Am Mittwoch, dem 11.März, lud das Literaturzentrum Vorpommern im Koeppenhaus zur Horizontverschmelzung von Morgenland und Abendland ein. Anlass war die Eröffnung der türkischen Bibliothek. Die Ausstellung, ein Projekt der Robert-Bosch-Stiftung, stellt in derzeit 14 von 20 geplanten Bänden bislang unübersetzte türkische Literatur und Erzählungen sowie Essays und Lyrik vor. Aus Tradition und Moderne gemischt, kennzeichnet es den Wandel der heutigen Türkei mit prägnanter Schärfe. Zahlreiche Schautafeln zu Autoren des Landes im Haus hellen die Begegnung mit Fakten und Biographien auf. Ein Vortrag mit Lesung des Übersetzers und Kunsthistorikers Tevfik Tucan widmete sich explizit diesen Hintergründen.
Zur Einstimmung gaben die Künstler der Berliner Band „Orientation“ eine kurze Kostprobe ihres anschließenden Konzerts. Die deutsch-türkische Band vereinigt mit Symbolkraft gekonnt westliche und östliche Musik. Zum besonderen arabischen 9/8 Takt schnipste und klatschte das Publikum. An den ungewohnten Rhythmus gewöhnte man sich überraschend schnell. Eintritt wurde für den Vortrag und die Besichtung der Ausstellung nicht verlangt. Für das Konzert um 21:30 wurden 8€ erhoben. Besucher, die nicht zum Konzert bleiben konnten, kamen somit dennoch in den Genuss von „Orientation“. Eine Kostprobe via youtube:
Der ebenfalls deutsch-türkische Referent machte die Hintergründe der Ausstellung deutlich. Er führte ausgehend von den Anfängen in der Literatur der Türkei ein. Der heutigen Türkei geht ein literarisches Erbe voraus: Die literarische Kultur des Landes spaltete sich lange Zeit durch persische und arabische Einflüsse. Die Werke entstanden oft in unterschiedlichen Sprachen. Eine eigentlich „türkische“ Sprache entwickelte sich erst im 11. Jahrhundert. Bis dahin waren Persisch und Arabisch die maßgebenden Sprachen. Bereits in vorislamischer Zeit existierte eine mündliche Erzähltradition, die bis heute nicht erloschen ist. Etliche Volkslieder und Märchen sind hierdurch bis heute erhalten geblieben. Innovation und Entwicklung des Schreibens blieb im Mittelalter einer Gelehrtenelite vorbehalten. Die stilistisch eigene Sprache der höheren Schichten bestimmte Vorbilder und Grenzen während des Osmanischen Reiches.
Erst mit der republikanischen Staatsgründung von 1923 wurden Einheit und Zusammengehörigkeit in der türkischen Literatur greifbar. Diese Epoche gilt als die „Moderne“. Berühmt wurden neben dem Literaturnobelpreiträger Orhan Pamuk auch Yasar Kemal und der Satiriker Aziz Nessin. Tefvic Tucan stellte im Rahmen des Projekts der türkischen Bibliothek den Erzählband „Von Istanbul nach Hakkari“ zusammen, der eine bunte Auswahl aus allen Epochen türkischer Literatur bietet. Die Liebesgeschichte „Die Märchenfee“ von Aziz Nessin, die wie es heißt aus dem Leben des Autors stammt, las Tucan abschnittsweise.
Unsere Überschrift „Wenn der goldene Vogel zu dir kommt“ stammt aus der Erzählung. In ihr geht es um die Freundschaft dreier Personen, die durch die gemeinsame Liebe zu einer einzigen Frau auf die Probe gestellt wird. Diese verlangt von ihnen, dass sie sich einer Mutprobe unterziehen. Der Gewinner würde das Herz der Frau für immer erobern. Das Thema der Liebe ist wohl eines der ältesten der Menschheitsgeschichte, die Türkei macht da keine Ausnahme. Bekannt sind Liebesdichtungen bereits aus vorislamischer Zeit. In der Türkei ist der goldene Vogel ein weit verbreitetes Symbol des Lebensglücks. Unmittelbar nach Beendigung der Lesung wurden die Räumlichkeiten der Ausstellung für die Besucher freigegeben.
Nachdem 2008 die Türkei Gastland auf der Frankfurter Buchmesse war, reiht sich die gegenwärtige Ausstellung in die zunehmende Verbreitung türkischer Belletristik im westlichen Europa ein. Das weitgehend vom Islam geprägte Land, verarbeitet auch auf diese Weise die Kluft zwischen Tradition und Moderne. Schließlich gilt die Türkei als möglicher Anwärter für die EU.
Für die Abwechslung am Abend sorgte auch kulinarische Besonderheiten. Das Greifswalder Restaurant „Das Sofa“ bot ab 19:00 Uhr türkische Spezialitäten im Café zum Verzehr. Zum Andern machten die Jungs von „Orientation“ jetzt ernst. Im oberen Teil des Koeppenhauses nahmen Bekir Karaoglan, Andreas Advocado, Serkan Kaynarcali und Babak Akhoondi an ihren Instrumenten Platz.
Bekannt ist die Band bereits von ihren Touren durch ganz Europa, der Auszeichnung mit dem „Creole-Preis“ (Preis für Weltmusik aus Deutschland) im letzten Jahr sowie diversen Filmmusiken. Ihre Künstler stammen aus der Türkei, dem Iran und Deutschland. Das Motto sei bereits im Bandnamen „Orientation“ enthalten, so die Erklärung auf der Homepage. Es sei der „klingende Beweis, dass die Kultur des Abendlandes der des Morgenlandes nicht widerspräche. Ohne „Morgen“ kein „Abend“ und umgekehrt.“
Bekir Karaoglu singt als Front-Sänger der Band Texte auf Türkisch, Deutsch und Englisch. Auch bei der Verteilung der Instrumente, zeigt das Team Internationalität. Das Canun, die türkische Harfe, dient Serkan Kaynarcali bei der Erzeugung östlichen Flairs. Die Gitarristen, Babak Akhoondi und Andreas Advocado, erzeugten den unter die Haut gehenden Rhytmus, dem Bekir Karaoglu mit seiner Stimme ein Schicksal gab. Die Texte waren überwiegend türkisch. Doch die Geschichte erzählten nicht die Texte, sondern die Musik. Wer beides nicht deuten konnte, konnte zur Not die innige Mimik Bekir Karaoglus lesen. Obwohl bei den Gitarristen nicht alle Seiten hielten, die Atmosphäre riss nicht. Die Botschaft war klar: Gemeinsam können die verschiedenen Kulturen harmonieren. Ein kleines Beispiel via youtube:
Die Ausstellung ist für Besucher noch bis zum 25.4.2009 im Koeppenhaus in der Bahnhofstr.4 zu besichtigen. Geöffnet ist diese dienstags bis samstags von 14:00-18:00 Uhr.
Bild: hydro-xy via flickr