Jana Kiesendahl - wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Germanistik

Uns Studenten interessiert an der Universität in erster Linie meist die Lehre, doch natürlich wird hier in Greifswald auch geforscht. In der Serie “Nachgeforscht” wollen wir einzelne Projekte und die Menschen dahinter vorstellen.

„Hallöchen…“? „Sehr geehrter…“, „Hallo…“, „Lieber…“ oder „Hi“? Schon die richtige Ansprache von Professoren und Dozenten fällt vielen Studenten schwer, stellt Jana Kiesendahl fest.

Sie ist seit 2006 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für deutsche Philologie und arbeitet an ihrer Dissertation mit dem Titel „Vergleichende Analyse der E-Mails und Sprechstundengespräche zwischen Lehrenden und Studierenden“.

Der webMoritz möchte in Zukunft häufiger interessante wissenschaftliche Arbeiten an der Universität vorstellen. Mit Jana Kiesendahl führten wir ein Interview:

webMoritz: Was ist die häufigste Ansprache in den E-Mails Ihrer Untersuchung?

Jana Kiesendahl: Die meisten Studierenden schreiben „Sehr geehrte/r Herr / Frau Nachname“ ohne Titel. Der Titel taucht zwar auch häufig auf, aber bedeutend seltener.

webMoritz: Wie sieht es mit der Verabschiedung aus?

Jana Kiesendahl: Drei von vier E-Mails werden „mit freundlichen Grüßen“ beendet und mit Varianten davon, wie zum Beispiel „freundliche Grüße“ oder „mit freundlichen Grüßen verbleibt“. Das andere Viertel ist sehr unterschiedlich und vielschichtig. Von „Vorname, Nachname“ über „Bis hoffentlich sehr bald“ bis hin zu Verabschiedungen mit Wetterbericht und Ortsangabe ist alles dabei. Zum Beispiel „Viele Grüße aus dem schönen Sevilla ins wettertechnisch weniger schöne Greifswald“.

webMoritz: Sind Wetterangaben in einer Verabschiedung denn adäquat?

Jana Kiesendahl: Die Benennung des Ortes wird besonders gern genutzt, wenn die Studierenden sich nicht in Greifswald befinden. Das hat den Effekt, dass man denjenigen, den man anschreibt, ein bisschen mit in den Ort hinein nimmt. Das ist eine gute Variante die Verabschiedung nähesprachlich und privater zu formulieren, ohne aber Formalitätskriterien zu verletzen.

Denn häufig bemängeln Studierende, dass ihnen die Formulierungen zu steif sind, da sie den Lehrenden ja kennen. Und so versuchen sie etwas nähesprachlicher zu sein, ohne informell zu werden.

webMoritz: Was kann man an den jeweiligen Anreden erkennen?

Jana Kiesendahl: Die Anrede ist ein ganz wichtiger Beziehungsindikator. Gerade „Sehr geehrter“ drückt die Distanz zwischen Lehrenden und Studierenden aus. Auffällig hingegen ist die Verwendung von „Hallo“. Nach einer Umfrage, die ich bei Hochschullehrern in ganz Deutschland gemacht habe, wird diese Anrede nicht akzeptiert. Viele verbinden sie mit einer gewissen Flapsigkeit.

Es gab Kommentare, dass ein „Hallo“ die Ebene des Duzens impliziert und dass es eine gesprochensprachliche Anredeform ist. Gerade die Verwendung von „Hallo“ plus Titel ist eine Vermischung von unterschiedlichen Formalitätsebenen. Das wird auch weniger akzeptiert.

webMoritz: Gibt es E-Mails oder Anreden, die Ihnen besonders in Erinnerung geblieben sind?

Jana Kiesendahl: Ja, zum Beispiel die Verabschiedung „Bis hoffentlich sehr bald“. Das ist etwas, was im institutionellen Bereich eigentlich nicht vorkommt, da es sehr verbunden und privat klingt. Die Wörter „hoffentlich“ und „sehr“ klingen in diesem Zusammenhang sehnsüchtig. Das erwartet man eher in anderen Kontexten.

Des weiteren ist mir eine E-Mail in Erinnerung geblieben und wird mich wahrscheinlich auch noch jahrelang begleiten, die mit „Guten Abend Frau Nachname“ begonnen wird und mit „Gute Nacht“ endet. Die E-Mail wurde um 21.34 Uhr verfasst und ist sowohl von der Anrede als auch vor allem von der Verabschiedung her aus zwei Gründen sehr befremdlich.

Erstens: Wenn ich um 21.34 Uhr eine E-mail mit „Guten Abend“ schreibe, gehe ich davon aus, dass der Lehrende die E-Mail noch liest, denn am nächsten Morgen funktioniert die Anrede nicht mehr. Dabei muss man sich überlegen, welche Wirkung mit so einer Anrede erzielt wird. Erwartet man, dass der Lehrende permanent online ist? Implizit geht man mit der Verwendung solch einer Anredeformel zumindest davon aus, dass der Lehrende die E-Mail an dem Abend noch liest.

Und zweitens: Zu wem sagen wir denn „Gute Nacht“? Das sagt man doch in der Regel eher zu Privatpersonen, kurz bevor man ins Bett geht. Damit wird also ein ganz bestimmtes Bedeutungsfeld assoziiert. Das sind Fälle, in denen man sich fragt, ob das auch in einem Face-to-Face-Gespräch möglich gewesen wäre und kommt zu dem Schluss, dass das dem Medium geschuldet ist. Die räumliche Getrenntheit verleitet in solchen Fällen zu einem informellen Schreibstil.

webMoritz: Wie kamen Sie überhaupt auf die Idee für dieses Thema?

Jana Kiesendahl: Ich hatte meine Magisterarbeit zur E-Mail-Kommunikation zwischen Lehrenden und Studierenden geschrieben, doch der Rahmen einer Magisterarbeit ist sehr begrenzt. Ich hatte so tolles Material, dass sich immer wieder neue Fragestellungen und Erkenntnisse ergeben haben.

webMoritz: Bei der Auswahl der E-Mails haben Sie sich auf das Thema Prüfungen konzentriert. Dabei haben Sie festgestellt, dass Prüfungsabsagen inzwischen sehr häufig per E-Mail eintreffen. Wie erklären Sie sich das?

Jana Kiesendahl: Da gibt es unterschiedliche Begründungen. Zum Einen, weil die Absage meist sehr kurzfristig ist und die Studenten keine Möglichkeit mehr haben, den Lehrenden persönlich zu kontaktieren.

Zum Anderen ist eine Prüfungsabsage ja ein Anliegen, bei dem man eine Verabredung, die man einmal getroffen hat, auflöst. Das ist mit Ängsten seitens der Studierenden verbunden, auf die sie in einem persönlichen Gespräch konkret eingehen müssen.

Ich habe mir auch angeschaut, wie die Studierenden die Absage begründen. Oft gibt es sehr unspezifische, private Begründungen. Zum Beispiel „Aus verschiedenen Gründen kann ich die Prüfung nicht ablegen“ oder „aus familiären Gründen“. Das wird automatisch mit negativen Gründen assoziiert, was aber zwangsläufig gar nicht negativ sein muss.

Am häufigsten wird aber mit dem Bild des fleißigen Studenten argumentiert. Damit, dass der Studierende noch viele andere studienrelevante Verpflichtungen hat und deshalb in Zeitdruck gerät und den Anspruch einer guten Prüfung nicht mehr erfüllen kann. Man kann in jedem Fall aber festhalten, dass die Studierenden wissen, dass es eine soziale Norm ist, die Absage zu begründen und dass sie dies auch tun.

Zu diesen E-Mails der Prüfungsabsage muss ich aber sagen, dass dies ein ganz spezieller Fall des Instituts ist und sich auf Lehramtsstudierende bezieht, die sich nämlich nicht beim Prüfungsamt anmelden müssen, sondern institutsintern.

webMoritz: Schreiben auch die Lehrenden sehr formell?

Jana Kiesendahl: Nein, Lehrende schreiben bedeutend informeller und knapper: Oft elliptisch, in kurzen Sätzen, verzichten teilweise auf Anredeformeln und verwenden viele Elemente der gesprochenen Sprache, wie zum Beispiel Partikeln, also Füllwörter. Sie haben eine andere Position, können freier entscheiden, auf welcher Ebene der Kontakt mit dem Studierenden abläuft und können die Formalitätsebene definieren.

Gerade der Gebrauch von elliptischen Satzkonstruktionen kommt auch dadurch zustande, dass die Lehrenden permanent unter Zeitdruck stehen und nicht die Zeit haben, sich zu überlegen, wie sie die E-Mail schreiben. Oft schreiben sie aus dem Büro, wo man vielfältigen Störungen ausgesetzt ist. Sei es, dass es an der Tür klopft oder das Telefon klingelt, sei es, dass andere Mitarbeiter mit im Büro sitzen. Das sind ganz andere Produktionsbedingungen als bei Studierenden, die sich zu Hause hinsetzen und überlegen, wie sie schreiben.

webMoritz: Haben Sie einen Tipp für unsere Leser, worauf sie in E-Mails an einen Lehrenden besonders achten sollten?

Jana Kiesendahl:

  • Als erstes ist es empfehlenswert, dass man seine E-Mails Korrektur liest, weil viele Tippfehler auftreten. In sehr vielen der 300 untersuchten E-Mails findet man mindestens einen Tippfehler. Ein oder zwei Tippfehler sind akzeptabel. Das hat auch die Befragung ergeben. Wenn es mehrere Tippfehler sind, ist es inakzeptabel, da waren sich die Befragten sehr einig, das wird als Schludrigkeit und respektlos aufgefasst. Also hier der Tipp, seine E-Mails immer noch ein- oder zweimal durchzulesen.
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  • Der zweite Tipp betrifft die Kleinschreibung: Es gibt viele E-Mails, in denen konsequent klein geschrieben wird, auch wenn sie vom Ausdruck her sehr formell sind. Studierende müssen sich darüber im Klaren sein, dass es von sehr vielen Lehrenden als unangemessen eingeordnet wird und sie darin eine ganz wichtige Norm verletzt sehen. Andere Lehrende akzeptieren die konsequente Kleinschreibung hingegen durchaus. Wenn man da nichts falsch machen will, würde ich empfehlen, immer auf Groß- und Kleinschreibung zu achten.
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  • Bei der Anrede ist es so, dass man bei großen Unsicherheiten immer mit „Sehr geehrte/r“ anfangen sollte und dann abwartet, wie der Lehrende darauf reagiert. Wenn er mit „Liebe/r“ antwortet, kann man das als Einladung nehmen auch mit „Liebe/r“ zu reagieren. Viele Lehrende finden „Sehr geehrte/r“ auch sehr formell, deshalb kann man auch gleich mit „Liebe/r“ anfangen, gerade wenn man denjenigen kennt. Aber wer besonders unsicher ist, ist mit „Sehr geehrte/r“ auf der sicheren Seite.
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  • Und zuletzt vielleicht noch ein Tipp an die Lehrenden: Ich finde es sehr wichtig, dass wenn der Lehrende etwas in einer E-Mail unangemessen findet, er darauf reagiert. Oft wissen die Studierenden nicht, dass es ein Normverstoß ist und werden weiterhin so schreiben und den Normverstoß wiederholen. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, den Studierenden darauf hinzuweisen. Ein ganz schönes Beispiel dafür ist eine E-mail, in der ein Studierender konsequent kleingeschrieben hat und der Lehrende in einem PS formulierte: „Hat Ihr PC Probleme mit der Großschreibung?“ Das ist eine charmante Art und Weise, den Normverstoß zu thematisieren. Es ist ein mir ein wichtiges Anliegen zu betonen, dass die Lehrenden Normverstöße kommunizieren müssen, denn es bestehen große Unsicherheiten bei den Studierenden in der Art, wie man E-mails schreibt.

Das Interview führte Laura Brehme.
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Ross Mayfield via Flickr; bearbeitet von Sebastian Jabbusch