Wohl nicht zufällig kurz  vor den Kommunal- und Europawahlen veranstaltete die SPD vor wenigen Tagen einen Ehrenamtsempfang im St. Spiritus. Engagierten Greifswaldern aus allen Lebensbereichen sollte hier mit Buffet, Getränken und vielen warmen Worten gedankt werden. Im Vorfeld der Veranstaltung ergab sich für den webMoritz die Gelegenheit zu einem Gespräch mit Ministerpräsident Erwin Sellering. Das vollständige Interview werdet ihr in einigen Wochen im Moritz-Magazin lesen können, doch zumindest eine Zusammenfassung wollen wir euch nicht vorenthalten.

Erwin Sellering war zuletzt durch seine Äußerungen zur DDR in die öffentliche und mediale Kritik geraten, viele mutmaßten er wolle sein bisher kaum vorhandenes Image aufpolieren und Sympathiepunkte bei „seinen“ Landeskindern sammeln. Mit seinen Aussagen zur Verwaltungskostenbeitrag dürfte ihm das bei den Studenten kaum gelingen.

Gebühren, ihre Höhen und Tiefen

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Ministerpräsident Erwin Sellering im Interview mit den Moritz-Medien - Bild: Christine Fratzke

Im Gespräch betonte Sellering, der 1994 aus Nordrhein-Westfalen nach Greifswald kam, seine Verbundenheit zur Region und schwärmte von seiner Arbeit als Ministerpräsident, die es ihm erlaube, alle Aspekte des Landes vom Tourismus bis zur Wirtschaft hautnah zu erleben. Besonders auch für junge Menschen sei Mecklenburg-Vorpommern interessant, weil es gute Ausbildung mit niedrigen Lebenshaltungskosten verbinde.  Der kürzlich beschlossenen Verwaltungskostenbeitrag ist in Sellerings Augen ein Erfolg: „Das ist natürlich keine Studiengebühr und überhaupt nicht vergleichbar, wenn man die Höhe sieht. Studiengebühren wird es hier nicht geben. Verwaltungsgebühren gab es aber schon immer, wir haben das nun lediglich geordnet und vor allem eine Obergrenze eingezogen.“ Auch das Model der Studienkonten, das die SPD seit ihrem Parteitag vor wenigen Wochen vertritt, verteidigte er: „Durch diese Konten soll ein lebenslanges Lernen über das Erststudium hinaus gesichert werden. Das ist eine Ausweitung der bestehenden Freiheit von Studiengebühren. Wir wollen damit aber auch Anreize und Vorteile schaffen, für Leute die ihre Hochschulausbildung schnell zum Erfolg bringen.“

Zu den Schließungen einiger Studiengänge an den beiden Landesuniversitäten äußerte er sich relativierend:„Die Abschaffung einiger Studiengänge in den vergangenen Jahren war notwendig, um die Universitäten gut und sicher aufzustellen. Dieser Prozess ist aber beendet. Es gibt keine Diskussion, irgendetwas aktuell zu verkleinern.“

„Die politische Verhandlung ist zu Ende“

Wenig eindeutig positionierte Sellering sich dagegen zum geplanten Kohlekraftwerk in Lubmin. Er betonte zwar, dass wohl „eine Mehrheit der Menschen im Land dem Projekt skeptisch gegenüber stehe“, erklärte jedoch die Entscheidung liege nun nicht mehr in den Händen der Politik. „Die politische Verhandlung ist zu Ende. Wir können jetzt nur darauf achten, dass im Genehmigungsverfahren, den Sorgen und Nöten der Region sehr genau nachgegangen wird und ein objektives Verfahren gewährleistet ist. Das tun wir und das wird auch von den Kraftwerksgegnern anerkannt.“ Seiner Meinung nach sei völlig offen, ob das Kraftwerk genehmigt werde. Er habe sich jedoch gegen einen Parteitagsantrag gestellt, der eine Ablehnung des Kraftwerks forderte. „ Das weckt auch in der Öffentlichkeit den Eindruck, wir würden politischen Einfluss auf das Verfahren nehmen. Das aber müssen wir vermeiden.“

Mit Blick auf die anstehenden Kommunalwahlen zeigte Sellering sich besorgt über die rechtsextreme NPD, die Dank der weggefallenen 5%-Hürde den Weg in viele Parlamente finden könnte. Dass die NPD nicht flächendeckend antrete, sei aber auch ein Zeichen, dass sie „nicht so stark sei, wie uns glauben machen will. Ich denke, dass auch die demokratischen Parteien, beispielsweise mit ihrer Geschlossenheit im Landtag, ein Klima befördern, dass es der NPD nicht leicht macht. Darüber freue ich mich sehr.“

Schiffsbau und versenkte Milliarden

Wenig überzeugend und eher lustlos verteidigte der Ministerpräsident den umstrittenen Europa-Wahlkampf seiner Partei. Den Vorwurf der Profilierung auf Kosten der Konkurrenz stritt er ab, betonte leidglich eine Werbekampagne über die gesprochen werde, sei schließlich ein Erfolg. Stattdessen warb er für sozialdemokratische Ideen als Schutz gegen verantwortungslose Wirtschaftsbosse. „Wir brauchen Begrenzungen der Finanzmärkte. Was da passiert ist, darf nicht noch einmal geschehen. Viele der Manager haben mit Gier und Verantwortungslosigkeit Milliarden versenkt. Dem muss ein klarer Riegel vorgeschoben werden.“

Die gegenwärtige Finanzkrise dürfe man in Ihren Auswirkungen auch für Mecklenburg Vorpommern nicht unterschätzen. „Beispielsweise bei den Werften sind wir sehr stark betroffen. Die Werften müssen unter den Schutzschirm des Bundes. Wenn das jetzt zusammenbricht, wird in Europa nie mehr Schiffsbau stattfinden. Das sind essenzielle Industriebereiche für Deutschland, vergleichbar mit der Automobilindustrie.“ Mecklenburg-Vorpommern, sei aber durch seine ländliche Struktur insgesamt weniger stark betroffen als andere Länder. Im Tourismus könne es eventuell sogar zu positiven Entwicklungen kommen. „Da kann dann jeder sein eigenes kleines Konjunkturprogramm starten, dadurch, dass er nicht mehr nach Fernost fliegt, sondern Usedom oder Rügen bucht. Ich glaube schon, dass das die Folge sein wird.“

Insgesamt zeichnete Sellering ein positiv-beschwingtes Bild von Mecklenburg-Vorpommern, von den Chancen des Einzelnen dank der dünnen Besiedlung, von der „tollen Kneipenszene in Greifswald“ und den malerischen Sonnenaufgängen auf Usedom. Was auf Kritik stößt, ist entweder falsch verstanden worden (Verwaltungskostenbeitrag, Bildungskonten) oder liegt nicht in Händen der Regierung (Kohelkraftwerk, Gentechnik). Schön, wenn ein Landesvater so voller Begeisterung von seinem Verantwortungsbereich spricht. Bleibt die Frage, ob die Landeskinder seine Ansichten teilen.

Bilder:

Christine Fratzke