Mißbrauch, als auch die Verbreitung von Kinderpornografie, zu verhindern stellen wir dabei absolut nicht in Frage – im Gegenteil, es ist in unser aller Interesse. Dass die im Vorhaben vorgesehenen Maßnahmen dafür denkbar ungeeignet sind, wurde an vielen Stellen offengelegt und von Experten aus den unterschiedlichsten Bereichen mehrfach bestätigt. Eine Sperrung von Internetseiten hat so gut wie keinen nachweisbaren Einfluß auf die körperliche und seelische Unversehrtheit mißbrauchter Kinder.

Wie im ersten Satz der Begründung zu lesen ist, wird das Ziel der Bekämpfung nicht in Frage gestellt, sondern nur die Mittel. Im Internet und bei Twitter wurde die Petition schnell bekannt und sie wurde innerhalb von vier Tagen über 50.000 Mal gezeichnet (aktuell über 78.000 Mitzeichner). Das bedeutet, dass im Petitionsausschuss über die Petition beraten wird und Hauptpetentin Franziska Heine die Möglichkeit bekommt, vorzutragen.

Gegen Gesetz = Für Kinderpornografie?

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Wirtschaftsminister zu Guttenberg

Am 8. Mai wurde über die Petition in der Tagesschau berichtet (Download als mp4-Datei, Video bei YouTube) und betont, dass das Ziel der Eindämmung der Kinderpornografie nicht in Frage gestellt wird, sondern die geplanten Eingriffe ins Internet. Dies kam offenbar bei Wirtschaftsminister zu Guttenberg nicht an, wie seine Reaktion im Beitrag zeigt:

Es macht mich schon sehr betroffen, wenn pauschal der Eindruck entstehen sollte, dass es Menschen gibt, die sich gegen die Sperrung von kinderpornographischen Inhalten sträuben. Das ist nun wirklich eines der wichtigsten Vorhaben in vielerlei Hinsicht.

Die Deutsche Kinderhilfe hat eine Gegenaktion gestartet, für die 100.000 Unterschriften gesammelt werden sollen. Dort heißt es (Anführungszeichen original übernommen):

Unterstützen Sie die Kampagne „Stop! Meine Stimme gegen Kinder“pornographie“ im Internet“, indem Sie auf der als Anlage beigefügten Liste Unterschriften für die Sperrung kinder“pornographischer“ Seiten im Netz sammeln.

Es darf kein Grundrecht auf Verbreitung kinder“pornographischer“ Seiten geben. Was für Druckwerke und Zeitungen gilt, muss auch im Internet gelten – denn das Internet ist kein rechtsfreier Raum!

Das kann man so auslegen, dass die Deutsche Kinderhilfe der Meinung ist, dass die (bislang) 78.000 Mitzeichner der Petition ein Grundrecht auf Verbreitung von Kinderpornografie-Seiten fordern. Erfreulicherweise ist das Internet schon jetzt kein rechtsfreier Raum. Bei netzpolitik.org wird darüber spekuliert, dass der Verband sowieso regierungsfreundlich aufgebaut sei und als konservatives Gegenstück zum Deutschen Kinderschutzbund ausgebaut werde.

Sinnvolle Maßnahmen gegen Seiten mit Kinderpornografie

Der entgegengesetzten Meinung ist das Bündnis MOGIS (MissbrauchsOpfer gegen InternetSperren), die anführen, dass durch die Sperren kein einziges Kind weniger missbraucht wird, sondern dass es sich um die Verbreitung bereits dokumentierten Kindesmissbrauchs handelt. In einem offenen Brief an Ministerin von der Leyen betonen sie

Mit den DNS-Umleitungen wird jetzt sogar das Klicken eines Links zu einer gefühlten Bedrohung: “Wie viele Stopp-Seiten darf ich diesen Monat wohl noch sehen, bevor mich das BKA abholt?”.Zudem man auch nicht vorher wissen kann, wohin ein Link, dem man folgt, führt. Das erzeugt Angst. Da entsteht eine Schere im Kopf: “Tu ich das jetzt und informiere mich was dort für Inhalte sind, oder mache ich das lieber nicht?”
[…]
Sie nehmen auch uns, den Missbrauchsbetroffenen, das Gefühl der Sicherheit im Netz. Sie geben uns das Gefühl etwas Verbotenes zu tun, wenn wir anonym im Internet unterwegs sein wollen. Denn auch dafür müssten wir Ihre Zugangserschwerungen umgehen!

IT-Experten sind der Meinung, dass die Sperren zwecklos sind. Hanno Zulla sucht Unterzeichner für eine Pressemitteilung von Eltern in IT-Berufen gegen Internetsperren, die am Donnerstag verschickt werden soll. Dort fordern er und die Unterzeichner Sach- statt Symbolpolitik und dass z.B. eine bessere IT-Ausbildung von Justiz und Polizei eher zum Ziel führten und Internetsperren einer Demokratie unwürdig sind.

Beim Sperren der Seiten wird nur das Weiterleiten der URL (z.B. www.webmoritz.de) auf die IP-Adresse des Servers geblockt, nicht aber die Inhalte des Servers selber. Wenn man die IP-Adresse kennt oder einige Einstellungen im Browser ändert (s. Video „Internetsperren umgehen in 27 Sekunden„), hat man weiterhin Zugriff auf die Inhalte.

Die Inhalte können natürlich nur gelöscht werden, wenn das rechtlich möglich ist. Laut einer Analyse der Serverstandorte ist das möglich (Quelle, PDF):

Zusammenfassung: Die Server, zu denen einige Staaten den Zugang wegen mutmaßlicher Verbreitung von Kinderpornographie blockieren, stehen fast immer, d.h. zu über 99% in Staaten, in denen Gesetze zur Bekämpfung der Kinderpornographie existieren oder Staaten, die der Schaffung entsprechender Gesetze zugestimmt haben. Die Tabelle auf Seite 3 zeigt, wieviele Server in welchen Staaten betroffen sind und was über die Rechtslage dort bekannt ist.

Dass das komplette Schließen von Seiten sehr schnell möglich ist, zeigt der Fall einer satirischen Sperrseite, bei der dem Betreiber vom Hoster geraten wurde, die Domain „freiwillig zu kündigen“. Mehr dazu bei Innenministerium nimmt satirische Sperrseite vom Netz.

Eigene Meinung bilden

Wer sich als mündiger Bürger im Internet informieren möchte, sei verwiesen auf die umfangreiche und ständig aktualisierte Linksammlung bei Hugelgupf, den Wiki gegen Netzzensur und den Hintergrundtext: Kinderpornographie & Internet-Sperren bei netzpolitik.org. Und wer dann zum Schluss gekommen ist, dass die ePetition unterstützenswert ist, hat noch bis zum 16. Juni Zeit ebenfalls mitzuzeichnen.

Bilder:

zu Guttenberg: Michael_Panse_MdL via flickr

Zensurzone Deutschland: Elias Schwerdtfeger via flickr

Startseite – STOP-Schild: Blogging Dagger via flickr