„Der Münchner Verlag hatte den Wettbewerb ins Leben gerufen, um „die Kreativität der oftmals schnelllebigen Jugendsprache zu präsentieren und jährlich neu zu dokumentieren“. Im Internet stimmten rund 25.000 Interessierte über 30 kreative Wortneuschöpfungen von Jugendlichen ab. Die aus allen Altersklassen bestehende Jury wählte aus einer Top-15-Liste schließlich die besten fünf Begriffe aus.“
(Mehr dazu in derOnline-Ausgabe der SZ oder bei n-tv.de)
Wie hat man sich das vorzustellen, wenn das „Jugendwort des Jahres“ gesucht wird? Ob da in einem abendlichen Meeting des Langenscheidt-Verlags folgendes Gespräch ablief?
Verlagsleiter Bernd: Ok, ich hatte Euch ja gebeten, dass Ihr Euch übers Wochenende einige Begriffe überlegt, die man der älteren Leserschaft als Jugendsprache verkaufen könnte. Ich will von jedem einen Vorschlag hören. Ergebnisse! Ergebnisse! Ergebnisse! Fangen wir mit Grammatik an.
Grammatikabteilungsleiterin Susi: Wie wäre es mit Gammelfleischparty? In einer Bar habe ich einen Flyer für eine Ü30-Party gesehen und dachte mir, dass die Jugendlichen einen Haufen alter Leute sicherlich ekelhaft finden.
Verlagsleiter Bernd: Ist gebongt. Abiturlektüre?
Abiturmaterialleiter Michael: Jo, mein Vorschlag wäre Stockente. Mir ist beim Joggen aufgefallen, dass wirklich immer mehr Nordic Walker unterwegs sind. Die nerven wirklich mit ihren doofen Stöckern.
Verlagsleiter Bernd: Cheerioo. Hat zwar nicht viel mit Wasservögeln zu tun, aber das Bild passt. Englisch?
Englischabteilungsleiter Georg: Eine etwas seltsame Assoziation wäre Datenzäpfchen. Die Idee ist mir gekommen als ich meinen Sohn versorgt habe, der mal wieder Fieber hatte. So könnte man einen USB-Stick bezeichnen, oder?
Verlagsleiter Bernd: Uh, weckt unangenehme Erinnerungen, klingt aber gut. Sonst noch Ideen?
Praktikantin Tanja: Beim Karaoke haben meine Freunde und ich die Bezeichnung unterhopft sein erfunden, das heißt dass man noch Lust auf Bier hat bzw. bisher zu wenig Alkohol getrunken hat.
Verlagsleiter Bernd: Danke, Anke! Ich habe mir auch was überlegt und bringe jetzt mal die bisherigen fünf Begriffe in eine Reihenfolge:
- Gammelfleischparty = Ü30-Party
- Computerbräune = Blasse Haut eines Computerfreaks
- unterhopft sein = Lust auf Bier/zu wenig Alkohol getrunken
- Datenzäpfchen = USB-Stick
- Stockente = Nordic Walker
Englischabteilungsleiter Georg: Schön, dass deine Vorschläge Platz 1 und 2 belegen. Aber sollen wir nicht 15 Wörter vorschlagen?
Verlagsleiter Bernd: Ich bin der Chef! Außerdem sind die wirklich genial. Für die Plätze 6-15 haben wir 100 Leute auf der Straße gefragt „Nennen Sie einen Jugendsprachenbegriff!“ und dies ist das Ergebnis:
- Zornröschen = zickiges, beleidigtes Mädchen
- süffisant = ist man, wenn man nach Alkoholgenuss gut drauf ist
- schmusig = einfach gut
- Rentnerbravo = Apotheken-Umschau (Zeitschrift)
- Pisseria = Toilette
- Mietmaul = Rechtsanwalt
- Kalbfleischknoppers = Döner
- Heuchlerbesen = Blumenstrauß
- Hardwareproblem = Potenzschwierigkeiten
- Eierkocher = Whirlpool
Wie gesagt, so hätte es laufen können. Aber das Vorschlagen von Begriffen im Internet ist natürlich eine durch und durch demokratische Sache und wird sehr, sehr ernst genommen. So ernst wie dieser Beitrag zu verstehen ist. Man kann bzw. muss also davon ausgehen, dass die eingereichten Begriffe tatsächlich von Jugendlichen stammen und mindestens täglich verwendet werden. Um diese Annahme zu bestätigen, habe ich einige jugendliche Blogger per E-Mail gefragt, ob das der Fall ist.
Johannes (17, Schüler, Blog „Herr Salami„) meint:
Oh nein, es ist wieder soweit: Langenscheidt bringt sein Jugend-Wörterbüchlein heraus und präsentiert uns irgendwelche Wortkreationen, die „wir“ Jugendlichen auf gar keinen Fall erfunden und verbreitet haben. […] Aber ist doch viel lustiger, ein paar Sprachwissenschaftler damit zu beauftragen, ein paar tolle Worte zu erfinden! Denn niemand sagt „Gammelfleischparty“ oder „Computerbräune“, zumindest niemand, den ich kenne. Voll Moppelkotze!
Moritz (17, Schüler, Blog: „Sockenblog„) hat sich selber in einem Artikel über die Unbekanntheit von Gammelfleischparty ausgelassen und meint, dass weder er noch einer seiner Freunde das Wort überhaupt je gehört hätten. Zu den anderen Wörtern in den Top 5 schreibt er:
„Computerbräune“ ist mir nicht bekannt, und scheint gleichzeitig noch mit dem Vorurteil verbunden zu sein, dass Computerfreaks in der Regel blass sind, was meiner Meinung nach kompletter Blödsinn ist. Genauso wenig wie das „Datenzäpfchen“ – ich kenne den Begriff, aber niemanden in meinem Alter, der ihn gebraucht. Bei der „Stockente“ sieht es schon ein bisschen anders aus, das Wort kann man tatsächlich hin und wieder auf der Straße aufschnappen, richtig beliebt ist es soweit ich weiß aber auch nicht.
Zu guter Letzt habe ich gerade noch einmal herumgefragt, aber keiner der jugendlichen Befragten hatte eine Ahnung, was „unterhopft sein“ bedeutet. Ich selbst habe es auch noch nie gehört.
Schließlich noch Uwe (19, Schüler, Blog: „Uwe„):
Ich halte das ja für einen faden Witz und einen kleinen Schrei um Aufmerksamkeit, irgendwo in der großen Grauzone zwischen Schock und Unverständnis.
In Wirklichkeit spricht doch niemand allen ernstes so, wenn, dann hat er das Prinzip Sprache nicht verstanden und überhaupt sind diese Listen doch nur eine scheinheilige Möglichkeit, ein paar Schlagwörter der Neuzeit an die Fersen der bösen bösen Jugendlichen zu heften. Also neee, wie DIE sich ja wieder ausdrücken, das versteht ja keiner und ist nie neutral sondern immer so gemein und herabsetzend.
Fazit: Eine spaßige Sache dieses „Jugendwort des Jahres“, doch mit der Realität hat es wenig zu tun. Aber es reicht, um sich darüber lustig zu machen.
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Bilder: Jos Dieles, Matti Mattila, nyki_m
Rentnerbravo find ich klasse 😉
Ich hätte bei Rentnerbravo ja eher auf die BILD getippt 🙂
hehe..na dann werd ich meinen prof bei der nächsten süffisanten bemerkung mal fragen, wie`s denn gestern war! 😀
Das Lesen des Artikels hat bei mir ein süffisantes Lächeln hervorgerufen, weil einige schöne Begriffe dabei waren. Schade, dass die Rentnerschopper (die vierrädrige Gehhilfe, die beim Einkaufen sehr praktisch ist) nicht dabei war.